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Steuer-Gewerkschaft erwartet Umdenken bei Pendlerpauschale

Dieter Ondracek, Vorsitzender der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, hat den Gesetzgeber aufgefordert, die zu Jahresbeginn in Kraft getretene Kürzung der Pendlerpauschale zurückzunehmen. Die Kassen seien voller, als Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) sich hat träumen lassen. "Dann wäre es richtig, diese verfassungsrechtlich zweifelhafte Entscheidung jetzt auch wieder zurückzunehmen", sagte Ondracek.

Moderation: Dirk Müller |
    Dirk Müller: Acht Millionen hierzulande sind davon betroffen, acht Millionen Pendler, deren Strecke zur Arbeit weniger als 21 Kilometer beträgt. Seit dem 1. Januar heißt es nach dem Gesetz "Pech gehabt", denn erst ab dem 21. Kilometer dürfen die Fahrtkosten steuerlich geltend gemacht werden. Daran hat jetzt der Bundesfinanzhof deutliche Zweifel geäußert, weil diese Regelung möglicherweise gegen die Verfassung verstößt. Der Bundesfinanzminister hat dann wiederum gleich an diesem Wochenende ein wenig zumindest eingelenkt. Demnach ist es wohl möglich, auch die ersten 20 Kilometer auf der Lohnsteuerkarte 2007 einzutragen. Ein komplizierter Sachverhalt.

    Darüber wollen wir nun sprechen mit dem Vorsitzenden der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, Dieter Ondracek. Guten Morgen!

    Dieter Ondracek: Guten Morgen!

    Müller: Herr Ondracek, ist die bestehende Regelung eine aberwitzige Regelung?

    Ondracek: Die bestehende Regelung ist eine aberwitzige, weil eine jahrzehntelange Praxis und Selbstverständlichkeit aufgehoben worden ist. Es sind Werbungskosten abziehbar, weil sie notwendige Kosten sind, die entstehen, weil ich eben zur Arbeit kommen muss in irgendeiner Art und Weise. Hier hat Steinbrück mit einem Trick diese Betrachtung ausgehebelt und hat den notwendigen Abzug als Werbungskosten als Subvention umgestaltet, indem er sagt, es sind keine Werbungskosten mehr, sondern wir ziehen nur noch ab, wie Werbungskosten ab dem 21. Kilometer.

    Müller: Könnte man aber nun als Sparkommissar und Sparpolitiker schon sagen, warum sollen das keine Subventionen sein?

    Ondracek: Das war von Anfang an in der falschen Schublade, Subventionen. Das ist ein notwendiger Aufwand, um dem Erwerb nachgehen zu können. Und das sind nach unserer Definition zwingende Werbungskosten. Genauso wie Arbeitskleidung, wie Büromaterial, wie Computer und Ähnliches brauche ich eben hier diese Kosten, muss ich diese Kosten aufwenden, um meiner Arbeit nachgehen zu können.

    Müller: Und dann wiederum gilt das für alle?

    Ondracek: Und dann gilt dieses für alle. Man kann hier Pauschalen einziehen - das ist gar keine Frage -, weil irgendwo auch ein privater Grund mit dabei ist, warum ich 30 Kilometer weg wohne. Das mag entweder das Bedürfnis sein, eine billigere Wohnung zu haben oder ein Häuschen im Grünen zu haben oder wie auch immer, aber diese Motivation kann man im Einzelfall nicht nachforschen. Deswegen ist eine pauschale Regelung, die irgendeiner Mischkalkulation zu Grunde liegt, richtig. Und da waren die 30 Euro sicherlich ein richtiger Weg, wie man sie in der Vergangenheit ab dem 1. Kilometer hatte.

    Müller: Herr Ondracek, inwieweit ist das denn in Ordnung, wenn jetzt ein Arbeitnehmer, ein Angestellter sagt, ich ziehe 50 Kilometer weiter weg vom Arbeitsplatz, um dort billiger zu wohnen, aber das bezahlt mir dann der Staat?

    Ondracek: Das ist genau der Punkt. Bei dieser Betrachtung kommt man zur Subvention. Aber man muss ja auch hier die Motivforschung immer sehen. Warum geht der 30 weg oder 50 Kilometer weg? Es kann auch durchaus sein, dass er sich eine neue Arbeitsstelle suchen muss, und dann muss er 100 Kilometer weit weg. Dann kann man nicht sagen, die ersten 20 Kilometer sind Privatvergnügen, weil du jetzt näher keinen Arbeitsplatz gefunden hast. Hier ist eben diese gemischte Betrachtung, und da ist die Pauschalierung in der kalkulatorischen Mitte ein richtiger Ansatz, aber nicht zu sagen, die ersten 20 Kilometer sind Privatvergnügen und ab dem 21. bekommst du ein bisschen eine Subvention.

    Müller: Nun gibt es in der Auseinandersetzung auch sehr viele polemische Argumente, die da sagen, na ja, dann fährt er mit dem Arbeitskollegen mit zur Arbeitsstelle, rechnet am Ende des Jahres ab und kann sich davon zumindest einen kleinen Swimmingpool leisten.

