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Fußball, Handball & Hockey
Schiedsrichter-Mangel wird zum Problem

Die Zahl der Fußball-Schiedsrichter wird jedes Jahr geringer. Doch auch im Handball, Basketball oder Hockey fehlen ausgebildete Unparteiische. Die Gründe und Auswirkungen sind vielfältig. Die Verbände wollen gegensteuern – mit unterschiedlichen Konzepten.

Von Simon Stolz | 04.03.2023
Ein Schild "Wer den Schiedsrichter beleidigt oder beschimpft, muß mit dem Verweis vom Sportplatz rechnen! Der Vorstand" hängt am Funktionsgebäude der SG Motor Trachenberge am Sportplatz Aachener Straße.
Ein Schild wie dieses hängt an vielen Sportplätzen. Die Realität sieht aber oft anders aus. (picture alliance / dpa / dpa-Zentralbild / Robert Michael)
„Es gibt halt einzelne Spiele, da kommt man in die Halle rein und man weiß ganz genau, man ist heute der Buhmann des Tages.“ Diese Erfahrung hat Andreas Knechten als Hockey-Schiedsrichter gemacht. Beim Deutschen Hockey Bund bildet er Schiedsrichter aus und pfeift auch selbst in der 1. Hockey-Bundesliga.
Knechten ist auch Fan des MSV Duisburg und bekomme dort die verbalen Angriffe gegen Schiedsrichter Woche für Woche mit. Aus eigener Erfahrung weiß Knechten aber auch: Die Attacken gegen Schiedsrichter sind kein reines Fußball-Problem. Auch Hockey ist betroffen:
„Also mal ganz im Ernst. Man ist immer in der Kritik, man steht immer praktisch auf der Bühne und untersteht der Kritik. Das ist halt schon, ja, kein einfacher Job, Es gibt auch Spiele, die machen richtig Spaß. Ja, aber es ist halt so, dass der Respekt gegenüber Schiedsrichtern immer weniger wird.“

DFB hat ein Drittel weniger Schiedsrichter als vor zehn Jahren

Auch Robert Fischer, Schiedsrichter Obmann im Fußball-Bezirk Niederbayern, bestätigt, „dass der Respekt, die Wertschätzung einfach fehlt.“ Auch deswegen fehlen allein im Bezirk Oberbayern 300 bis 400 Schiedsrichter. Es gebe zwar weiterhin Interesse an sogenannten Neulingskursen, doch mehr als die Hälfte höre nach ein bis zwei Jahren wieder auf, so Fischer:
„Sei es, weil sie erkennen, dass es nicht ihr Hobby ist, sei es, was vermehrt auch ist, dass sie einfach, wenn sie die ersten ein, zwei Jahre pfeifen, noch nicht so sicher sind und sie doch dort noch relativ oft so beschimpft werden oder auch kritisiert werden und dadurch hören sie dann auch wieder auf.“
Und das Problem ist kein regionales, sondern betrifft den Fußball in ganz Deutschland. Die Zahl der aktiven Schiedsrichter sinkt jedes Jahr. Laut Statistik des Deutschen Fußball Bundes haben in der vergangenen Saison bundesweit etwa 6.700 neue Schiedsrichter angefangen – aber über 11.000 aufgehört. Insgesamt 26.000 Schiedsrichter hat der DFB in den letzten zehn Jahren verloren. Das ist ein Drittel aller Schiedsrichter im deutschen Fußball.

Vereine stellen nicht genug Schiedsrichter

Das spüren auch die Vereine immer deutlicher. Doch viele Vorstände ignorierten das Problem, ärgert sich Fußballer Robert Fischer. Denn eigentlich müssten die Vereine die Schiedsrichter stellen: „Und es gibt gute Vereine, die diesen Auftrag wahrnehmen. Aber es gibt natürlich auch sehr, sehr viele Vereine, die über Jahre keinen Schiedsrichter stellen. Und das ist das Problem!“
Auch im Handball stellen zu wenig Vereine genügend Schiedsrichter, berichtet Jutta Ehrmann-Wolf. Sie war Schiedsrichterin in der Handball-Bundesliga und ist jetzt Leiterin des Schiedsrichterwesens im Deutschen-Handball-Bund. Einige Kreise haben deshalb zu härteren Maßnahmen gegriffen. Dort heiße es, „wenn ihr keine Schiedsrichter meldet, dann dürft ihr auch keine Mannschaft mehr melden, um einfach ein bisschen Druck auf das Thema zu bringen.“
Auch im Hockey ist der Mangel an Schiedsrichtern ein Problem. Selbst die Bundesligisten können laut Andreas Knechten nicht mehr sicher sein, dass für alle Spiele ein Schiedsrichter zur Verfügung steht:
„Wenn wir keine Schiedsrichter haben, dann haben wir keine Schiedsrichter. Und das passiert auch in der Bundesliga, dass wir vereinzelt Spiele nicht ansetzen können, weil da sage ich ganz einfach, da muss auch eine Qualität sein, wenn wir einen Schiedsrichter zu einem Bundesligaspiel hinschicken. Wir können da nicht einfach sagen, wir besetzen das einfach mal.“

