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Stillstand statt Zusammenarbeit
Warum sich der organisierte Islam in Deutschland so schwertut

Bei der Institutionalisierung des Islams in Deutschland knirscht es - nicht nur zwischen Politikern und Muslimen. Auch Konflikte innerhalb der Islamverbände sowie fehlende Strukturen hemmen die Zusammenarbeit mit Staat und Zivilgesellschaft. Und das hat gravierende Folgen.

Von Burkhard Schäfers | 23.03.2017
    Wehende Fahnen der EU, Deutschlands und der Türkei vor der DITIB Moschee in Duisburg.
    Obwohl Millionen Muslime in Deutschland leben, ist der Islam hierzulande kaum organisiert. (imago / Reichwein)
    "Viele Muslime fühlen sich mit ihren Problemen alleingelassen, unverstanden, oder von konventionellen Beratungseinrichtungen abgeschreckt. Seelsorge von Muslimen ist keine Option mehr, sondern eine Notwendigkeit."
    Eine Fachtagung im Augsburger Annaforum zu muslimischer Seelsorge: Gerade spricht Reiner Erben, der Integrationsreferent der Stadt Augsburg. Vor ihm sitzen Altenpfleger, Gefängnismitarbeiter, Referenten aus bayerischen Ministerien. Außerdem Frauen und Männer, die heute – nach mehr als einem Jahr Ausbildung – ihr Zertifikat als muslimische Seelsorger bekommen.
    "Sie hat in der Zeit von Januar 2015 bis März 2016 an der Schulung zur muslimischen Seelsorgerin teilgenommen."
    Sie alle treibt die Frage um, auf welche Art und Weise der Islam zu Deutschland gehört. Ob Muslime unter sich bleiben – oder in die Gesellschaft hinein wirken. Ein Feld ist die Seelsorge: Menschen in Krankenhäusern, Gefängnissen oder Flüchtlingsunterkünften in Augsburg bekommen seit einiger Zeit Besuch von muslimischen Seelsorgern. Margret Spohn leitet das Büro für Migration der Stadt Augsburg:
    "Für die Muslime, die diese Seelsorge brauchen, ist es ja schon eine demokratische Notwendigkeit eigentlich, dass allen Bürgerinnen und Bürgern das Gleiche zur Verfügung steht. Und daher ist es wichtig, dass wir Wege zur Verfügung stellen, damit auch Muslime entsprechend versorgt werden können."
    Entstanden ist die 'Muslimische Seelsorge Augsburg' vor sechs Jahren aus einem türkischsprachigen Sorgentelefon heraus. Nach holprigem Start sind inzwischen etwa 50 ehrenamtliche Seelsorger im Einsatz: Musliminnen und Muslime, die deutsch sprechen, gut die Hälfte von ihnen türkischstämmig. Die Seelsorger sind nicht zu verwechseln mit Imamen. In der Ausbildung geht es weniger um Theologie als um Psychologie, Kommunikation und Kultur. In Augsburg nennen sie die muslimische Seelsorge selbstbewusst "ein Projekt mit Zukunft". Allerdings bewegen sich Margret Spohn und ihre Mitstreiter auf kompliziertem Terrain:
    "Es ist ein sehr schwieriges Verhältnis. Weil natürlich ist es eigentlich Aufgabe der islamischen Religionsgemeinschaft, ein solches Angebot wie Seelsorge anzubieten. Aber eine solche islamische Religionsgemeinschaft – vor allem auch im Singular – haben wir im Moment nicht."
    Fehlender eindeutiger Kooperatonspartner
    Das Logo der Ditib: rot mit weißem Schriftzug.
    De Ditib ist zwar der größte Islamverband in Deutschland, dennoch sind dort nur rund vier Millionen Muslime organisiert. (Deutschlandradio / screenshot)
    Die Migrations-Expertin spricht ein Problem an: Aufseiten der rund vier Millionen Muslime hierzulande fehlt ein eindeutiger Kooperationspartner. Auch deshalb gibt es nach wie vor Streit um die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört oder nicht. Seit Jahren versuchen Politiker und Religionsvertreter, dem Islam in Deutschland mehr Selbstverständlichkeit zu verleihen, er soll mehr ein Teil der Gesellschaft werden – wie die Kirchen. Aber obwohl dazu etwa in der Deutschen Islamkonferenz beständig Pläne geschmiedet werden, verläuft die Institutionalisierung schleppend, sagt Mathias Rohe, Professor für Bürgerliches Recht an der Universität Erlangen-Nürnberg:
    "Da muss sich erst allmählich eine Struktur bilden, und das stößt auf mancherlei Schwierigkeiten. Wir wissen alle, dass in vielen Fällen noch keine Organisationen sich herausgebildet haben, bei denen die staatliche Seite schon bereit wäre, sie als Religionsgemeinschaften anzuerkennen."
