Genozid in Bosnien-Herzegowina
Srebrenica wirft Schatten bis in die Gegenwart

Vor 30 Jahren wurden bei dem Genozid von Srebrenica mehr als 8000 Bosniaken ermordet. Wie daran erinnert wird, hängt stark von der ethnischen Herkunft ab.

    Blick auf die Grabsteine der in Srebrenica getöteten Bosnier auf dem Gedenkfriedhof Potočari: Es sind unzählige weiße Stelen aus Stein.
    Zentraler Ort des Gedenkens: Auf dem Friedhof in Potočari sind mehr als 8300 Opfer des Massakers von Srebrenica beigesetzt (picture alliance / Anadolu / Nihad Ibrahimkadic)
    Die Zahl ist erschreckend: Mehr als 8000 Bosniaken, Angehörige der muslimischen Bevölkerung in Bosnien-Herzegowina, wurden vom 11. bis 19. Juli 1995 von Soldaten der Republika Srpska sowie paramilitärischen Einheiten bei der Stadt Srebrenica ermordet.
    Die meisten Opfer waren Männer und Jungen; Frauen, Kinder und Alte wurden mit Bussen in andere Gebiete gebracht. Es war das größte Massaker in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

    Inhalt

    Der 11. Juli ist mittlerweile ein internationaler Gedenktag der Vereinten Nationen für die Opfer von Srebrenica. Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien und der Internationale Gerichtshof stuften die Massenerschießungen als Völkermord ein, weil davon ausgegangen wird, dass die serbischen Truppen das Ziel hatten, die komplette männliche bosnisch-muslimische Bevölkerung der Gegend auszulöschen. In Bosnien-Herzegowina selbst hängt die Erinnerung an das Kriegsverbrechen indes stark von der ethnischen Herkunft ab.

    Wie wird vor Ort an den Genozid erinnert?

    Der zentrale Ort für das Gedenken ist die Gedenkstätte in Potočari, einem Ort nahe Srebrenica. Jedes Jahr am 11. Juli findet hier ein großer Gedenk-Akt statt. Dabei werden neu identifizierte Opfer bestattet. Besucht wird die Veranstaltung vor allem von Angehörigen und Überlebenden sowie bosnischen Politikern. In diesem Jahr wird der ehemalige US-Präsident Bill Clinton als Ehrengast erwartet.
    Teil der Gedenkstätte Potočari ist der markante Friedhof. Hier sind die Gräber der rund 8300 Opfer des Genozids von 1995. Die Gräber sind durch gleichförmige, schmale weiße Grabsteine gekennzeichnet.
    Der Friedhof ist auch ein Ort der Auseinandersetzung um die Deutung der Ereignisse. Davon berichtet Hasan Hasanović. Als er 2003 seinen Vater bestatten wollte, wurde er von serbischen Demonstranten beschimpft und angespuckt.

    Vom Krieg bis heute gebeutelt

    Außerdem gibt es auf dem Gelände eine Ausstellung in den Hallen der ehemaligen Batteriefabrik, dem früheren Stützpunkt des niederländischen UN-Bataillons. Die Blauhelm-Soldaten sollten die auch mit vielen Geflüchteten bewohnte UN-Schutzzone bewachen, konnten diese Aufgabe aber nicht erfüllen. Damit begann das Verbrechen. Dessen Vorgeschichte, Verlauf und Folgen zeigt die Ausstellung. Außerdem berichten Mitarbeiter wie Hasan Hasanović sowie andere Überlebende und Zeitzeugen von ihren Erfahrungen.

    Redaktionell empfohlener externer Inhalt

    Mit Aktivierung des Schalters (Blau) werden externe Inhalte angezeigt und personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt. Deutschlandradio hat darauf keinen Einfluss. Näheres dazu lesen Sie in unserer Datenschutzerklärung. Sie können die Anzeige und die damit verbundene Datenübermittlung mit dem Schalter (Grau) jederzeit wieder deaktivieren.

    Heute gehört Srebrenica zum vor allem von Serben bewohnten bosnischen Teilstaat Republika Srpska. Der einst bekannte Kurort mit Heilquellen hat sich vom Krieg nicht wieder erholt, auch wirtschaftlich ist die Stadt gebeutelt.
    Zudem hat die Gemeinde nur noch rund 15 Prozent seiner Vorkriegsbevölkerung. Stellten die Bosniaken vormals drei Viertel der Bewohner, ist ihr Anteil nun gleichauf mit dem der Serben.

    Wie wirkt der Genozid von Srebrenica fort?

    Der Völkermord von Srebrenica hat 30 Jahre später weitreichende Auswirkungen auf die bosnische Gesellschaft. Die Erinnerung an die Ereignisse von Juli 1995 ist je nach ethnischer Zugehörigkeit gespalten. Das erschwert das Zusammenleben und eine Versöhnung. Dabei stehen sich zwei gegensätzliche Perspektiven gegenüber.
    Im Alltag können Serben und Bosniaken zwar nebeneinander leben, aber das Thema Srebrenica ist oft tabu. Sobald das Thema angesprochen wird, fühlen sich Serben oft angeklagt; manche verweisen reflexhaft auf die eigenen Opfer des Krieges. Offene Gespräche über das Erlebte sind kaum möglich.
    Seit 2021 ist es in Bosnien-Herzegowina verboten, den Völkermord in Srebrenica oder andere Kriegsverbrechen aus dem Bosnien-Krieg (1992-1995) zu leugnen, zu verharmlosen, öffentlich zu billigen oder zu rechtfertigen. Dieses Gesetz wurde nicht vom bosnischen Parlament beschlossen, sondern vom damaligen Hohen Repräsentanten Valentin Inzko erlassen, dem Vertreter der internationalen Gemeinschaft in dem ehemaligen Kriegsland.

