Donnerstag, 28. März 2024

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Staatliche Hilfen für Unternehmen
"Nur Hilfe in Anspruch nehmen, wenn man sie nötig hat"

Zu viele Firmen hätten in der Finanzkrise Milliarden vom Staat akzeptiert und trotzdem weiter Geschäfte zu Lasten des Steuerzahlers gemacht, kritisierte der Verbraucherschützer Gerhard Schick im Dlf. In der Coronakrise sollten sie nur dann Staatshilfen bekommen, wenn sie ihre Aktivitäten offenlegten.

Gerhard Schick im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 25.04.2020
Leere Gaenge und Rolltreppen und geschlossene Läden wegen der Corona Pandemie.
Die Bundesregierung hat verschiedene Hilfsprogramme aufgelegt, um Unternehmen in Deutschland vor akuten Liquiditätsproblemen zu bewahren. (picture-alliance/Sven Simon )
In der Coronakrise will der Staat notfalls Firmen mit Milliarden unterstützen. Verbraucherschützer Gerhard Schick hat in der Finanzkrise 2008/2009 als Bundestagspolitiker erlebt, welche Fehler man dabei machen kann. Es sei damals vorgekommen, dass Unternehmen Milliarden vom Staat akzeptiert und trotzdem weiter Geschäfte zu Lasten des Steuerzahlers gemacht hätten.
Schick saß von 2005 bis 2018 für die Grünen im Bundestag und war Mitglied im Finanzausschuss. Seit 2018 ist er Vorstand der "Bürgerbewegung Finanzwende" für eine nachhaltige Finanzwirtschaft.

Es müsse sichergestellt werden, dass vom Staat unterstützte Firmen keine Gewinne in Niedrigsteuerländer oder Schattenfinanzzentren verschöben. Es sei auch eine Frage der Solidarität, nur solche Hilfe in Anspruch zu nehmen, die man auch nötig habe.

Jürgen Zurheide: Herr Schick, für Sie passt das nicht zusammen, das unterstelle ich mal, was passt da für Sie nicht zusammen?
Gerhard Schick: Ich habe das in der Finanzkrise und bei der Bankenrettung erlebt, wie Unternehmen auf der einen Seite Milliarden vom Staat akzeptiert haben als Eigenkapitalhilfe oder Garantien und auf der anderen Seite es nicht besonders eilig hatten, aus Steueroasen herauszugehen, da ging es um die Weißgeldstrategie, also die Unterstützung von möglicher Steuerhinterziehung oder auch um die Cum-Ex-Geschäfte oder Cum-Cum-Geschäfte, also Steuertricks am Finanzmarkt, die dem Steuerzahler direkt geschadet haben.
Ich finde, der Steuerzahler muss sich vor solchen Strategien schützen. Wenn wir Unternehmen helfen, muss es bestimmte Bedingungen geben, damit nicht sozusagen dem Notarzt bei seinem Einsatz in die Tasche gegriffen wird.
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"Das ist eine Frage der Solidarität"
Zurheide: Bevor wir jetzt über diese Finanztricksereien oder Gestaltungen reden, will ich mal vorher zwei Dinge sagen: Also Dividenden, Aktienrückkäufe und Kurzarbeitergeld kassieren, das alles, sagen manche, geht nicht. Sehen Sie das auch so?
Schick: Ja, ich meine das Argument für die Hilfen jetzt über die KfW oder über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds haben ja die Logik, den Unternehmen geht es schlecht, deswegen braucht es staatliche Unterstützung. Zu dieser Analyse, dem Unternehmen geht es schlecht, passt es ja nicht, wenn ich jetzt noch großzügig Gewinne ausschütte an die Aktionäre oder Eigentümer oder dem Vorstand einen Bonus zahle.
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Zurheide: Das Argument lautet ja, das war ja im vergangenen Jahr.
Schick: Ja, das bezieht sich auf Gewinne aus dem vergangenen Jahr, aber jetzt in dieser Situation gilt es eben, das Geld zusammenzuhalten, deswegen ist es richtig, dass der Staat sagt, es gibt Bedingungen, wir helfen nur subsidiär – und solange das Unternehmen die Möglichkeit hat, diese Gewinne aus dem letzten Jahr nicht auszuschütten, sollte es erst mal die eigenen Ressourcen nutzen, das ist schließlich eine Frage der Solidarität, dass man nur dann Hilfe in Anspruch nimmt, wenn man sie wirklich nötig hat.

