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Sterzing: Gaza-Streifen leidet unter humanitärer Krise

Die zwischen Israel und der Hamas ausgerufene Waffenruhe ist nach Ansicht von Christian Sterzing, Leiter der grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah, mit Erleichterung aufgenommen worden. Gleichzeitig komme sie einer Stärkung der Hamas gleich, die trotz wirtschaftlicher und politischer Sanktionsmaßnahmen immer fester im Sattel sitze.

Moderation: Dirk Müller |
    Dirk Müller: Sie hat sich viel Zeit gelassen, die israelische Regierung. Heute Morgen gegen sieben Uhr hat sie es dann offiziell bestätigt: eine Waffenruhe zwischen der Hamas und Israel. Darüber sprechen wollen wir nun mit Christian Sterzing, Leiter der grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah. Guten Morgen!

    Christian Sterzing: Einen schönen guten Morgen Herr Müller.

    Müller: Herr Sterzing, hoffen Sie jetzt wieder?

    Sterzing: Wir hoffen ja eigentlich immer. Im Augenblick ist hier sicherlich keine Begeisterung spürbar, aber schon ein bisschen Erleichterung, dass es nach diesen monatelangen Verhandlungen doch nun endlich zu einer solchen Waffenruhe gekommen ist, wenn auch die Situation hier in der Westbank, also in Ramallah und im Westjordan-Gebiet, unverändert bleiben wird, weil ja vom Waffenstillstand diese Region, dieser Teil Palästinas nicht betroffen ist.

    Müller: Gehen Sie davon aus, dass beide Seiten es tatsächlich ernst meinen?

    Sterzing: Ich glaube, dass beide Seiten im Augenblick ein großes Interesse an einer solchen Waffenruhe haben. Zum einen ist die Situation im Gaza-Streifen eben wirklich mit dem Begriff humanitäre Krise glaube ich ganz zutreffend umschrieben. Hamas sitzt zwar nach all den Boykott-Maßnahmen, wirtschaftlichen und politischen Sanktionsmaßnahmen immer fester im Sattel, aber die Unterstützung in der Bevölkerung angesichts der wirklich schwierigen Situation dort schwindet. Insofern bedeutet dieser Waffenstillstand für Hamas durchaus auch eine Festigung der Position. Es ist ja quasi auch eine Anerkennung durch Israel dadurch passiert, weil man mit Hamas wenn auch indirekt verhandelt hat. Aber auch Israel hat ein Interesse daran, endlich diesen Kassam-Beschuss aus dem Gaza-Streifen auf südliche Städte und Siedlungen Israels zu verhindern. Der innenpolitische Druck auf die Regierung, hier endlich etwas zu tun, war eben doch sehr groß. Man hat trotz allem Gerede über eine größere militärische Aktion im Gaza-Streifen eigentlich nicht diese Option offen, denn man glaubt nicht daran, dass man mit einer größeren militärischen Aktion im Gaza-Streifen tatsächlich auf längere Dauer diesen Kassam-Beschuss unterbinden könnte.

    Müller: Herr Sterzing, wir haben eine denkbar schlechte Leitung zu Ihnen live nach Ramallah. Wir wollen aber jetzt nicht auflegen und es noch einmal versuchen, weil uns das glaube ich zu viel Zeit kosten würde. Vielleicht sind Sie relativ ruhig vor dem Apparat. Ich weiß gar nicht was Sie machen. Vielleicht ist das aber eine Möglichkeit, dass wir uns etwas besser verstehen. - Noch eine Frage. Sie haben eben diesen ökonomischen Druck erwähnt. War das tatsächlich entscheidend dafür, dass die moderaten Kräfte in der Hamas sich jetzt durchgesetzt haben?

    Sterzing: Ja. Die Situation im Gaza-Streifen ist wirklich ziemlich katastrophal. 80 Prozent der Bevölkerung werden nur noch durch ausländische Lebensmittellieferungen am Leben erhalten. Israel lässt aufgrund der Blockade lediglich Lebensmittel in dem Umfang hinein, um das Überleben der Gaza-Bewohner zu sichern, damit kein Hunger ausbricht. Aber alles weitere, die gesamte Wirtschaft ist völlig zum Erliegen gekommen. Insofern ist die wirtschaftliche und soziale Situation im Gaza-Streifen wirklich schon sehr dramatisch.

    Müller: Da könnte man umgekehrt interpretieren, dass die israelische Haltung, das israelische Vorgehen aus israelischer Sicht gut gelaufen ist?

    Sterzing: Ja. Nun war diese Politik natürlich im Wesentlichen auch darauf gerichtet, Hamas zu schwächen. Man hat ja eine Politik der "Westbank first" verkündet. Das heißt man wollte sozusagen blühende Landschaften in der Westbank schaffen und damit ein Chaos im Gaza-Streifen, um auf diese Weise die Palästinenser zu überzeugen, dass sie eben von Hamas ablassen und der Fatah-Führung folgen. Dies ist nicht der Fall gewesen. Hamas sitzt wie ich sagte eigentlich fester im Sattel als noch vor einem Jahr. Es hat viele der - wie soll man sagen - vorstaatlichen Strukturen im Gaza-Streifen in ihre Hand gebracht und insofern glaube ich, dass dieser Waffenstillstand natürlich für Hamas zunächst eine Stärkung bedeutet, auch gegenüber Fatah, denn die Führung der palästinensischen Autonomieregierung, Präsident Abu Mazen und Ministerpräsident Salam Fajad, sind ja bei diesen ganzen Verhandlungen praktisch außen vor geblieben. Sie haben keinen Waffenstillstand für die Westbank erreicht, sondern das ist Hamas, die nun auch einen indirekten Einfluss zumindest darauf hat, ob dieser Waffenstillstand in den nächsten Wochen oder Monaten auch auf die Westbank ausgeweitet wird.

    Müller: Live aus Ramallah im Westjordan-Land war das Christian Sterzing, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung. Vielen Dank und auf Wiederhören!

    Sterzing: Danke auch.