Türkischer Nationalismus
Der Einfluss der Grauen Wölfe auf den Fußball

Die Grauen Wölfe gelten als größte rechtsextreme Bewegung in Deutschland. Mit Drohungen, Hetze und zum Teil mit Gewalt setzen sie sich für ein großtürkisches Reich ein. Auch die Fußball-Europameisterschaft könnte zu einer Bühne für die türkischen Ultranationalisten werden.

Von Ronny Blaschke | 25.05.2024
Eine Hand zeigt den "Wolfsgruß" der Grauen Wölfe.
Der türkische Ultranationalismus ist laut Fanforschern auch im deutschen Amateurfußball angekommen: Es gibt Jugendspieler, die den „Wolfsgruß“ zeigen. (picture alliance / dpa / Peter Kneffel)
Der Pädagoge Burak Yilmaz ist in Duisburg aufgewachsen. In seiner Jugend Anfang des Jahrtausends ist er als Schiedsrichter aktiv. Bei Jugendspielen beobachtet er Flaggen und Trikots mit Symbolen der Grauen Wölfe. Mitunter hört er auf Sportplätzen Marschlieder, die die türkische Nation über alle anderen stellt: "Ich kann mich gut daran erinnern, als ich mich umgezogen habe in der Kabine, da war nebenan eine Ansprache von einem Trainer, der meinte irgendwie: 'Wir ziehen jetzt in die Schlacht. Und Ihr müsst eurer Türkentum beweisen'. Und dann auf dem Platz tatsächlich halt das Fans zum Beispiel türkisch rechtsextreme Parolen rufen. Oder dass halt Eltern auch ihre Kinder total heftig motiviert haben."
Hin und wieder kommt es auf den Plätzen zu körperlichen Angriffen der Grauen Wölfe. Zu den Opfern zählen kurdische, alevitische und Schwarze Fußballer. Burak Yilmaz begibt sich als Schiedsrichter selbst in Gefahr, wenn er einen Elfmeter oder eine Rote Karte gegen ein Team verhängt, das von den Grauen Wölfen unterstützt wird. Immer wieder dokumentiert er ihre gewaltverherrlichende Sprache in Spielberichten. Er sagt: "Und es gab einfach schlichtweg keine Konsequenzen. Und ich kann mich auch daran erinnern, dass ich auch innerhalb der Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter diese Geschichten halt so geteilt habe. Und viele dann halt auch gesagt haben: ,Ja, aber man traut sich halt nicht, gegen dies Vereine vorzugehen.‘ Weil sie zum Beispiel gute Lobbyarbeit machen und bis in die Lokalpolitik sehr, sehr gut vernetzt sind, sehr viele Gelder auch bekommen."

Unterstützung von deutschen Politikern

Die Grauen Wölfe haben ihren Ursprung in der Türkei in den späten 1960er-Jahren. Sie arbeiten dort mit der rechtsextremen Partei MHP zusammen. Und sie verüben bis in die 90er Jahre hinein Anschläge auf Sozialisten, Gewerkschafter und linke Journalisten. Auch mit Informationen westlicher Geheimdienste. Vor allem die USA wollen den sowjetischen Einfluss in der Türkei, die seit 1952 Mitglied der Nato ist, zurückdrängen.
Diese Konflikte werden auch in anderen Staaten ausgetragen. Unter den türkischen Gastarbeitern in der Bundesrepublik sind etliche Anhänger der Grauen Wölfe. Ihr Dachverband wird ab 1978 auch von deutschen Politikern gefördert, zum Beispiel vom bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß, erläutert der Politikwissenschaftler Mahir Tokatli von der RWTH Aachen: "CDU und CSU haben sehr intensiv daran mitgearbeitet, dass diese Strukturen hier in Deutschland institutionalisiert werden. Als Gastarbeiter hat man natürlich in Fabriken gearbeitet. Und das revolutionäre Potenzial ist da vorhanden. Und dass man gerade diese türkischen linken Arbeiterinnen und Arbeiter aufhält, indem man ihnen rechte Strukturen entgegensetzt."

