Dienstag, 23. April 2024

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Steuerreform in den USA
"Der lang ersehnte Sieg in einem zentralen Gesetzesvorhaben"

Dass der Senat die Steuerreform gebilligt habe, sei für US-Präsident Trump ein Triumph gewesen, den dieser auch dringend gebraucht habe, sagte Jan Techau von der "American Academy" im Dlf. Seit mindestens drei Jahrzehnten hätten die Republikaner dieses Projekt vor sich hergetrieben. Trump habe siegen müssen.

Jan Techau im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 20.12.2017
    Jan Techau (damaliger Direktor von Carnegie Europe) in der ZDF-Talkshow "Maybrit Illner" am 20.11.2014 in Berlin.
    Die Steuerreform im Senat durchzukriegen, sei für US-Präsident Trump in gewisser Weise eine Pflichtübung gewesen, sagte Jan Techau von der American Academy im Dlf. (imago - Müller Stauffenberg)
    Dirk-Oliver Heckmann: Einmal war die Nahost-Reise des amerikanischen Vizepräsidenten Pence bereits verschoben worden. Vorgestern wurde bekannt, dass die Reise ein weiteres Mal nicht stattfinden kann. Der Grund: Für die Steuerreform von US-Präsident Trump zählte im Senat jede Stimme. Die Verschiebung kommt der amerikanischen Seite vielleicht auch ganz gelegen, denn bei den Palästinensern jedenfalls ist Pence ebenso unerwünscht wie Trump – nach der Entscheidung, Jerusalem als Hauptstadt anzuerkennen und dorthin auch die Botschaft zu verlegen. Eine Resolution im UNO-Sicherheitsrat haben die USA am Montag mit ihrem Veto blockiert. Nun soll sie in die Vollversammlung eingebracht werden. Washington ist in der Frage international völlig isoliert.
    Am Telefon ist Jan Techau von der American Academy. Er wechselt jetzt demnächst zum German Marshall Fund, ist bei uns jetzt hier im Programm. Schönen guten Morgen, Herr Techau.
    Jan Techau: Hallo! – Guten Morgen, Herr Heckmann.
    "Der lang ersehnte Sieg in einem Gesetzesvorhaben"
    Heckmann: Kommen wir zunächst zum Grund der Verschiebung der Nahost-Reise, nämlich die Steuerreform. Ich habe es gerade schon gesagt: Der Senat hat sie soeben gebilligt. Die Abstimmung im Abgeordnetenhaus muss wiederholt werden. Dennoch: Steht Trump vor dem größten Triumph seiner bisherigen Präsidentschaft?
    Techau: Ja. Es ist auf jeden Fall der lang ersehnte Sieg in einem Gesetzesvorhaben, in einem zentralen Gesetzesvorhaben. Es ist allerdings auch ein Triumph, den der Präsident sehr dringend brauchte. Er hat bisher kein größeres Projekt durch das Abgeordnetenhaus und den Senat, also durch das Parlament gebracht, und er brauchte dringend dieses Herzensanliegen der Republikaner auf seiner Seite. Wenn er an diesem Thema gescheitert wäre, wenn er auch hier die Einheit der Republikaner nicht hätte hinkriegen können, dann hätte er als sehr schwacher Präsident dagestanden. In dem Haupt-Kernanliegen, in dem Herzensanliegen, das die Republikaner seit mindestens drei Jahrzehnten vor sich hertreiben, diese Steuerreform, da musste er siegen. Insofern war das auch in gewisser Weise eine Pflichtübung jetzt.
    Heckmann: Weshalb ist diese Steuerreform so ein wichtiges Kernanliegen der Republikaner?
