Donnerstag, 18. April 2024

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Steinbach: Gaddafis Stunden sind gezählt

Der Nahost-Experte Udo Steinbach hegt keine Zweifel mehr am Ende der Gaddafi-Herrschaft. Er befürchtet jedoch, dass es innerhalb des libyschen Übergangsrates zu machtpolitischen Auseinandersetzungen kommen könnte. Der internationalen Gemeinschaft empfiehlt er, sich weitgehend aus Libyen zurückzuziehen.

Christian Bremkamp im Gespräch mit Udo Steinbach | 22.08.2011
    Christian Bremkamp: Sechs Monate nach Beginn des Bürgerkriegs in Libyen feiern die Rebellen ihren Sieg über Machthaber Muammar al-Gaddafi. Doch auch nach dem rasanten Vormarsch der Aufständischen am Wochenende und in der Nacht geben sich Gaddafis Kämpfer in Tripolis noch nicht geschlagen. Nachrichtenagenturen berichten von anhaltenden Kämpfen, Panzer der Regierungstruppen sollen Ziele in der Innenstadt unter Beschuss genommen haben.
    Der nationale Übergangsrat bereitet sich nach eigenen Angaben auf die Machtübernahme im Land vor. Eine Meldung, auf die monatelang gewartet worden war, auch in Berlin. Am Telefon begrüße ich jetzt den Islamwissenschaftler und früheren Leiter des Deutschen Orient-Instituts, Udo Steinbach. Guten Tag, Herr Steinbach!

    Udo Steinbach: Schönen guten Tag!

    Bremkamp: Viele Menschen in Libyen jubeln und auch in Berlin werden die jüngsten Ereignisse mit großer Erleichterung aufgenommen. Teilen Sie diese Freude?

    Steinbach: Freude nicht auf meiner Seite, aber Erleichterung, denn nunmehr liegt der Ball wieder im Hof des libyschen Volkes. Der Diktator ist nicht mehr da, oder seine Stunden sind gezählt. Den NATO-Eingriff und –Angriff habe ich immer sehr skeptisch gesehen. Das ist nun auch Vergangenheit und jetzt kann man nur hoffen, dass der Übergangsrat sehr schnell sehr weise Entschlüsse und Entscheidungen trifft, und die größte Weisheit liegt natürlich nun darin, möglichst breite Teile des libyschen Volkes einzuladen, auch jene Teile, die sehr lange, vielleicht sogar bis zuletzt aufseiten des Diktators gestanden haben, an der Gestaltung teilzuhaben.

    Bremkamp: Noch wird in Tripolis ja gekämpft und wohl auch an anderen Orten. Gehen Sie davon aus, dass die Tage des Gaddafi-Regimes jetzt wirklich gezählt sind, dass das das Ende ist?

    Steinbach: Ja, aber daran ist kein Zweifel. Nachdem so viele ihn verlassen haben, nachdem drei seiner Söhne verhaftet worden sind, er irgendwo untergetaucht ist, mit erratischen Reden das Volk aufzuhetzen versucht, das ihm nicht mehr zuhört, er scheint jegliche Bodenhaftung verloren zu haben. Schon seit Langem, seit Wochen hat er ja nicht mehr das Heft des Handelns in der Hand; das Heft des Handelns lag bei den Rebellen, lag vor allen Dingen auch bei der internationalen Gemeinschaft. Also das ist nun wirklich das Endspiel.

    Bremkamp: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum die Rebellen gerade jetzt nach Tripolis vordringen konnten? Lange Zeit gab es ja so etwas wie eine Pattsituation.

    Steinbach: Das ist richtig. Aber die internationale Unterstützung hat sich doch in wachsendem Maße nachhaltig ausgewirkt, und damit spreche ich nicht nur von der Luftwaffe, die dort mitgewirkt hat, sondern ich spreche auch doch von den wahrscheinlich nicht geringen Militärberatern, zum Beispiel britischen Militärberatern, von deren Präsenz man weiß, und das sind Profis und so hat sich sehr schnell die Qualität dieser Armee verbessert. Sie haben erste Erfolge errungen, und als das geschah, dann verließen die Ratten das sinkende Schiff, und damit meine ich die Regimeanhänger oder ein Mann wie Dschalud, ein Mann der ersten Stunde mit Gaddafi von 1969 und vorher, die beiden sind schon auf die Militärakademie damals gegangen. Also das waren doch Symptome dafür, dass der Zusammenbruch des Regimes unmittelbar bevorstehen würde.

    Bremkamp: Also war diese internationale Unterstützung für die Rebellen vielleicht doch nicht so falsch? Sie haben ja eben gesagt, zu Beginn wären Sie skeptisch gewesen.

    Steinbach: Ja! Ich stehe auch heute noch auf dem Standpunkt, dass man es hätte anders machen müssen, dass möglicherweise – und das werden ja die nächsten Wochen und Monate zeigen – der westliche Eingriff eben doch auch Gegenkräfte genährt hat, dass man viele Fehlentwicklungen, die jetzt anstehen, die anstehen könnten, auf den Westen, auf seine militärische Einmischung schieben könnte. Also wir sind noch längst nicht gerechtfertigt. Aber ich denke einmal, nun, wir müssen einfach den Tatbestand nehmen, auf den wir ja alle zugearbeitet haben, die Militärs, die europäischen Regierungen, die amerikanische Regierung, nämlich das Ende des Gaddafi-Regimes. Das ist erreicht und noch einmal: Nun müssen wir uns wieder zurückziehen, zurückhalten, zumal militärisch, und den Stab in die Hände der Libyer selbst übergeben.