    Kleinreden, relativieren, leugnen

    Damit entsprach Inzko dem Wunsch der Mehrheit der muslimischen Bosniaken, die der Opfer von Srebrenica gedenken und von der serbischen Seite die Anerkennung des Massakers als Völkermord fordern. Vereine wie die "Mütter von Srebrenica" kämpfen zudem gegen serbischen Nationalismus. Das Leugnen der Verbrechen durch die serbische Seite bedeutet für Überlebende eine Leugnung ihrer Identität und ihrer Vergangenheit.

    Redaktionell empfohlener externer Inhalt

    Mit Aktivierung des Schalters (Blau) werden externe Inhalte angezeigt und personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt. Deutschlandradio hat darauf keinen Einfluss. Näheres dazu lesen Sie in unserer Datenschutzerklärung. Sie können die Anzeige und die damit verbundene Datenübermittlung mit dem Schalter (Grau) jederzeit wieder deaktivieren.

    Von serbischer Seite werden die Geschehnisse von Juli 1995 kleingeredet, teilweise geleugnet oder sogar verherrlicht. Eine prominente Position hat Milorad Dodik inne, der Präsident des vor allem von Serben bewohnten Teilstaats Republika Srpska. 
    Während er 2007 noch von einem Genozid in Srebrenica sprach, vollzog er 2010 eine Kehrtwende. Seitdem relativiert er die Opferzahlen und bestreitet, dass es in Srebrenica einen Völkermord gegeben hat.

    Warum leugnen serbische Politiker die Verbrechen von Srebrenica?

    Die serbische Perspektive ist durch die eigenen Opfer in den Kriegen der 1990er-Jahre geprägt. In einer Gedenkstätte in Bratunac, einer Nachbarstadt von Srebrenica, wird etwa nur der serbischen Kriegsopfer gedacht. Im Mittelpunkt der Erzählung stehen Angriffe auf von Serben bewohnte Dörfer durch bosniakische Truppen unter der Führung von Naser Orić, einem ehemaligen Leibwächter des serbischen Präsidenten Slobodan Milošević. Bei diesen Überfällen kam es immer wieder zu Kriegsverbrechen mit vielen Toten.

    Zeitdokumente

    Diese Sicht wird durch die Entscheidungen des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag verstärkt, der als "serbenfeindliche Institution" angesehen wird.
    Dazu haben unter anderem der Freispruch für Orić in der zweiten Instanz sowie Haftstrafen für serbische Kommandanten und Politiker beigetragen. Viele Politiker in der Republika Srpska weisen die Einstufung des Massakers von Srebrenica als Völkermord als ungerechtfertigt zurück.

    Wenig Wissen über Kriege der 1990er-Jahre

    Diese Sicht auf die Konflikte ist auch in Serbien verbreitet, das enge Verbindungen zur bosnischen Teilrepublik unterhält. Zwar besuchte der serbische Präsident Aleksandar Vučić im Jahr 2015 den Gedenk-Akt in Potočari, wo er angegriffen wurde; 2024 wies er eine UN-Resolution für einen Gedenktag in Srebrenica mit der Begründung zurück, dass damit 30 Jahre alte Wunden auf dem Balkan wieder aufgerissen würden.
    In Serbien und in der Republika Srpska werden ehemalige Militärs als Helden verehrt, selbst wenn sie verurteilte Kriegsverbrecher sind. Beispielsweise sorgte 2021 ein Wandbild in Belgrad für Aufmerksamkeit. Es zeigte das Porträt von Ratko Mladić. Dieser kommandierte 1995 die serbischen Truppen, die Srebrenica eingenommen, die bosniakischen Männer ermordet und Frauen, Kinder sowie Alte vertrieben hatten.
    Das Wissen über die Geschehnisse des Bosnien-Krieges ist in der serbischen Teilrepublik wie auch in Serbien sehr gering. In der Schule wird kaum oder gar nicht darüber gesprochen, entsprechend wenig wissen Schüler darüber.
    Manchen ist nicht einmal bekannt, dass die Opfer von Srebrenica muslimische Bosniaken waren. Andere haben kein Wissen über diese Zeit. Auch dies macht es absehbar schwer möglich, dass Bosniaken und Serben die Gewalt aufarbeiten oder sich gar versöhnen.

    rzr

    Redaktionell empfohlener externer Inhalt

    Mit Aktivierung des Schalters (Blau) werden externe Inhalte angezeigt und personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt. Deutschlandradio hat darauf keinen Einfluss. Näheres dazu lesen Sie in unserer Datenschutzerklärung. Sie können die Anzeige und die damit verbundene Datenübermittlung mit dem Schalter (Grau) jederzeit wieder deaktivieren.