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Spreng: Wulff muss "sehr schnell persönlich an die Öffentlichkeit" gehen

"Totale Transparenz herzustellen und alle Fakten auf den Tisch zu legen", sei das Gebot der Stunde für den Bundespräsidenten, meint der ehemalige Chefredakteur der "Bild am Sonntag". Wenn Wulff seiner Rolle als moralisches Vorbild gerecht werden wolle, müsse er "fleckenlos aus dieser Affäre herausgehen", so Michael Spreng.

Michael Spreng im Gespräch mit Silvia Engels | 14.12.2011
    Silvia Engels: Mitgehört hat Michael Spreng, er war früher Chefredakteur der "Bild am Sonntag" und er hat die Wahlkampagne des damaligen Kanzleramts-Bewerbers Stoiber geleitet. Guten Morgen, Herr Spreng.

    Michael Spreng: Guten Morgen!

    Engels: Sie haben gerade mitgehört. Die Frage auch an Sie: Erwarten Sie denn eine Entschuldigung von Bundespräsident Wulff, jetzt mehr mit dem Blick auf seine moralische Verantwortung?

    Spreng: Ich erwarte zumindest von ihm eine ausführliche Erklärung. Ich meine, ich rate jedem Politiker, in solchen Fällen totale Transparenz herzustellen und alle Fakten auf den Tisch zu legen, und er muss natürlich aufklären. Diese Erklärung vor dem Landtag war ja, wenn man so will, eine juristische Trickserei. Er hat die Wahrheit gesagt, aber eben nicht die ganze Wahrheit, und in den Gesamtzusammenhang hätte gehört zu offenbaren, dass das Geld von der Frau des Unternehmers kam. Es ist übrigens von dem Unternehmer selbst mit einem Scheck dann an Wulff geschickt worden. Also dies als nicht geschäftliche Beziehung zu bezeichnen, ist schon eine sehr feine juristische Trickserei, und das muss aufgeklärt werden.

    Engels: Sie kennen ja aus Ihrer langjährigen Praxis die Entwicklung von den verschiedensten Skandalen, welche Eigendynamik solche Entwicklungen nehmen können. Wo sehen Sie da derzeit den Fall Wulff verortet?

    Spreng: Ja natürlich ganz am Anfang. Es gibt Enthüllungen, die durchaus zu kritischen Fragen, Nachfragen Anlass geben. Der entscheidende Punkt bei jedem Skandal ist: Wie reagiert der Betroffene? Viele Politiker stürzen nicht über den eigentlichen Skandal oder die Krise, sondern über ihr Krisenmanagement. Also es kommt jetzt entscheidend darauf an, dass Christian Wulff sehr schnell persönlich an die Öffentlichkeit geht, nicht weiter seine Beamten vorschickt, und das erklärt, wie das damals gekommen ist, warum er diesen Privatkredit überhaupt gebraucht hat. Ich meine, andere Leute gehen zur Bank und nicht zu einer Unternehmersgattin. Also das muss er selbst aufklären, und wenn er das sehr transparent macht und überzeugend, dann kann die Sache auch schnell wieder in sich zusammenbrechen. Es darf halt nur nichts Neues mehr kommen, nicht noch ein paar Unternehmerfreunde.

    Engels: Bei anderen Skandalen erlebt man einen gewissen Automatismus darin, dass die Opposition dann sehr lautstark Konsequenzen bis hin zum Rücktritt fordert. Das ist bislang vergleichsweise verhalten geblieben. Haben Sie eine Erklärung dafür?

    Spreng: Da hat der Bundespräsident gewissermaßen einen Schutzschild. Dadurch, dass er ja kein Parteipolitiker mehr ist und über den Parteien steht als Staatsoberhaupt, hat natürlich jede Opposition Beißhemmungen, den ehemaligen CDU-Politiker so anzugreifen, wie sie einen aktiven Politiker, Parteipolitiker angreifen würde. Das finde ich im Prinzip auch richtig. Der Bundespräsident kann ja nicht behandelt werden wie ein Wahlkampfpartner oder –Gegner. Aber nichts destotrotz entbindet ihn das nicht von der Aufklärung, und ich gehe davon aus, wenn die ausbleibt, dass dann auch aus der Opposition noch härtere Worte kommen.