    Nach der deutschen Rechtslage kann nicht der Islam als Religionsgemeinschaft anerkannt werden, ebenso wenig wie das Christentum. Sondern nur muslimische Vereine und Verbände. Da aber gibt es eine Vielzahl größerer und kleinerer Gruppierungen.
    Suche nach der Stimme des Islams in Deutschland
    Die staatlichen Akteure indes sind an die Strukturen der großen christlichen Kirchen gewöhnt. Diese haben Ämter, Gremien – und Scharen hauptberuflicher Mitarbeiter.
    "Es gibt zwar eine Fülle muslimischer Organisationen. Aber die allermeisten basieren zu 98, 99 Prozent auf Ehrenamt. Da haben Sie vielleicht einen Hauptamtlichen an der Spitze und dann ganz ganz viel Ehrenamt. Ein Imam, der hat halt das Gebet geleitet, und die Aufgaben hier haben sich vervielfältigt. Dann sollen sie auf einmal Integrationslotse sein, sie sollen interreligiösen Dialog pflegen – und viele sind da hoffnungslos überfordert."
    Wer sind die richtigen Ansprechpartner für den deutschen Staat? Wer ist die Stimme des Islams in Deutschland? Lange hielten sich zuständige Politiker an die Islamverbände. Das erschien praktisch, weil diese Struktur wenigstens eine scheinbare Ordnung in die Fülle islamischer Organisationen brachte. Allerdings vertreten die Verbände gerade einmal ein Viertel der Muslime hierzulande. Sie sind also nicht alleiniges legitimes Sprachrohr aller Muslime in Deutschland.
    Die vier größten sind der Islamrat, der Zentralrat der Muslime, der Verband der Islamischen Kulturzentren sowie die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, kurz Ditib. Sie hat zahlenmäßig die meisten Mitglieder und galt Politikern lange als beliebtester Verhandlungspartner. Aber seit der Krise in der Türkei wissen viele nicht mehr so genau, wie sie sich gegenüber der Ditib verhalten sollen. Als einer ihrer größten Kritiker gilt Volker Beck, religionspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag.
    Volker Beck (Grüne) spricht am 03.06.2016 im Deutschen Bundestag in Berlin.
    Volker Beck (Grüne) ist einer der größten Kritiker der Ditib. (dpa)
    "Der Name bekennt sich zu dem Charakter, dass die Ditib eine Agentur des türkischen Staates ist. Aber wer es bislang nicht wissen wollte, dem ist es vielleicht jetzt nach den Vorgängen um den Putschversuch aufgefallen, dass hier türkische Staatspolitik gemacht wird. Auf den Kanzeln beim Freitagsgebet, über die Absetzung von missliebigen Vorständen in Ditib-Gemeinden bis hin zu der Spionageaffäre der Ditib."
    Die hatte Beck selbst mit ins Rollen gebracht. So sollen mehrere Imame in Deutschland lebende Kritiker des türkischen Präsidenten Erdogan ausspioniert haben. Vor einem Vierteljahr übergab der Grünen-Politiker der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe mehrere Spitzel-Berichte türkischer Generalkonsulate, die ihm zugespielt worden waren. Beck erstattete Anzeige wegen des Verdachts geheimdienstlicher Agententätigkeit.
    "Es gibt Berichte, da werden minutiös Leute aufgeführt, die angeblich der Gülen-Bewegung zuzurechnen sind. Im Jargon von Ditib und von diesen Berichten sind das die 'Gülen-Terroristen'. Und diese Namensnennungen haben für die Betroffenen weitreichende Folgen: Ihre Verwandtschaft in der Türkei wurde aufgesucht, es gab Kontensperrungen von Leuten, die auf diesen Listen stehen."