Ablehnung und Abdriften

Ab den 70er Jahren bemühen sich türkische Gastarbeiter um den Eintritt in deutsche Fußballvereine, doch der DFB lehnt sie in der Regel ab. Der Verband glaubt - wie so viele andere Organisationen - dass die Arbeiter ohnehin bald in ihre Heimat zurückkehren werden. Integrationskonzepte gibt es kaum. So gründen die Gastarbeiter eigene Mannschaften. Viele von ihnen beziehen ihre Nachrichten weiterhin aus türkischen Zeitungen und öffnen sich für die Unterstützung der Grauen Wölfe.
Als Betreuer, Trainer oder lokale Sponsoren, berichtet Mahir Tokatli: "Wenn man als Türkeistämmiger immer wieder Diskriminierungserfahrungen hat. Und die immer häufiger anzutreffen sind in solchen Vereinsstrukturen, dann hat man auch eine gewisse Anfälligkeit dafür: ,Ach die wollen mich sowieso nicht‘. ,Die akzeptieren mich sowieso nicht, wie ich bin, weil ich Mehmet heiße oder Abdullah‘. Deswegen ist man dann natürlich geneigt, dahin zu gehen, wo man sich wohlfühlt, beziehungsweise, wo jemand sich um einen kümmert." 
Vor diesem Hintergrund wirkt Mesut Özil für die Grauen Wölfe wie eine Werbefigur. Der Sohn türkischer Einwanderer führt die deutsche Nationalmannschaft 2014 zum WM-Titel. Doch nach einem Foto mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan muss Özil viel Rassismus erdulden. Er fühlt sich vom DFB nicht geschützt und tritt aus dem Nationalteam zurück. Mit dieser Biografie, die auch von Ablehnung geprägt ist, können sich viele türkischstämmige Jugendliche identifizieren.

Beziehungsarbeit bei der EM

Im Juli 2023 kursiert ein Foto von Mesut Özil aus einem Fitnessstudio. Darauf zeigt er eine Tätowierung auf seinem Oberkörper. Darauf abgebildet: drei Halbmonde und ein heulender Wolf, die Symbolik der Grauen Wölfe. Der Pädagoge Burak Yilmaz geht davon aus, dass die Grauen Wölfe nun auch bei der Europameisterschaft in Deutschland die Geschichte Özils vereinnahmen werden: "Ich erwarte, dass die Grauen Wölfe sehr gut organisiert sein werden bei der EM. Sie sprechen Jugendliche an, sie feiern erstmal mit denen. Also es geht einfach erst mal darum Beziehungen aufzubauen, Instagram-Kontakte auszutauschen. Und es geht jetzt irgendwie gar nicht darum Flyer zu verteilen oder so. Sondern einfach nur Präsenz zeigen mit den Symbolen, mit den Personen, die halt ebenso da sind. Und diese Symbole auch zu normalisieren." 
Die türkische Nationalmannschaft bestreitet bei der EM zwei Vorrundenspiele in Dortmund. Also im Ruhrgebiet, wo die Grauen Wölfe auch mit Kulturvereinen und Moscheegemeinden zusammenarbeiten. Etliche Fußballvereine tragen ihr Bekenntnis zum türkischen Nationalismus bereits im Namen, zum Beispiel "Turanspor". Andere Vereine sind zurückhaltend und nutzen Codierungen, sagt die Sozialwissenschaftlerin Janina Rostek: "Dann gibt es beispielsweise noch die Jahreszahl 1453, wo eben Konstantinopel eingenommen wurde und das quasi dem Osmanischen Reich sehr geholfen hat. Es gibt auch eine sehr positive Bezugnahme auf das Osmanische Reich. Sieht man vielleicht als Tattoos oder als Autoaufkleber hinten drauf."

Plädoyer für Prävention

Janina Rostek erforscht bei der Landesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte in Nordrhein-Westfalen den türkischen Ultranationalismus im Amateurfußball. In den sozialen Medien einiger deutsch-türkischer Vereine stößt man auf Verbindungen zur rechtsextremen türkischen Partei MHP. Man stößt auch auf Jugendspieler, die den so genannten "Wolfsgruß" zeigen. Wie kann man dieser Ideologie entgegenwirken? Der Politikwissenschaftler Mahir Tokatli: "Man kann gewisse Vereine, gewisse Strukturen, Organisationen verbieten, aber man kann die Idee als solche schwer verbieten. Und deswegen wäre es auch gut, wenn man gewisse Symbole unter Strafe stellen würde. Ein Verein, der ,Turanspor‘ im Namen hat, ein Verein mit drei Halbmonden beispielsweise, da muss man überlegen, ob der überhaupt mitmachen darf. Oder ob der sich nicht umbenennen müsste."
Experten wie Mahir Tokatli und Burak Yilmaz plädieren für Aufklärung und Prävention. Doch das allein reicht nicht. Einige lokale Fußballverbände achten in der Saisonplanung darauf, dass Mannschaften, die den Grauen Wölfen nahestehen, nicht in derselben Spielklasse antreten wie etwa kurdisch geprägte Teams. Sie wollen eine Eskalation frühzeitig unterbinden.