    Bremkamp: Herr Steinbach, wer ist eigentlich dieser Übergangsrat, der jetzt die Macht übernehmen will, soll? Wie ist er einzuschätzen?

    Steinbach: Ja, das ist die Frage, die uns jetzt schon zu dieser Stunde umtreibt. Das sind Leute des alten Regimes zum Teil, deren Namen wir kennen, die vor längerer Zeit übergelaufen sind. Werden sie wirklich Legitimation haben? Sie werden unterstützt durch Räte, die sich mittlerweile in den einzelnen Flecken, in den Städten gebildet haben. Also werden sie wirklich in der Lage sein, Legitimation, Rechtfertigung von Machtausübung zu erringen, und wie werden sie das machen? Oder wird es nicht sogar – und die Indizien dafür haben wir in den letzten Wochen erlebt – zu Insides kommen, zu machtpolitischen, auch gewalttätigen Auseinandersetzungen innerhalb des Übergangsrates selber? Also eine Vielzahl von Unsicherheiten, aber nachdem die Dinge so sind, wie sie sind, wir müssen das konstruktiv nehmen und gemeinsam mit den Libyern in die Zukunft denken.

    Bremkamp: Daran möchte ich die Frage anschließen: Für wie demokratiefähig halten Sie das Land überhaupt?

    Steinbach: Also wenn Sie unter Demokratie Westminster oder Berlin verstehen, dann lagen wir oder lägen die, die es so verstehen, von Anfang an falsch. Es muss ein offenes Regime sein, ein Regime, das der Vielfalt der Libyer die Möglichkeit gibt, teilzuhaben. Das kann aber auf vielfältige Weise geschehen. Und eines ist klar: Libyen hat eigentümliche, starke eigentümliche Traditionen, die in das System eingehen werden, und die eine Tradition ist der Islam, nicht der militante Islam, sondern eher ein sufischer, ein mystischer Islam. Und das andere ist das Stammeswesen, aber auch das Stammeswesen ist ja letzten Endes an demokratische Mitbestimmung, nämlich der Stammesmitglieder selbst, gewöhnt.

    Bremkamp: Wie geht es jetzt mit Muammar al-Gaddafi weiter? Derzeit weiß man nicht, wo er sich aufhält. Was glauben Sie, Exil oder Strafgerichtshof?

    Steinbach: Also am Ende Strafgerichtshof. Wo will er hin? Es gibt nicht viele, die sich der Anklage verweigern würden. Ich vermute mal, dass er irgendwo in einer Nachbarzelle von Herrn Mladic untergebracht wird.

    Bremkamp: Welche Rolle kommt jetzt auf Deutschland zu? An den Luftangriffen hat sich die Bundeswehr nicht beteiligt. Glauben Sie, dass wir uns weiter heraushalten werden können, sollten?

    Steinbach: Wir haben uns ja gar nicht herausgehalten. Wir haben uns aus dem Luftangriff herausgehalten, das fand ich richtig. Aber der Außenminister und alle, die ganze politische Klasse in Berlin hat doch von Anfang an gesagt, das Regime ist am Ende, wir gehen davon aus, dass es ein neues Regime geben wird, und man hat erste Schritte der politischen Unterstützung, aber auch der wirtschaftlichen Unterstützung in Richtung auf den Übergangsrat unternommen. Wir haben uns also schon engagiert und ich glaube, nach der Geschichte der deutsch-arabischen Beziehungen, die durchweg positiv sind, werden wir keinen großen Nachholbedarf haben, was die Zusammenarbeit mit Libyen betrifft, gegenüber denen, die bei der Militäraktion beteiligt waren.

    Bremkamp: Was kann, soll, muss Deutschland denn jetzt machen? In welcher Form sollte sich Deutschland dort einbringen?

    Steinbach: Also es ist ja ungeheuer viel politischer Rat zu geben, mehr Rat eigentlich als im Falle von Tunesien und von Ägypten. Da waren die politischen Stiftungen zum Beispiel lange Zeit präsent. Das ist nicht der Fall in Libyen. Also ganz behutsam einmal anklopfen, was sind eigentlich eure Probleme, und dann sehen, wie man diese Probleme gemeinsam löst. Es ist von der wirtschaftlichen Komponente gesprochen, die mag auch wichtig sein, aber wir dürfen nicht vergessen, dass anders als Ägypten und insbesondere Tunesien Libyen ein im Prinzip reiches Land ist. Also wenn unsere Hilfestellung dort gefragt ist, dann nicht in dem Sinne, dass wir wirtschaftlich unmittelbare Unterstützung leisten, sondern indem wir beraten, wie man den Reichtum des Landes nun so verteilt, dass er mit demokratischen Strukturen kompatibel ist.

    Bremkamp: Abschlussfrage mit Bitte um kurze Antwort. Glauben Sie denn, dass deutsche Soldaten, Polizisten, Experten oder wer auch immer in Libyen überhaupt willkommen sind?

    Steinbach: Das werden uns die Libyer selber zeigen und sagen müssen. Soldaten wäre ich sehr skeptisch. Von dieser Eingreiftruppe, von der jetzt schon wieder die Rede ist, na da sollten wir mal sehr lange zuwarten. Aber wenn sie wollen, dass wir im Polizeibereich Ausbildung leisten, Ausbildungshilfe leisten, und wenn sie das expressis verbis äußern, dann sollten wir uns dem nicht verschließen.

    Bremkamp: Der Islamwissenschaftler Udo Steinbach war das. Ich danke Ihnen für diese Informationen und Einschätzungen.

    Steinbach: Danke schön.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.