Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Sprachpflege
Kretschmanns Dialekt-Offensive in Baden-Württemberg

Der Südwesten Deutschlands ist ein Flickenteppich aus Dialekten. Badisch, Schwäbisch oder Fränkisch sind nur die bekanntesten. Sie gehen aber verloren. Baden-Württemberg hat deshalb eine Dialektoffensive gestartet. Das Ganze ist Chefsache, Ministerpräsident Winfried Kretschmann steht dahinter.

Von Thomas Wagner | 14.12.2018
    Porträt des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Grüne) beim Katholikentag in Münster 2018.
    Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Grüne), bekennender Schwabe, will den Dialekt retten. (imago / epd)
    Michael Jäckel, Gastwirt in Überlingen am Bodensee.
    "Holeme moaldeselle Oberlaugenageldetdinneäbbe."
    Das ist Badisch. Und heißt auf Hochdeutsch:
    "Hol‘ mir mal vom oberen Speicher, vom Fensterladen, dort von einem Brett den Nagel oben runter."
    Winfried Kretschmann, Ministerpräsident in Baden-Württemberg:
    "Aget, haget wenn‘s taget."
    Das ist…Schwäbisch. Und heißt auf Hochdeutsch:
    "Agathe baut im Morgengrauen einen Zaun."
    Baden-Württemberg ist ein Dialekt-Land
    Badisch und Schwäbisch sind zwei große Dialektregionen in Baden-Württemberg. Kommt, im Nordwesten des Landes, noch das Fränkische hinzu, nicht zu vergessen die zahlreichen Ortsdialekte und -variationen. Kurzum: Baden-Württemberg ist ein Dialekt-Land. Und das hat so seine Vorteile:
    "Es gibt ja auch viele Gründe, warum ma‘ Schwäbisch schwätze sott – einer davon ischt, dass die NSA einen beim Abhören itt versteht…."
    so der Sprachkünstler Dodokay, beheimatet im schwäbischen Reutlingen. Doch so sehr Badener, Schwaben und Franken in Baden-Württemberg das Hohelied auf den Dialekt singen, so können sie doch vor einer Entwicklung nicht die Augen – und vor allem die Ohren – verschließen: Die Zahl der Dialektsprecher geht ständig zurück. Die Gründe dafür sind vielfältig: Zuzug aus anderen Regionen innerhalb und außerhalb Deutschlands, Abwanderung Jüngerer vor allem aus ländlichen Landstrichen – und die Diskriminierung derjenigen, die gerne Dialekt sprechen, auch im Job – und bei der Suche nach einem Job. Professor Hubert Klausmann ist Sprach- und Dialektforscher an der Universität Tübingen:
    "Also Diskriminierung ist, wenn man jemanden ablehnt und ihm sagt: Sie schwäbeln zu arg. Dabei hat die Person nichts anderes gehabt als einen sch-Laut mal an einer Stelle. Also sowas kommt vor. Es kommt genauso vor, dass in dienstlichen Beurteilungen drinsteht: Unterricht war gut. Aber zu viel Schwäbisch – Notenabzug.")
    Dabei entbehrten solche Beurteilungen – und Urteile - jeglicher Grundlage, so die Erkenntnis von Dialektforscher Hubert Klausmann:
    "Man braucht nicht das Hochdeutsch, um intellektuell zu werden oder kulturell ein hohes Niveau zu erreichen. Wir können beides: Wir können im Dialekt sprechen. Wir können in der Hochsprache sprechen. Aber es ist ein Hochdeutsch in der süddeutschen Form. Und das ist entscheidend. Es gibt nämlich gar kein reines Hochdeutsch. Sogar im Radio gibt es ein eindeutiges norddeutsches oder süddeutsches Hochdeutsch.")
    "Des ischt der Hafer- und Bananen-Blues. Bananen braucht ein jeder Aff – Jedes Pferd ischt ohne Hafer schlaff…")
    "S’Äffle und S‘Pferdle", zwei populäre Zeichentrick-Figuren im SWR-Fernsehen, gelten als Parade-Beispiel für kurzweiliges Dialekt-Kabarett. Doch Dialekte leisten mehr, als zu unterhalten - sie erfüllen eine wichtige gesellschaftliche Funktion.
    "Dialekt sorgt für Nähe. Dialekt berührt den Menschen mehr. Er kommt mehr vom Herzen und kann manchmal auch ein soziales Korrektiv sein.
    Dialekt als Integrationshilfe
    So Professor Werner Metzger, Brauchtumsforscher an der Universität Freiburg:
    "Der Dialekt ist von daher eine Steilvorlage für Kompromisse. Im Dialekt kann man manches 'soft' ausdrücken. Was sonst sehr viel härter und kompromisslos klänge, geht im Dialekt sehr viel leichter."
    Somit kommt der Verwendung von Dialekt eine ur-politische Funktion zu. Hubert Wicker kann das bestätigen: Der Ex-Staatssekretär in der baden-württembergischen Staatskanzlei hat so manches Problem leicht schwäbelnd gelöst:
    "Also ich glaub‘ schon, das ischt auch in Baden-Württemberg so, dass man miteinander redet, und zwar im Dialekt miteinander schwätzt, das trägt eher dazu bei, dass das Problem schneller gelöst wird, als wenn man da ins Schriftdeutsche verfallen würde. Der Dialekt ist sicher nicht das Heilmittel. Aber er hilft. Davon bin ich überzeugt."
    Hinzu kommt: Der Dialekt kann helfen, Integration zu fördern.
    "Man Name ist Khalil Khalil, gebürtig aus Syrien. Schwäbisch und Badisch muss man auch schwätze, um mit den Leuten klarzukomme‘, weisch?")
    Der Endzwanziger, der heute in Baden-Baden lebt, kam vor drei Jahren als Flüchtling nach Deutschland. Vor allem die Dialekte, die er gelernt hat, waren für ihn so etwas wie ein Türöffner in ein neues Leben:
    "Die Dialekte schaffen ein Gefühl der Zugehörigkeit. Und das führt zur Kommunikation. Und Kommunikation ist ein wichtiger Schritt zur Integration."
    Ein Argument mehr, die Pflege der Dialekte zu fördern, beispielsweise in der Schule, beispielsweise aber auch durch Gelder für Dialekt- und Mundartgruppen. In Baden-Württemberg ist die Dialektförderung zur Chefsache geworden. Ministerpräsident Winfried Kretschmann:
    "Dialekt gehört einfach zur sprachlichen Vielfalt. Das ist nichts Unwichtiges. Das ist so wichtig wie der Erhalt von Pflanzen und Tieren. Wenn er mal weg ist, ist er ausgestorben."