    In Deutschland tätige Imame sind Angestellte des türkischen Staates. Und der Präsident des staatlichen Religions-Amts der Türkei – Diyanet – ist laut Satzung Ehrenvorsitzender der Ditib mit maßgeblichem Einfluss auf die Vorstandswahlen. Volker Beck sagt:
    "Politik, Staat und Religion zu trennen und trotzdem eine Kooperation von Religionsgemeinschaften und Staat bei Wahrung der Neutralität des Staates zu ermöglichen, das zeichnet das deutsche Religionsverfassungsrecht aus. Aber das ist bei der Ditib eben gerade das Gegenteil."
    Ditib ist nicht gleich Ditib
    Wobei – um es noch etwas komplizierter zu machen – Ditib nicht gleich Ditib ist. Im Verband seien glühende Erdogan-Anhänger ebenso vertreten wie dessen Kritiker, sagt die Politikwissenschaftlerin und Religionspädagogin Meltem Kulaçatan von der Universität Frankfurt.
    "Was zunächst einmal festgehalten werden muss, ist dass in den Ditib-Gemeinden die Konfliktlinien, die in der Öffentlichkeit in der Türkei sichtbar sind, natürlich auch in den Gemeinden sichtbar sind. Es handelt sich nicht um homogene türkischstämmige Musliminnen und Muslime, sondern um Menschen, die ihre unterschiedlichen politischen und religiösen Ansichten in die Gemeinden hineintragen, wo es eben auch zu Konfliktsituationen kommt."
    Dabei würden die Ditib-Mitglieder nicht um theologische Positionen streiten, sagt Kulaçatan. Es sei die politische Lage in der Türkei, die zur Zersplitterung der Gemeinden führe.
    "Die Situation ist natürlich hochproblematisch und angespannt. Das ist eine Entwicklung, die bedenklich ist – bedenklich insofern, weil dahinter antidemokratische und der Freiheit entgegen sprechende Positionen stehen."
    Einerseits gebe es innerhalb der Ditib abgrenzende, nationalistische Tendenzen – andererseits integrative Töne, erklärt die Politikwissenschaftlerin. Über diese Gleichzeitigkeit werde kaum berichtet.
    "Zu wenig widergespiegelt wird hier auch, dass etliche junge Musliminnen und Muslime türkischer Herkunft im Grunde genommen in den Startlöchern sitzen in den Gemeinden, und hier aktiv tätig sein wollen. Also sprich sich als – ja – auch deutsche Muslime begreifen mit türkischen Wurzeln, mit ihrer eigenen Geschichte, und auch mit den eigenen familiären Biografien."
    Der ausländische Einfluss
    Wie stark sind die muslimischen Verbände in Deutschland vom Ausland abhängig? Die Frage stellt sich nicht nur mit Blick auf die Türkei. Innenminister Thomas de Maizière sprach jüngst von einem "sehr problematischen" finanziellen Einfluss aus Saudi-Arabien. Inwieweit also sehen sich die Verbände als deutsche Organisationen? Harry Harun Behr, islamischer Theologe und Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Frankfurt:
    "Allgemein sind die Religionsgemeinschaften, die wir haben, ja Religionsgemeinschaften, die eng auch mit einer Migrationsgeschichte verbunden sind. Und die ihrerseits noch ein bisschen in der Identitätskrise stecken: Ob sie mehr noch eine postmigrantische Interessenvertretung sind mit einem partikularen Interesse – also für eine bestimmte Zielgruppe. Oder ob sie sich als Religionsgemeinschaft verstehen im Kontext der Bundesrepublik Deutschland und sich an die Gesellschaft ganz allgemein richten."
    Weitgehender Stillstand
    Solange es hierzu keine Antwort gibt, wird sich der Islam in Deutschland auch nicht weiter institutionalisieren. Im Moment herrscht weitgehend Stillstand. Der letzte erkennbare Erfolg war das neue Studienfach Islamische Theologie an den Universitäten – eingeführt vor mehr als fünf Jahren. Derzeit fehlt den Verbänden eine Vision, ein gemeinsames Ziel. Dabei liegt die kommende Herausforderung auf der Hand, findet Erziehungswissenschaftler Behr.
