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Sterben mit Lepra
Siechenfriedhof bei Aachen wird untersucht

Archäologie. - Wenn Archäologen die Schaufel beiseite legen, ist ihre Arbeit noch lange nicht erledigt. Denn im Anschluss an eine Grabung müssen Wissenschaftler das auswerten, was die Schaufeln ans Tageslicht befördert haben. Das kann zuweilen lange dauern, wie das Beispiel des Leprafriedhofs am Gut Melaten in Aachen zeigt. Nach etwa 25 Jahren haben die beteiligten Forscher ihre Studien abgeschlossen.

Von Joachim Budde | 06.06.2014
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    Skelette aus längst vergangenen Zeiten sind wichtige Quellen für die Archäologen. Hier ein Skelett aus Berlin, das aus dem 14. Jahrhundert stammt. (picture-alliance/dpa)
    Idyllisch liegt Gut Melaten unter hohen Bäumen im Westen von Aachen. Im Mittelalter wurden hier die Leprakranken gepflegt. Melaten lag an der Straße nach Maastricht, damit die Kranken sich einen Teil ihres Unterhaltes bei den Passanten erbetteln konnten. Von der Kapelle stehen nur noch die Grundmauern. Dahinter erinnert ein hohes Kreuz an den Friedhof des Guts. Paul Wagner war vor 25 Jahren beim Landschaftsverband Rheinland für diese Grabung zuständig.
    "Das ist Mergel, das ist ein Kalkboden, der vor allem, wenn er feucht wird, zu einer sagenhaften Schmierseife wird, der auch kaum Verfärbungen produziert, die Erde ist kompletto einfarbig, Sie erkennen die Knochen, aber ansonsten nichts. Das ist ein großes Problem, weil es uns Archäologen ein gewisses Handwerkzeug wegnimmt, was wir gern benutzen, und das machte es schwierig."
    Rund 500 Personen – vom Kind bis zum Greis – wurden hier zwischen 1150 und 1550 bestattet. Der Kalkmergel machte den Archäologen die Arbeit schwer, für die Untersuchung der Knochen aber war diese Erde ein Glücksfall. Sie sind ausgesprochen gut erhalten, sagt Professor Andreas Prescher vom Universitätsklinikum Aachen. Der Mediziner hat an der Grabung mitgearbeitet. Die Zusammenarbeit sei sehr fruchtbar gewesen.
    "Weil man doch auf die feinen Knochenelemente hinweisen konnte, die vielleicht sonst mit dem Staubsauger, wo Erdmaterial weggenommen wurde, auch mit weggesaugt worden wären, und da konnte man direkt auch ein bisschen bremsend einwirken und das ein oder andere kleine Element, gerade Fingerglieder, die für die Lepradiagnostik ja sehr wichtig sind, dann auch noch retten."
    Gerade an den Fingerknochen bildet die Krankheit erste Anzeichen. Prescher und seine Mitarbeiter haben in den vergangenen 25 Jahren neben der täglichen Routine nur einen Steinwurf vom Leprafriedhof entfernt im Anatomischen Institut die Skelette vermessen, ihr Alter und Geschlecht bestimmt und auf Hinweise für Krankheiten untersucht. Der Mediziner nimmt eine Plastiktüte aus einer Holzkiste.
    "Wenn ich mal diese Tüte hier gerade nehme, da ist noch ein Fußknochen, der eine etwas spektakulärere Veränderung zeigt, Sie sehen, das ist ein Mittelfußknochen, und dieser Mittelfußknochen weist jetzt deutliche Entzündungszeichen auf, Sie sehen, der ist richtig aufgetrieben, der weist hier solche Knochenfortsätzchen auf, der ist im Ganzen hat er so eine moosartige Struktur, das ist sicher eine Veränderung, die nicht rein durch die Lepra begingt wird, dieser Knochen hat mir Sicherheit schon eine solche bakterielle Infektion mit erlitten und weist dann auch schon auf eine stärkere Erkrankung dieser Person letztendlich hin."
    Die Wissenschaftler konnten einige ältere Annahmen zum Gut Melaten widerlegen: Zum einen waren dort wohl weniger Menschen bestattet als bisher angenommen. Zum anderen haben die Forscher keine Hinweise darauf gefunden, dass die Leprastation nach ihrer Schließung weiter als Siechenhaus genutzt wurde, etwa für Syphilitiker. Mitte des 16. Jahrhunderts nahm die Zahl der Leprafälle rapide ab. Manche Forscher vermuten, dass die Tuberkulose, deren Erreger mit dem der Lepra verwandt ist, die Krankheit verdrängt hat. Darum interessieren sie sich auch für Ko-Infektionen der beiden Krankheiten, doch nach Anzeichen dafür suchten die Forscher vergeblich. Mit letzter Sicherheit ließen sich die Befunde nur bestätigen, wenn man die Knochen mit molekularen Methoden untersuchte, also die DNA von Lepra-Bakterien darin nachweisen könnte.
    "Wir haben zum Teil auch mal DNA-Untersuchungen versucht, damals noch durch unsere Rechtsmedizin, und da konnte aus diesem Knochenmaterial keine DNA mehr gewonnen werden. Das hängt wahrscheinlich mit dem Mergelboden zusammen, der ja jegliche organische Substanz relativ schnell zerstört. Wenn jemand da mal nachfassen möchte, stehen wir da natürlich gern zur Verfügung. Interessant werden könnte das sicherlich."