Viele Neulinge hören nach wenigen Jahren wieder auf

Die Gründe für das Desinteresse am Schiedsrichterwesen sind vielfältig: zum Beispiel der gesellschaftliche Wandel, zu viele andere Freizeit-Optionen oder eine zu geringe Aufwandsentschädigung. Auch die Corona-Pandemie hat die Situation bei vielen Verbänden zusätzlich verschärft. „Ein Punkt, das stellt sich ganz klar heraus, ist die mangelnde Wertschätzung für den Job als Schiedsrichter – also diese Undankbarkeit des Jobs“, stellt Handballerin Jutta Ehrmann-Wolf fest.
Das hat auch eine aktuelle Umfrage des Deutschen Handball-Bunds unter aktiven und ehemaligen Schiedsrichtern bestätigt. Diese Umfrage soll jetzt dem DHB helfen, Konzepte auszuarbeiten, Schiedsrichter zu gewinnen und dann auch länger zu halten. Denn die hohe Drop-Out-Quote ist längst nicht nur ein Problem im Fußball. Auch in anderen Sportarten hören viele Neulinge nach wenigen Jahren wieder auf: Im Basketball mehr als 70%, so Lothar Bösing, Vizepräsident des Deutschen Basketball Bundes in der Rheinischen Post.
Deshalb sollen auch mehr Sportler animiert werden, nach ihrem Karriereende als Schiedsrichter anzufangen. Laut einer Studie der Universität des Saarlandes aus dem Jahr 2017 haben Fußball-Schiedsrichter, die nach ihrer Sportlerkarriere angefangen haben, die niedrigste Drop-Out-Quote und bleiben am längsten aktiv.

Schiedsrichterlehrgänge für Spieler sollen für mehr Akzeptanz sorgen

Unabhängig davon sollten für die Spieler Schiedsrichter- und Regellehrgänge verpflichtend sein, meint Hockey-Schiedsrichter Andreas Knechten. So könnten sie sich besser in die Lage des Schiedsrichters hineinversetzen: „Jeder Spieler darf auf den Platz, ohne jemals eine Regelprüfung gemacht zu haben. Das wäre so, als ob ich ohne Führerschein Auto fahren dürfte“
Eine Maßnahme, über die auch der Handball schon nachgedacht hat, so Jutta Ehrmann-Wolf: „Es gibt viele Ideen, ob wir nicht generell die B-Jugendlichen in unseren Leistungszentren schon alle als Schiedsrichter ausbilden. Und zwar nicht mit dem Ziel, dass sie alle Schiedsrichter sind, sondern dass sie ein anderes Verständnis für die Schiedsrichterei bekommen.“ Durch solche Maßnahmen könne es gelingen, den Umgang zu verbessern und die Schiedsrichter-Tätigkeit wieder attraktiver zu machen.

Verbände wollen mehr Frauen anwerben

Auch der DFB will dieses Jahr mit einem Großprojekt das Schiedsrichter-Thema angehen, teilte ein Sprecher des DFB gegenüber dem Deutschlandfunk mit. Ab März wolle der DFB die Schiedsrichter in den Mittelpunkt stellen, den Respekt gegenüber den Unparteiischen verbessern und Vereinen helfen, Nachwuchs zu gewinnen.
Alle Verbände wollen auch Frauen stärker in den Fokus nehmen. Denn diese sind weiterhin deutlich in der Unterzahl: Beim DFB zum Beispiel sind weniger als vier Prozent der Unparteiischen weiblich.