    "Das Nächste wird sein: islamische Seelsorge. Was jetzt kommt, ist, dass zunehmend Musliminnen und Muslime zunehmend aus dem Erwerbsleben ausscheiden, sie sind Rentner, werden genauso krank und gesund wie alle anderen auch, sie brauchen genauso palliative Begleitung wie andere auch, sie brauchen genauso Essen auf Rädern wie andere auch, und so weiter."
    Zwar engagieren sich viele Moschee-Gemeinden im sozialen Bereich, etwa mit Jugendgruppen, Teestuben und Seniorentreffs. Nach einer Studie der Deutschen Islamkonferenz erreichen sie damit rund 150.000 Menschen. Aber: Das meiste ruht auf den Schultern Ehrenamtlicher, es fehlt an Geld und an professionellen Strukturen. Und an der Wirkung hinein in die Gesellschaft.
    Muslimischer Wohlfahrtsverband gefordert
    Deswegen wollen etliche Politiker und Religionsvertreter schon lange einen eigenen muslimischen Wohlfahrtsverband, vergleichbar mit Caritas und Diakonie. Außerdem soll es in institutionalisierter Form muslimische Seelsorger in Krankenhäusern, Gefängnissen und bei der Bundeswehr geben. Das sei ein "verbrieftes Recht" der Religionsgemeinschaften, meint Erol Pürlü, Sprecher des Koordinationsrats der Muslime und beruft sich damit auf Artikel 140 im Grundgesetz. Nur: Passiert ist bisher kaum etwas, erläutert Harry Behr:
    "Hier würde ich mir wünschen, dass muslimische Akteure diese Gelegenheit nutzen und sagen: Ja ok, islamischer Religionsunterricht, islamische Theologie – das war so ein Ding für uns Muslime. Aber Wohlfahrt und Seelsorge, das betrifft alle Menschen dieser Republik, und dazu möchten wir als Musliminnen und Muslime einen Beitrag leisten. Nicht für unsere partikulare Gruppe, sondern für alle."
    Harry Behr setzt darauf, dass es eines Tages nicht etwa Pflegeheime und Sozialstationen exklusiv für Muslime gibt, sondern welche in muslimischer Trägerschaft für alle Interessierten.
    Offen ist die Frage, wer der muslimischen Wohlfahrt auf die Beine hilft. Die Islamverbände, so sieht es aus, sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Sollte also der Staat den Geburtshelfer spielen? Auf keinen Fall, sagt der Grünen-Abgeordnete Volker Beck.
    "Den Staat geht das nichts an, der Staat gründet keine Verbände. Die Verbände gründen sich selbst, und wir sind nicht in einem Land, wo der Staat die Zivilgesellschaft organisiert."
    So bleibt es bisher bei Lippenbekenntnissen für einen islamischen Wohlfahrtsverband. Muslimische Vertreter wollen eine Gleichstellung mit den Kirchen.
    "Das finde ich eine erstaunliche Diskussion. Weil Caritas und Diakonie sind von unten gewachsen. Die Verbände wollen eine Gründung von oben. Man möchte einfach mal im Sinne von Gleichbehandlung die Regiekosten haben für eine Verbandszentrale, die aber keinen Unterbau hat. Das ist ein typischer Ausdruck dieser Verbandslobbypolitik."
    Ein Problem, warum islamische Wohlfahrt und Seelsorge in Deutschland bisher wenig etabliert ist: Es fehlt am Geld und damit an der Sicherheit, sagt der Erlanger Jurist und Islamwissenschaftler Mathias Rohe:
    "Die Bedingungen sind zum Teil prekär, man tut's wirklich für Gotteslohn. Vielleicht gäbe es ja Menschen, die menschliche Fähigkeiten hätten und auch den Willen hätten, da weiter einzusteigen. Aber wenn die nun auch in einer Position sind, in der sie auch die Familie ernähren müssen, dann können sie das nicht tun."
    Also müssten zunächst Strukturen und in der Folge bessere Einkommensmöglichkeiten geschaffen werden. Als Vorbild nennt Rohe Länder wie Belgien, Dänemark oder Frankreich. Sein Vorschlag: Der deutsche Staat sollte bestimmte Modellprojekte über einen längeren Zeitraum finanziell fördern.