    Techau: Es entspricht im Grunde dem ideologischen Kern dieser Partei. In Amerika gehört ja der schwache Staat, der kleine Staat, der Staat, der nicht zu viele Aufgaben übernimmt und der den Menschen möglichst frei von Beeinträchtigungen ihre Freiheit lässt, zu so einem Urtopos. Das ist ein amerikanischer Gründungsmythos. Die Republikaner haben immer schon versucht, erstens die Wirtschaft über niedrige Steuern in Gang zu bringen. 1986 ist das zuletzt Präsident Reagan damals gelungen. Das wird als Ursieg von den Republikanern noch heute verehrt. Und es steckt dahinter auch die Idee, über diese niedrigeren Steuern, die ja auf jeden Fall zu einem höheren Defizit führen werden – es gibt ja weniger Staatseinnahmen und darauf wird man dann über kurz oder lang antworten müssen mit auch weniger Staatsausgaben. Das ist das, was die Republikaner eigentlich wollen. Sie hebeln hier auch ihre ideologische Idee vom kleinen Staat über das Steuerrecht, und das ist der Anfang auch dieses revolutionären Programms, das die Republikaner schon so lange versuchen durchzusetzen und dem sie jetzt ein ganzes Stückchen näher gekommen sind.
    "Hauptzweck dieser Anerkennung schon getan"
    Heckmann: Da werden wir mal abwarten müssen, inwieweit dieser Plan aufgeht. In der Vergangenheit ist das nicht immer zur Zufriedenheit genauso aufgegangen wie angekündigt. – Aber kommen wir noch mal zur Nahost-Reise von Mike Pence, die ja verschoben wurde wegen dieser Steuerreform. Kommt diese Verschiebung der amerikanischen Regierung möglicherweise gerade recht? Denn von den Palästinensern wäre Mike Pence ja ohnehin nicht empfangen worden.
    Techau: Ich glaube nicht, dass das die amerikanische Regierung im Moment sehr beeindruckt, wenn die Palästinenser hier jetzt Pence oder den Präsidenten zum unerwünschten Gast erklären. Das spielt keine große Rolle. Die Motivation für diese Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels liegt ja vor allen Dingen innenpolitisch begründet und deswegen sind diese Folgen, jetzt gerade was die Palästinenser angeht, die man als Partner sowieso in der Trump-Administration nicht besonders ernst nimmt, für Washington gerade noch zu verschmerzen. Das Hauptanliegen, was Trump hier hatte, war natürlich, einen wichtigen Teil seiner Kernwählerschaft, evangelikale Christen in Amerika, die einen guten Teil seiner Kernwählerschaft ausmachen und die ein sehr religiös geprägtes, archaisch geprägtes Politikverständnis haben, die hier mit der Anerkennung zufriedenzustellen. Es ist ein lang gehegter Wunsch dieser Wählergruppe in Amerika, Jerusalem anerkannt zu sehen als Hauptstadt Israels. Das hat er jetzt geliefert und damit ist der Hauptzweck dieser Anerkennung schon getan.
    Es gibt vielleicht auch noch einen weiteren Grund, und zwar gibt es innerhalb der Trump-Administration schon Akteure, die der Auffassung sind, dass dieser Tabubruch, wie er ja vielfach gesehen wird, zu einer Auflockerung der Verkrustung in der Region führen kann. Man hat 30 Jahre lang oder noch länger diesen Status quo gehalten. Das hat zu nichts geführt. Warum nicht mal was Neues probieren.
    Heckmann: Und könnte das funktionieren aus Ihrer Sicht?
    Techau: Das ist ein bisschen die Frage. Es ist ein bisschen ein Glücksspieler-Ansatz, der hier gemacht wird. Man weiß nicht ganz genau, was die langfristigen Konsequenzen dieser Entscheidung sein werden. Die kurzfristigen Konsequenzen waren jetzt nicht sehr dramatisch, anders als viele vorhergesehen haben. Es gab nicht die großen Erdbeben in der Region – auch deswegen, weil tatsächlich das Anliegen der Palästinenser für viele arabische Staaten entgegen ihrer Rhetorik so wichtig gar nicht ist. Aber es ist ja auch noch was viel Größeres im Nahen Osten im Gange, und das ist die entscheidende Frage eigentlich, inwieweit diese Entscheidung zusammenhängt auch mit der Iran-Politik Amerikas. Die Amerikaner beobachten sehr genau, dass sich viele arabische Staaten viel stärker fürchten vor Iran als vor allen anderen Themen, und deswegen bereit sind, auch manche Kröte zu schlucken, und sogar ja Annäherungen arabischer Staaten an Israel stattfinden aus Angst vor Iran. Das heißt, die Amerikaner hatten schon das Gefühl, sie können mit dieser Entscheidung wegkommen, weil das eigentliche Thema, was die Akteure in der Region umtreibt, nicht Jerusalem ist, sondern der Iran.