    Engels: Dann schauen wir selber auf die CDU und auch die FDP. Die deutlichste Verteidigung, die wir bislang gehört haben, kam ausgerechnet von der CSU, von Herrn Dobrindt. Der hatte schon gestern gesagt, er sehe da nichts mehr aufzuklären, und in einem ähnlichen Tenor war heute Philipp Rösler in verschiedenen Medien zu vernehmen. Die CDU-Fraktion selber hat sich auch betont zurückgehalten. Der Parlamentarische Geschäftsführer Altmaier hat sich jetzt mittlerweile zwar auch geäußert, aber die große Verteidigung vonseiten der Union ist noch nicht so richtig angelaufen. Oder haben Sie einen anderen Eindruck?

    Spreng: Ja gut, das Problem ist, wenn ein Bundespräsident von seiner eigenen Partei oder ehemaligen Partei massiv verteidigt wird, dann entsteht der Eindruck, der hat es nötig, und dann ruft das auch wieder Oppositionsabgeordnete auf den Plan. Insofern verstehe ich auch die Zurückhaltung der CDU/CSU. Wieso Herr Dobrindt schon die Affäre aufgeklärt hat, ist mir ein Rätsel. Andere sind da noch nicht so weit. Aber die Zurückhaltung der CDU dient auch dem Zweck, dies jetzt nicht parteipolitisch aufzuschaukeln.

    Engels: Nicht parteipolitisch aufzuschaukeln, aber da ja auch Christian Wulff schon in seinem früheren Amt immer mal wieder im Gerede war, möchte ich es einmal formulieren, kann es sein, dass langsam hier auch im Hintergrund schon nach Alternativen für einen anderen Bundespräsidenten gesucht werden?

    Spreng: Entschuldigung, das ist schwer vorstellbar im Augenblick. Natürlich gibt es immer Planspiele, aber im Augenblick besteht aus meiner Sicht dazu kein Anlass. Der Bundespräsident selbst kann das noch verhindern, aber da er ja ein moralisches Vorbild sein muss in seiner Rolle als Bundespräsident, muss er auch fleckenlos aus dieser Affäre herausgehen. Das ist die Voraussetzung, dass man nicht nachschauen muss, ob man vielleicht doch einen Nachfolger braucht.

    Engels: Diese Geschichte, diese Recherchen sind Ergebnisse der Bildzeitung. Diesem Blatt wird ja gemeinhin, dem Springer-Verlag grundsätzlich, eher eine Nähe zu konservativen Kreisen zugeordnet. Wie ist das jetzt zu erklären, dass das hier offenbar nicht greift'

    Spreng: Na gut, die Leute der Bildzeitung haben nicht nur eine bestimmte politische Meinung, sondern sind ja auch Journalisten, die interessiert sind, Exklusivgeschichten und Scoops zu haben und etwas aufzudecken. Hier ist, glaube ich, schon die investigative Leidenschaft durchgebrochen und ich sehe das nicht in einem politischen Kontext, dass das jetzt einen konspirativen Hintergrund hat.

    Engels: Wenn Sie jetzt auf den Zeithorizont schauen, wie lang hat Christian Wulff Ihrer Ansicht nach Zeit zu reagieren, bevor das Ganze eine Eigendynamik bekommt?

    Spreng: Na gut, wir leben ja jetzt auch durch das Internet in der Echtzeit-Demokratie. Insofern müsste das heute sein.

    Engels: Michael Spreng war das. Er war früher Chefredakteur der "Bild am Sonntag". Er hat damals den Anlauf von Edmund Stoiber in Richtung Kanzleramt begleitet und wir danken ihm, dass er so kurzfristig die Zeit für uns fand. Danke, Herr Spreng.

    Spreng: Ich danke auch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.