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Städtetag: Keine Klagewelle zu Kita-Plätzen zu erwarten

Den Eltern gehe es um Betreuungsplätze, nicht um Gerichtsverfahren, meint Ulrich Maly (SPD), Präsident des Deutschen Städtetages und Oberbürgermeister von Nürnberg. Deshalb rechne er nicht mit einer Klagewelle. Einen Überblick über fehlende Plätze werde es im Herbst geben.

Ulrich Maly im Gespräch mit Christiane Kaess | 01.08.2013
    Christiane Kaess: Heute ist der Stichtag – wer einen Krippenplatz für sein Kind sucht, das unter drei Jahren alt ist, hat ab jetzt einen Rechtsanspruch darauf, oder auf die Betreuung in der Kindertagespflege. Gleichzeitig können ab heute diejenigen, die ihre Kleinkinder zu Hause betreuen, das Betreuungsgeld beantragen, zunächst sind das 100 Euro monatlich.

    Heute, am Stichtag, gibt es laut Familienministerium annähernd ausreichend Krippenplätze, allerdings ist die Situation regional sehr unterschiedlich, in vielen Großstädten werden nicht alle Eltern, die sich einen Krippenplatz wünschen, auch einen bekommen. Darüber wollen wir sprechen mit dem Präsidenten des Deutschen Städtetages, Ulrich Maly von der SPD, er ist auch Oberbürgermeister von Nürnberg. Guten Morgen!

    Ulrich Maly: Guten Morgen, Frau Kaess!

    Kaess: Herr Maly, haben Sie schon einen Überblick darüber, wie viele Klagen auf die Städte und Kommunen zukommen werden von Eltern, die leer ausgehen bei der Vergabe von Krippenplätzen?

    Maly: Nein, haben wir nicht. Wir versuchen, es auszuwerten, wir fragen die großen Mitgliedsstädte, wie die Lage ist. Es ist so, wie wir es eigentlich seit einigen Wochen sagen, es ist jetzt keine Klagewelle zum 01.08. zu erwarten, was für mich auch erklärbar ist, denn die Eltern, die zu uns kommen, suchen ja nicht einen Gerichtssaal, sondern einen Betreuungsplatz, und in fast allen Städten gibt es in den Jugendämtern entsprechende Koordinierungsstellen, die versuchen, dann auch das Kind auf den richtigen Platz zu kriegen.

    Kaess: Viele Klagen, Herr Maly, werden aber auch eventuell deshalb nicht zustande kommen, weil die Klagen ja auch wenig Aussicht auf Erfolg haben: Die Richter können keine weiteren Krippenplätze schaffen. Haben die Städte und Kommunen also gar nichts zu befürchten?

    Maly: Nein, das stimmt nicht, es gibt schon Konstellationen – man hat das jetzt in Köln gesehen, da hat das Verwaltungsgericht ein Urteil gefällt – , in denen sicher möglicherweise mal ein Schadenersatz fällig wird, wenn denn Schaden eingetreten ist. Ich meine aber, dass das nicht eigentlich der Kern des Problems ist. Der Kern des Problems ist dann in dem Fall der nicht vorhandene Betreuungsplatz, und um den kümmern wir uns.

    Ich glaube nicht, dass die Eltern, Alleinerziehende, die da Not empfinden im Moment und dringend einen Krippenplatz brauchen, dass das Prozesshandler sind, die jetzt um jeden Preis vor Gericht ziehen wollen, um Schadenersatz zu erzielen. Die wollen Betreuung, und die versuchen wir zu liefern.

    Kaess: Aber was sagen Sie denn Eltern, die keinen Platz bekommen? Manche bringt das ja direkt in existenzielle Nöte, wenn sie zum Beispiel nicht arbeiten gehen können, weil sie keine Betreuung für ihr Kind haben.

    Maly: Ja, zunächst mal ist natürlich das Erstbeste der Kinderkrippenplatz oder die Tagesmutter, aber es gibt noch eine Reihe weiterer Möglichkeiten. Man kann in Spielegruppen gehen, man kann in altersübergreifende Einrichtungen gehen – wir versuchen, die Probleme zu lösen, und dort, wo das nicht geht, bleibt am Ende sicherlich eine gewisse Verbitterung, aber mir ist jetzt aus keiner Stadt bekannt, dass es große Zahlen von unversorgten Kindern gibt.

    Es ist auch so, dass – Entschuldigung –, es ist auch so, dass dieser Rechtsanspruch jetzt am 1. August in Kraft tritt, dass aber in der Regel das Kinderkrippenjahr ja ein Jahr ist, das erst langsam im Herbst beginnt. Man bringt die ganz Kleinen ja nicht von heute auf morgen acht Stunden in die Einrichtung, sondern das beginnt mit einem Tag, mit einem halben Tag. Man wird erst dann genau einen Überblick über die Zahl möglicherweise fehlender Plätze kriegen, irgendwann Ende September, Anfang Oktober.

    Kaess: Dennoch hat die Bundesfamilienministerin Kristina Schröder den Eltern, die leer ausgehen, nahegelegt zu klagen. Hat sie recht?

    Maly: Nein, ich habe … war völlig sprachlos, was auch bei mir selten vorkommt, als ich das gestern gehört habe, denn klagen muss ja nur der, der keinen Platz kriegt, aber es ist in der Tat so, dass die Klage auch keinen neuen Platz schafft. Wenn man sich noch mal zurückerinnert, wie das Ganze zustande gekommen ist, also großes Gemeinschaftsprojekt von Bund, Ländern und Gemeinden – wir investieren in Deutschland endlich in die frühkindliche Betreuung –, und wenn jetzt einer dieser drei Partner, die ein großes Projekt gemeinsam stemmen, die Eltern dazu aufruft, gegen die Städte zu klagen, dann ist das kein Beitrag zur Problemlösung, sondern ein Beitrag zur Politikverdrossenheit.