    Techau: Niemand will es sich mit den Amerikanern verscherzen
    Heckmann: Die USA galten dennoch ja immer als Mittler zwischen Israel und den Palästinensern. Das könnte jetzt erst mal zumindest Geschichte sein. Wie könnten die Amerikaner wieder zurück in so eine Mittlerposition kommen?
    Techau: Das ist natürlich eine der zentralen Fragen. Bisher ist es so gewesen, spätestens seit den 70er-Jahren, als Präsident Carter den wichtigen Vertrag zwischen Ägypten und Israel vermittelt hat, dass Amerika als "honest broker", als ehrlicher Makler in der Mitte galt. Präsident Clinton hat das vor allen Dingen vor 20 Jahren noch mal massiv verstärkt. Und viele sagen, dass durch diese Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels jetzt dieser Nimbus verloren ist. Da ist sicher auch was dran. Da ist ein bisschen die Rolle verloren gegangen.
    Andererseits darf man nicht außer Acht lassen, dass im Zweifelsfall die geopolitischen und sicherheitspolitischen Interessen der Akteure vor Ort viel wichtiger sind als diese Symbolfragen. Wenn es eine überbordende Angst vor dem Akteur Iran gibt, dann ist für viele Araber trotz dieser Verstimmung über Jerusalem die Annäherung an die USA wichtig, und man sieht das auch. Die sehr verhaltene Reaktion vieler arabischer Länder auf diese Anerkennung, zwar rhetorisch stark, aber de facto doch eigentlich sehr milde, zeigt an, dass niemand es sich mit den Amerikanern verscherzen will, weil man am Ende mehr Angst vor den Iranern hat. Insofern ist der amerikanische Hebel nicht völlig aufgebraucht. Die Frage ist, was Trump aus diesem Hebel machen wird.
    Heckmann: Wenn die Europäer einig wären, auch in der Frage Jerusalem als Hauptstadt – das ist ja nicht der Fall -, dann könnten sie eine wichtige oder zumindest eine wichtigere Rolle spielen, als sie sie im Moment spielen. Aber das ist wie so oft nicht der Fall. Versagt Europa auch in diesem Punkt?
    Techau: Hier ist das Versagen Europas eigentlich ein strukturelles, was sehr tief und langfristig angelegt ist und mit der aktuellen politischen Situation eigentlich viel weniger zu tun hat. Europa ist kein strategischer Akteur in dieser Region, weil es kein sicherheitspolitischer Akteur in der Region ist. Sie sind immer dann ein wichtiger Akteur, der das Verhalten anderer beeinflussen und bestimmen kann, wenn sie in der Lage sind, vor Ort Sicherheitsgarantien auszusprechen, oder aber sogar in der Lage sind, im Notfall zu intervenieren. Die Europäer sind dazu weder bereit, noch wirklich richtig in der Lage, und deswegen kann auch ihre diplomatische Kraft vor Ort sich nicht wirklich entfalten. Das ist aber nichts, was mit der aktuellen politischen Situation sehr viel zu tun hat, sondern das ist ein Grundstrukturproblem der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Hier ist weder große Einigkeit vorhanden, noch ist hier der wirkliche Wille vorhanden, als strategischer Akteur in seiner Nachbarschaft zu agieren, und deswegen ist der politische Einfluss gering.
    Heckmann: Jan Techau war das von der American Academy, demnächst beim German Marshall Fund beschäftigt. Herr Techau, danke Ihnen für Ihre Zeit!
    techau: Vielen herzlichen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.