    Ondracek: Das ist immer so, dass natürlich steuerliche Möglichkeiten missbraucht werden können. Wenn man so will, ist das eine Steuerhinterziehungsmöglichkeit für den kleinen Mann. Dieses kann man aber nicht kontrollieren. Von daher ist es eben richtig: Der Gesetzgeber schafft gar keine solche Möglichkeiten, um hier manipulieren zu können, und sagt, jeder, der eine Entfernung zu bewältigen hat, egal wie die Entfernung bewältigt wird, bekommt eine pauschale Vergütung von der Steuer. Das ist die Mischkalkulation, die ich vorher erwähnt habe.

    Müller: Also der Bundesfinanzminister hat im Grunde nur abkassiert?

    Ondracek: Der Bundesfinanzminister hat abkassiert zu einem Zeitpunkt, als die Haushalte notleidend waren. Da musste er irgendwo Geld einsammeln, und da hat er hier bei den Arbeitnehmern Geld eingesammelt. Jetzt ist aber schon die Ausgangslage eine andere. Die Kassen sind voller, als er je sich träumen hat lassen. Dann wäre es richtig, diese verfassungsrechtlich zweifelhafte Entscheidung jetzt auch wieder zurückzunehmen, weil die innere Motivation weggefallen ist.

    Müller: Blicken wir, Herr Ondracek, auf die rechtliche Konstellation. Sie sind da ganz nah dran. Es gibt ja Klagen dagegen, und der Bundesfinanzhof hat jetzt signalisiert, das könnte verfassungswidrig sein. Wie sehen Sie die Chancen, dass es so ist?

    Ondracek: Wir sehen die Chancen ganz gut. Nur ist es noch ein Stückchen komplizierter. Die Spruchpraxis des Verfassungsgerichts war bisher so, Jahre später festzustellen, dass diese Bestimmung verfassungswidrig war, aber der Gesetzgeber bekommt noch einmal eine Schonfrist, neu zu regeln. Wenn der Spruch wieder so ausfallen würde, dann hieße es, dass in der rückwirkenden Zeit alles so belassen werden würde, wie es eben ist, selbst wenn man den Einspruch einlegt oder selbst wenn man den Bescheid offen hält. Hier müsste sich die Spruchpraxis des Verfassungsgerichts ändern, und das weiß man nicht. Das kann man auch nicht prognostizieren. Beim Europäischen Gerichtshof, der sagt knallhart: Wenn eine Bestimmung rechtswidrig ist, dann gilt diese Rechtswidrigkeit rückwirkend und dann ist rückwirkend alles zu erstatten. Insofern wäre die saubere und klare Regelung, der Gesetzgeber reagiert auf diesen Zustand und schafft den alten Zustand wieder her, indem er die Kürzung zurücknimmt.

    Müller: Sie führen ja permanent Gespräche in Berlin auch zu diesem Thema. Wird der Gesetzgeber reagieren?

    Ondracek: Ich glaube, dass die Politik insgesamt ins Nachdenken gekommen ist. Diese Entscheidung war ja schon damals umstritten. Auch vor allen Dingen in der SPD-Fraktion und im Arbeitnehmerflügel der CDU gab es hier Widerstände. Aber die hat man überstimmt mit dem Argument, wir haben notleidende leere Kassen. Nachdem diese leeren Kassen weg sind, werden sich genau diese Kräfte jetzt wieder bemerkbar machen und rühren. Ich kann mir vorstellen, dass Bundesfinanzminister Steinbrück bei dem nächsten Treffen mit den Finanzministern dieses Thema schon anspricht und möglicherweise nach einer Lösung sucht.

    Müller: Im Moment können wir ja festhalten, Herr Ondracek: Die Situation um die Pendlerpauschale ist derzeit äußerst diffus. Was können Sie denn jetzt dem Pendler mit Blick auf die Lohnsteuerkarte empfehlen?

    Ondracek: Mit Blick auf die Lohnsteuerkarte ist natürlich immer noch möglich, jetzt einen Freibetrag sich eintragen zu lassen. Das ist eine vorläufige Maßnahme. Wenn der Freibetrag vom Finanzamt eingetragen wird, dann gibt es nun Signale vom BMF, dass man diesen Widerstand, den man bisher geleistet hat, aufgeben wird, weil das Eintragen eines Freibetrages ja nur eine vorläufige Geschichte ist. Wenn aber im Endeffekt die Bestimmung stehen bleibt, dann müssen die Leute nach dem Verfassungsgerichtsspruch diese zunächst zu wenig bezahlte Steuer nachbezahlen. Dann ist niemandem geholfen, dann ist der Ärger perfekt. Von daher würde ich jetzt mal sagen: noch ein bisschen abwarten und warten, bis die Steuerveranlagung 2007 im Jahre 2008 fällig ist, und dort dann den Bescheid, wenn er nicht amtlich offen gehalten wird durch einen Vorläufigkeitsvermerk, den Bescheid anzufechten, damit er offen bleibt. Dann bleibt immer noch die Unwägbarkeit, was sagt das Verfassungsgericht dazu?

    Müller: Also im Grunde im Moment abwarten?

    Ondracek: Im Moment noch ein bisschen abwarten, bis sich die Wogen klären.

    Müller: Dieter Ondracek war das, Vorsitzender der Deutschen Steuer-Gewerkschaft. Vielen Dank für das Gespräch.

    Ondracek: Bitte schön.