    Kaess: Aber der politische Beschluss, den Sie ansprechen, Herr Maly, der ist im Jahr 2007 gefallen, das ist doch eigentlich ausreichend Zeit für alle Beteiligten, sich darauf einzustellen.

    Maly: Nein, das ist nicht ausreichend, Frau Kaess. Wir waren damals – der Bundespräsident Köhler hat gesagt – in der frühkindlichen Betreuung ein Entwicklungsland. Das heißt, es hat Länder gegeben in Deutschland, da gab es praktisch keine Angebote. Und die Kommunen haben es in der Zeit mithilfe von Bund und Ländern – allerdings nur mit finanzieller Hilfe – geschafft, eine Quote von wahrscheinlich knapp heute 40 Prozent aus dem Boden zu stampfen.

    Und das ist eine großartige Leistung, und insofern ist es nicht so, dass wir innerhalb von fünf, sechs Jahren in verdichteten Großstädten jetzt die Standorte findet, die Erzieherinnen findet, das Baurecht kriegt, die Freiflächen findet, die man für die Kinderkrippe braucht, und man die dann so praktisch aus dem Ärmel schüttelt. Dahinter steht im Moment eine riesige Kraftanstrengung aller deutschen Städte.

    Kaess: Aber der Prozess ist an manchen Stellen zumindest doch öfter mal holprig gelaufen. Die Bundesfamilienministerin Kristina Schröder hat immer wieder Kommunen und Länder ermahnt, die Mittel, die der Bund zur Verfügung gestellt hat, auch tatsächlich zu verwenden. Wieso waren Sie da so zögerlich?

    Maly: Wir waren nicht zögerlich. Die allermeisten Mittel sind ausgegeben, es gibt aber Bundesländer, da sind die Städte so arm, dass sie tatsächlich Probleme hatten, ihre Kofinanzierungen hinzukriegen. Das sind dann die Städte, die in Nordrhein-Westfalen unter Haushaltssicherungskonzept stehen und Ähnliches mehr.

    Es gibt Städte, wo nicht das Geld der Engpass war, sondern der zu findende Standort im verdichteten Innenstadtbereich, und es gibt Städte, wo tatsächlich auch die fehlenden Erzieherinnen der Engpass waren. Ich kenne keinen Bürgermeisterkollegen, der sich nicht nach Kräften bemüht hat.

    Kaess: Und genau um diese zu wenig ausgebildeten Erzieher geht es jetzt auch in der Diskussion. Können Sie die Qualität denn überhaupt garantieren?

    Maly: Ja, können wir. Es gibt … es war für uns immer klar, dass wir keine Billigangebote machen. Wir haben in der Zeit, als wir jetzt die Kinderkrippen gebaut haben, die Anstellungsschlüssel bei den Kindergärten überall abgesenkt, also dort die Qualität erhöht, es gibt in keinem Bundesland eine Betriebsgenehmigung für eine Kinderkrippe, wenn nicht der Fachkräfteschlüssel stimmt.

    Kaess: Das heißt, die ausgebildeten Erzieher sind in vollem Umfang, so, wie man sie benötigt, vorhanden?

    Maly: Im Moment noch, aber wir nehmen ja – Sie haben es vorhin in dem Trailer gesagt –, wir nehmen ja praktisch täglich neue Einrichtungen in Betrieb, also wir gehen schon sehenden Auges in eine Bedarfslücke auch bei den Erziehern und Erzieherinnen.

    Kaess: Herr Maly, was die Finanzen betrifft, hat die Stadt doch eigentlich eine ganz wichtige Stellschraube hier: Sie kann doch von Eltern, denen das finanziell zuzumuten ist, die Betreuung … verlangen, die Betreuung zu zahlen. Nur steht das im Widerspruch zu der SPD-Forderung nach gebührenfreien Kitaplätzen. Was sagen Sie dazu?

    Maly: Die Stadt muss erst einmal investieren, und die Engpässe bei den Gemeinden, die ganz arm sind, liegen im Investitionshaushalt. Die haben in aller Regel von ihren Rechtsaufsichtsbehörden das Verbot, neue Investitionen mit Folgekosten einzugehen, und dann stellt sich gar nicht die Frage, ob man das später über Gebühren teilfinanziert – in der Regel finanziert man es nicht ganz, wir sind ja immer auch mindestens mit einem Drittel dabei als Kommunen, die Frage stellt sich für die gar nicht, insofern ist das nicht der Zusammenhang.

    Die Frage der Gebührenfreiheit von Kindertagesstätten, da geht es auch im Programm der SPD nicht um die Kinderkrippen, sondern um die Kindertagesstätten, das ist eine politische Frage. Wir als Kommunalpolitiker sehen das durchaus mit gemischten Gefühlen, denn wir haben nahezu in allen deutschen Städten die sogenannten Jugendhilfeleistungen, die denjenigen Eltern, die sich die Beiträge heute nicht oder nur teilweise leisten können, ja jetzt schon hilft.

    Kaess: Sagt der Präsident des Deutschen Städtetages, Ulrich Maly von der SPD. Und er ist auch Oberbürgermeister von Nürnberg. Danke für das Gespräch heute Morgen, Herr Maly!

    Maly: Bitte schön, Frau Kaess!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.