Zurheide: Jetzt kommen wir auf die, ja, wie man es bezeichnen möchte, Kreativität auf der einen Seite oder auch vielleicht manchmal Illegalität, dass Unternehmen bewusst Gewinne dahin verlagern, wo die Steuern einfach niedriger sind. Erstens, das ist so nett dahingesagt, wissen wir da eigentlich genau, worüber wir reden?
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Schick: Ganz genaue Zahlen gibt es natürlich nicht, weil das ja gerade ein Phänomen ist, was Schattenfinanzzentren betrifft und Verlagerungen dahin nicht öffentlich sind. Aber es gibt sehr plausible Schätzungen, die sagen, dass da jährlich der Schaden ungefähr bei 600 Milliarden Dollar liegt durch die Verlagerung in Niedrigsteuerländer oder Schattenfinanzzentren.
Zurheide: Was ist jetzt die Basis, die Bezugsbasis für 600 Milliarden?
Schick: Im Jahr ist das die Verlagerung. Und wenn man mal schaut, was das für Deutschland bedeuten würde, sind wir auf jeden Fall bei einem relevanten zweistelligen Milliardenbetrag. Interessant ist, dass in diesen Schätzungen die europäischen Staaten eine besondere Rolle spielen, weil eben in unserem Wirtschaftsraum solche Finanzzentren sind, die das Spiel ganz besonders betreiben, die Niederlande, Irland, Malta, Luxemburg, deswegen ist der Kampf dagegen in Europa bisher sehr schwierig gewesen, weil nämlich die Profiteure dieses Systems im Europäischen Rat mit am Tisch sitzen.
"Man versucht, Gewinne in Länder zu verschieben, wo wenig versteuert wird"
Zurheide: Jetzt soll es ja so eine Art Register geben, wo man mindestens die Gestaltungsmöglichkeiten sieht, das wird auch gerade von Deutschland blockiert. Was würde das helfen, wenn das nicht so wäre?
Schick: Wenn man sehen, welcher Anteil der Steuern und welcher Anteil der Wertschöpfung in welchem Mitgliedsland gezahlt oder erwirtschaftet wird, dann kann man diese Verlagerungsstrategien sehen. Bei den Banken zum Beispiel wurde eben eine solche Transparenz durchgesetzt, da kann man feststellen, dass da plötzlich in einer Filiale die Mitarbeiter, die in Malta sitzen, ein deutlich größeres wirtschaftliches Ergebnis erzielen als die, die in Frankfurt sitzen. Und das ist natürlich unplausibel, sondern das legt eben solche Gewinnverlagerungen offen, wo man versucht, Gewinne in Länder zu verschieben, wo wenig versteuert wird. Und deswegen ist das ein ganz wichtiger Schritt, das erst mal offenzulegen, damit man es danach bekämpfen kann.
Zurheide: Was verlangen Sie konkret?
Schick: Jetzt hier in dieser Krise ist meine Forderung, dass Unternehmen keine steuerlichen Vorteile durch die Nutzung von Schattenfinanzzentren nutzen sollten. Und damit man das sehen kann, ob sie das nutzen, sollten die Unternehmen verpflichtet werden, die jetzt staatliche Hilfe haben, dass sie diese Transparenz bei dem sogenannten Country-by-Country-Reporting auch herstellen – will heißen, ein Unternehmen, das staatliche Hilfe in Anspruch nimmt, muss offenlegen, welchen Anteil seiner wirtschaftlichen Aktivitäten es zum Beispiel in Malta oder Luxemburg hat und wie dieser Anteil der Steuerzahlung dort ist, damit man solche Verschiebungen sehen kann. Und es muss in den Bedingungen für die Hilfen drinstehen, dass dann solche Verlagerungen auch unterbunden werden können.
Der Grünen-Politiker Gerhard Schick am 10.9.2016 beim Kleinen Parteitag in Berlin.
Verbraucherschützer Gerhard Schick ist Vorstand im Verein "Bürgerbewegung Finanzwende" (imago / IPON)
Zurheide: Ein anderes Thema in diesen Tagen ist, dass möglicherweise, so sagen viele, die Steuern erhöht werden müssen, wenn wir uns mal am Ende dieser Krise befinden, wiederum andere weisen darauf hin, dass es eine Menge Steuerbetrug heute gibt, Umsatzsteuerbetrug und viele andere Dinge. Wie valide ist dieses Argument für Sie, dass man da vielleicht erst mal mit anfängt, und über welche Summen reden wir da?
Schick: Ich glaube, dass man, solange wir noch in einer sehr frühen Phase dieser durch Corona ausgelösten Wirtschaftskrise sind, erst mal sich ein Bild von Verlierern und Gewinnern verschaffen muss, um dann zielgerichtet zu einem Lastenausgleich zu kommen. Was man aber sofort machen muss, ist natürlich versuchen, so wenig wie möglich in betrügerische Kanäle fließen zu lassen. Und genau in diese Richtung geht ja die Forderung, eben auch zu versuchen, dass man eben auch in Richtung Schattenfinanzzentren den Abfluss stoppt. Man wird so etwas in einer Krise nie ganz verhindern können, aber man muss auf jeden Fall versuchen, das sind wir, glaube ich, den ehrlichen Steuerzahlern, die ihr Geld einsetzen, schuldig.
Zurheide: Über welche Summen reden wir da, ist das wieder schwierig zu schätzen, das liegt in der Natur der Sache, oder sagen Sie auch, das ist eine erhebliche Größenordnung?
Schick: Ich halte es für eine erhebliche Größenordnung, aber in der Natur der Sache liegt, dass wir hierzu keine klaren Zahlen vorliegen haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.