Dienstag, 16. April 2024

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Sprachbarrieren im Studium
"In der Wissenschaftssprache Deutsch fehlen vielen die Worte"

Für internationale Studierende in Deutschland sei Sprache eine der größten Hürden, sagte Simon Morris-Lange, Autor einer Studie zur Integration an Hochschulen, im DLF. Bei Studierenden mit Migrationshintergrund fehlten vor allem im wissenschaftlichen Diskurs die Worte. Morris-Lange forderte, die Belange dieser Studierenden von Anfang an mitzudenken.

Simon Morris-Lange im Gespräch mit Jörg Biesler | 30.05.2017
    Die chinesische Studentin Tang Lisha sitzt am Schreibtisch und lernt im Studentenwohnheim der Chengdu Normal University
    Auch wenn sich "internationale Studierende" nicht über einen Kamm scheren lassen, Sprache bildet für die meisten von ihnen eine große Hürde, ob im Alltag oder im Studium. (picture alliance / Cdsb / Imaginechina / dpa)
    Jörg Biesler: Heute ist Diversity-Tag, und wie sehr das auch die Hochschulen betrifft, das zeigen die blanken Zahlen. Rund ein Viertel aller Studentinnen und Studenten kommen aus dem Ausland oder haben ausländische Wurzeln. Und dieses Viertel ist im Schnitt weniger erfolgreich. Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Migration und Integration hat untersucht, woran das liegt. Der Titel der heute veröffentlichten Studie, "Allein durch den Hochschuldschungel. Hürden zum Studienerfolg für internationale Studierende und Studierende mit Migrationshintergrund" nimmt ein Ergebnis vorweg. Darüber will ich sprechen mit dem Autor der Studie, Simon Morris-Lange!
    Simon Morris-Lange: Guten Tag!
    Biesler: "Allein durch den Hochschuldschungel", kürze ich Ihren Titel mal ein bisschen ab – das könnte man ja auch für viele Deutsche sagen. Warum gilt das für internationale Studierende besonders?
    Morris-Lange: Erst mal kommen sie natürlich in ein oft für sie fremdes Land und haben dann oft Schwierigkeiten, Anschluss zu finden, und auch nach mehreren Jahren berichten immer noch ein von zwei internationalen Studierenden, dass sie Schwierigkeiten haben, Kontakt zu einheimischen Studierenden aufzunehmen.
    Biesler: Jetzt haben Sie gerade schon gesagt, das betrifft die internationalen Studierenden. Die Studie betrifft zum einen diese Gruppe von Studierenden, aber auch noch die Studierenden mit Migrationshintergrund. Ich stelle mir vor, dass Sie sich vorher ziemlich viele Gedanken dazu machen mussten, wie man das eigentlich voneinander abgrenzt. Wie haben Sie das unterschieden?
    Probleme beim Verfassen wissenschaftlicher Texte
    Morris-Lange: Die Internationalen sind ganz klar diejenigen, wie ich schon meinte, die eigens für ein Studium herkommen, und bei denen mit Migrationshintergrund geht es eher um die Migrationserfahrungen, die sie selbst haben, also wenn sie als Kind oder als Jugendlicher zuwandern und dann hier das Schulsystem durchlaufen, oder die Migrationserfahrungen innerhalb der Familie, also wenn die Eltern eingewandert sind und die Kinder hier als Kinder von Einwanderern geboren sind.
    Biesler: Und für die gilt auch noch, dass die allein sind, also dass sie Schwierigkeiten haben, Kontakte zu knüpfen?
    Morris-Lange: Ja. Man könnte denken, die haben einen Heimvorteil quasi, sind hier durch das Schulsystem gelaufen, haben die gleiche Bildung genossen wie Studierende ohne Migrationshintergrund. Aber es zeigt sich doch, dass es auch für sie zum Teil erhebliche Hürden gibt. Interessanterweise auch im Bereich Sprache. Natürlich nicht in der Alltagssprache. Die haben kein Problem, sich auf Deutsch zu verständigen, aber in der Wissenschaftssprache Deutsch, also beim Verfassen wissenschaftlicher Texte oder bei Diskussionen in Studienseminaren fehlen vielen dann buchstäblich die Worte.