    "Projektförderungen, die nur drei Jahre dauern – da darf man in der Regel davon ausgehen, dass die Fristen zu kurz sind, um eine stabile Struktur aufzubauen. Fünf Jahre sollte eigentlich so ein Mindestförderrahmen sein. Und man müsste von vornherein auch schon thematisieren, wie kann das eigentlich weitergehen. Also konkret Rat geben in diesen Finanzdingen."
    Kritik an der Deutschen Islamkonferenz
    Eine wichtige Rolle könnte dabei die Deutsche Islamkonferenz spielen. 2006 vom damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble gegründet, bringt sie Politiker, Religionsvertreter und Wissenschaftler zusammen. Aber die Konferenz habe sich zu sehr auf die Themen Radikalisierung und Terror konzentriert, kritisiert etwa die Politikwissenschaftlerin Meltem Kulaçatan.
    "Das Problem liegt in der Fixierung, und zum Teil – ich würde so weit gehen – in der Obsession, was sicherheitspolitische Fragen und Anliegen betrifft. Hier haben sich zu Recht einige Akteure und Akteurinnen vor den Kopf gestoßen gefühlt."
    Bei der Institutionalisierung des Islams knirscht es - nicht nur zwischen Politikern und Muslimen. Auch Konflikte innerhalb der Islamverbände hemmen die Zusammenarbeit mit Staat und Zivilgesellschaft. Vor diesem Hintergrund setzt Meltem Kulaçatan, die an der Uni Frankfurt angehende Religionslehrer ausbildet, auf die junge Generation. Das Engagement der muslimischen Studierenden sei hoch.
    "Ich sehe hier, dass sie sich als Teil dieser Gesellschaft verstehen, obwohl sie sich immer noch mit Diskriminierungserfahrungen konfrontiert sehen. Und sich dennoch, trotz der Hindernisse und auch der Konflikte in den eigenen Gemeinden, dennoch aktiv und optimistisch weiter betätigen."
    Ob den muslimischen Verbänden der Wandel gelingt, von politisch-national geprägten Gruppierungen hin zu muslimischen Religionsgemeinschaften in Deutschland: Diese Entwicklung wird auch durch den Umgang mit der türkischen Ditib beeinflusst. Manche Politiker fordern angesichts der Spitzel-Affäre und der politischen Lage in der Türkei, die Ditib zu boykottieren – und die Zusammenarbeit etwa beim Religionsunterricht und der Islamischen Theologie an den Hochschulen auf Eis zu legen. Der Theologe Harry Behr hält das für die falsche Strategie.
    "Ich plädiere dafür, dass man gerade jetzt die Ditib in die Verantwortung nimmt und nicht aus der Verantwortung entlässt. Denn sonst haben die Falken – würde ich sie mal nennen – innerhalb der Ditib, also die etwas älteren Herren, die da auf den Funktionspöstchen sitzen, ein gutes Argument zu sagen: Seht ihr, wir haben's euch immer schon gesagt, die Deutschen wollen uns Türken nicht. Die Schadwirkungen sind gar nicht zu übersehen, wenn man so fährt."
    Stattdessen sollten Politiker durchaus konfrontativ mit Verbandsvertretern diskutieren – und so die jüngere Generation stärken.
    "Das sind theologisch und von ihrer sozialen Herkunft her, von ihrer Wissenschaftlichkeit und Weltoffenheit her und von ihrer Professionalität ganz spannende, hochkarätige Leute. Die müssen sich das erstreiten innerhalb ihrer Verbände, dass sie da zum Zuge kommen, wo sie das aufgrund ihrer Ausbildung auch verdient haben."
    Langer Atem erforderlich
    Auch wenn die Debatte um die Ditib die Ausgangslage verschlechtert hat und die Etablierung des Islams hierzulande stockt: Experten wie Harry Behr raten zu einem langen Atem. Und dazu, regionale Initiativen zu stärken – wie die muslimische Seelsorge in Augsburg. Diese Form der Institutionalisierung des Islams hält auch Margret Spohn von der Stadt Augsburg für überzeugender.
    "Man kann natürlich warten, bis es die ganz große Lösung gibt, die von oben nach unten kommt. Wir haben uns entschieden, nicht so lange zu warten, sondern zu schauen, was wir auf lokaler Ebene da stemmen können."