Türkischer Rechtsextremismus
Pädagoge Yilmaz: Wolfsgruß von Demiral beim EM-Spiel eine "Vollkatastrophe"

Der türkische Nationalspieler Merih Demiral zeigt beim Jubel gegen Österreich im Achtelfinale der EM den Wolfsgruß - ein Zeichen der rechtsextremen Bewegung "Graue Wölfe". Die UEFA leitet Ermittlungen ein. Der Autor Burak Yilmaz fordert eine Sperre.

Der türkische Nationalspieler Merih Demiral zeigt nach seinem zweiten Treffer den Wolfsgruß.
Die UEFA ermittelt gegen den türkischen Torschützen Merih Demiral wegen seiner Wolfsgruß-Geste im EM-Achtelfinale gegen Österreich. (picture alliance / dpa / Hendrik Schmidt)
Die UEFA hat ein Untersuchungsverfahren gegen den türkischen Nationalspieler Merih Demiral eingeleitet, nachdem er im EM-Achtelfinale beim Torjubel den sogenannten Wolfsgruß gezeigt hat. Der europäische Fußball-Verband untersucht, ob die Geste als "unangemessenes Verhalten" eingestuft werden kann. In diesem Fall könnte Demiral für das bevorstehende Viertelfinale gegen die Niederlande gesperrt werden.
Der Wolfsgruß ist das Symbol der rechtsextremistischen „Grauen Wölfe“, deren Anhänger in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet werden. In der Türkei sind sie politisch mit der ultranationalistischen MHP verbunden, die ein Bündnispartner der islamisch-konservativen AKP von Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist.

Faeser fordert UEFA zu Reaktion auf

Bundesinnenministerin Nancy Faeser hatte die UEFA auf der Plattform X zu einer Reaktion aufgefordert. "Die Symbole türkischer Rechtsextremisten haben in unseren Stadien nichts zu suchen. Die Fußball-Europameisterschaft als Plattform für Rassismus zu nutzen, ist völlig inakzeptabel."

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Auch in der türkischen Politik zieht das Thema weite Kreise. Präsident Erdogan kündigte am Donnerstag an, kurzfristig zum Viertelfinalspiel der Türkei nach Berlin zu reisen. Erdogan wolle der türkischen Mannschaft den Rücken stärken, hieß es aus informierten Kreisen. Dazu hatte Ankara bereits am Mittwoch den deutschen Botschafter einbestellt.

Sozialpädagoge Yilmaz: "Geste der türkischen Faschisten"

Demiral erklärte, der Jubel habe mit seiner „türkischen Identität“ zu tun. "Wir sind alle Türken und ich bin sehr stolz darauf, Türke zu sein. Das war keine versteckte Geste. Ich hoffe, es wird noch weitere Gelegenheiten geben, diese Geste zu zeigen." Klingt harmlos, ist es aber nicht, betont Sozialpädagoge Burak Yilmaz im Deutschlandfunk.
"Also ich finde diese Erklärung einfach absolut falsch. Das ist nicht eine Geste der Türken, sondern eine Geste der türkischen Faschisten, also der Grauen Wölfe. Und da versucht der Demiral eigentlich ja, rechtsextreme Positionen auf die gesamte türkische Gesellschaft zu übertragen."

"Graue Wölfe" auch unter den Fans bei türkischen Autokorsos

Yilmaz, der sich seit vielen Jahren mit den "Grauen Wölfen" beschäftigt, fordert von der UEFA harte Konsequenzen bis hin zum Ausschluss Demirals vom laufenden Turnier. "Das kann nicht sein, dass jemand während des Spiels einen faschistischen Gruß auf dem Platz macht." Die "Grauen Wölfe" nutzten den Fußball, um Anhänger zu rekrutieren.
"Die haben als Ziel, die Türkei zu homogenisieren, nach dem Motto: Türkei den Türken - und die Grenzen der jetzigen Türkei auszuweiten auf die sogenannten Turkvölker. Sie sind in Deutschland die größte rechtsextreme Gruppe. Und wenn diese Gruppe auch noch sieht: Hey, wir haben sogar ein Anhänger in der Nationalmannschaft - dann ist das eine absolute Vollkatastrophe."
Yilmaz betont, dass Aufklärungsarbeit in Fußballvereinen wichtig ist, um Rechtsextremismus entgegenzuwirken und kritisiert die mangelnde Haltung gegen rechtsextreme Symbole bei Autokorsos. "Wenn man da keine Haltung zeigt, dann normalisiert man das Ganze."

Türkische Fans zeigen sich entsetzt

Einige Fans zeigten Haltung und kritisierten den Wolfsgruß auf Schärfste, weil Demiral dadurch den Sieg kaputt gemacht habe, so dass man gar nicht mehr wirklich feiern konnte. "Diese Stimmen gibt es unter den türkischen Fans und die sind mir persönlich sehr wichtig", so Yilmaz.
Eine neue Integrationsdebatte sieht er angesichts des lautstarken EM-Jubels der deutsch-türkischen Community für die Türkei aber nicht. Yilmaz fordert dagegen mehr Toleranz für Mehrfachidentitäten: "Ich habe zum Beispiel kroatische Freunde, die halt auch sagen: Wir sind halt für beide Mannschaften. Wenn wir da immer wieder Integrationsdebatten oder Entweder-oder-Entscheidung machen, dann verhärten sich die Fronten definitiv."
Dem schließt sich auch Podcaster und Journalist Khesrau Behroz an: „Es ist, glaube ich auch gar nicht eine Entscheidung für ein Land in die eine oder andere Richtung. Ich glaube, Fußball wird oft vor allem dieses: Welcher Fan bin ich? Zu welcher Mannschaft - wird dann oft irgendwie so als Nationalbekenntnis irgendwie gedeutet. Aber am Ende ist es halt Fußball ist ein Spiel, und Leute entscheiden sich dann für eine Mannschaft. Und ich finde, man muss da so ein bisschen gütiger sein, in dem, wenn der Verurteilung darüber, was das nun bedeutet, wenn ich Deutschland-Fan bin, ich Türkei-Fan."

Podcaster Behroz: "Gündogan war besser beraten als Özil"

Behroz hat auch einen Podcast über den ehemaligen deutschen Nationalspieler Mesut Özil gemacht, der nach einem gemeinsamen Foto mit dem türkischen Präsidenten Erdogan einen gewaltigen Shitstorm kassierte und schließlich zurücktrat. Ganz anders als Ilkay Gündogan, der auch auf dem Foto zu sehen ist.
„Gündogan ist besser beraten gewesen als Mesut Özil. Er hatte ein anderes Krisenmanagement und es deswegen auch dafür belohnt worden. Also nicht deswegen, aber unter anderem kann er quasi die Belohnung davon irgendwie sähen, nämlich als Kapitän der deutschen Fußball-Nationalmannschaft hier bei der Europameisterschaft aufzutreten.“
Ob der türkische Nationalspieler Demiral noch einmal auftreten wird, ist noch nicht entschieden: Es könnte durchaus sein, dass sein hoch umstrittener Achtelfinalauftritt der letzte dieser Europameisterschaft gewesen ist.

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