    Biesler: Jetzt ist, wir haben es gerade auch schon mal gesagt, die untersuchte Gruppe ziemlich heterogen, damit auch die entsprechenden Problemlagen. Sie haben zum Beispiel die Situation von chinesischen Maschinenbaustudenten in Deutschland untersucht, aber auch die von türkischstämmigen Germanistikstudenten, die schon in Deutschland geboren wurden. Es lässt sich also jetzt schwer sagen wahrscheinlich, das ist dieser Faktor, an dem liegt es. Die Schwierigkeiten, Kontakte zu knüpfen, hatten wir schon. Was sind sonst noch typische Hürden?
    "Mehr als jeder Zweite ist ein sogenannter Bildungsaufsteiger"
    Morris-Lange: Erst mal von den Internationalen gesprochen, also die, die zum Studium hierherkommen, da ist es ganz klar die Sprachbarriere erst mal. Etwa jeder Dritte spricht kaum Deutsch, wenn sie herkommen – müssen sie auch nicht, weil sie oft auf Englisch studieren, haben dann aber wenig Möglichkeiten, die deutsche Sprache zu lernen, was dann, wie schon erwähnt, die Kontaktaufnahme zu den einheimischen Studierenden erschwert. Und auch die selbstständige Organisation des Studienalltags.
    Biesler: Und die Studentinnen und Studenten mit Migrationshintergrund?
    Morris-Lange: Bei denen ist es so, vor allem auch die unterschiedliche Bildungsherkunft. Mehr als jeder Zweite ist ein sogenannter Bildungsaufsteiger, das heißt, der oder die erste in der Familie, die den Weg an die Hochschule schafft. Oft auch nur auf Umwegen, also nicht direkt über das Gymnasium, sondern über andere Schulzweige, wo sie oft nicht das Werkzeug an die Hand bekommen, was sie brauchen, um im Studium erfolgreich zu sein.
    Biesler: Was wären denn Lösungsansätze? Müssten die Hochschulen da mehr Einführungskurse machen, mehr Sprachkurse, die einzelnen Studierenden stärker an die Hand nehmen, ein formalisierteres Verfahren haben?
    Morris-Lange: Es bedarf definitiv mehr Unterstützung, aber was Hochschulen nicht tun sollten, ist, jetzt massig Sonderprogramme für einzelne Zuwanderergruppen aufsetzen. Es soll in erster Linie für die Hochschulen darum gehen, die Regelangebote, die für alle Studierenden zugänglich sind, zu öffnen für verschiedene Zuwanderergruppen, und die besonderen Bedarfslagen dieser Zuwanderer, die wir ja in der Studie ausgearbeitet haben, da mitzudenken.
    "Es sind oft soziale Benachteiligungsfaktoren, die da eine Rolle spielen"
    Biesler: Ist das eigentlich ein spezifisch deutsches Problem, dass zugewanderte Studierende, Studierende mit Migrationshintergrund grundsätzlich schlechtere Karten haben als die heimischen, die dann auch ein bisschen vertrauter sind mit dem System, oder ist das grundsätzlich ein Problem, das in allen Ländern so auftaucht?
    Morris-Lange: Bei den internationalen Studierenden, also diese Bildungsnomaden, die Grenzen überschreiten und zum Studium in andere Länder gehen, da zeigt sich in der Regel, dass die in vielen Ländern, vor allem in Europa, schlechter abschneiden als die Mehrheitsbevölkerung. Bei den Studierenden mit Migrationshintergrund ist es ebenfalls so, weil sie oft schlechtere Ausgangssituationen haben. Es sind oft soziale Benachteiligungsfaktoren, die da eine Rolle spielen.
    20.000 Flüchtlinge in Deutschland haben Interesse an einem Studium
    Biesler: Und die Hochschulen werden sich darauf einstellen müssen, denn es wird sich in Zukunft an der Situation wahrscheinlich nichts ändern.
    Morris-Lange: Genau. Und der Zuwandereranteil wird erwartungsgemäß steigen. Unter den Abiturienten ist der Zuwandereranteil in den letzten Jahren deutlich gestiegen, und Deutschland ist nach wie vor ein sehr beliebtes Studienzielland, und es werden auch studieninteressierte Flüchtlinge in den nächsten Jahren an die Hochschulen streben. Aktuell schätzt man, sind bisher 1.000 in Studiengänge eingemündet, aber es haben ungefähr auch schon 20.000 offen Interesse bekundet.
    Biesler: Simon Morris-Lange vom Sachverständigenrat Deutscher Stiftungen für Integration und Migration über die heute veröffentlichte Studie zu den Bildungschancen von Studentinnen und Studenten mit Migrationshintergrund oder aus anderen Ländern in Deutschland. "Allein im Hochschuldschungel" heißt die Studie. Danke, Herr Morris-Lange!
    Morris-Lange: Danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.