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Stimme vom Berg

Arnold Schönbergs Oper "Moses und Aron" kreist um die Identitätsfindung der monotheistischen Religion und ihr Bilderverbot. Christoph von Dohnányi und Achim Freyer haben das Werk am Ort der Uraufführung neu gedeutet.

Von Frieder Reininghaus |
    "Moses und Aron" führt in die Region der weitreichendsten Verheißung. Diese erschien dem, welchem sie widerfuhr, zunächst ganz unglaublich und unerfüllbar. Auch besaß, was dann "das Gesetz" genannt wurde, noch keine festen Konturen. Erst im Laufe von Jahrhunderten stellten diese sich ein.

    Es ging nach dem Auszug aus Ägypten um nicht weniger als um die Durchsetzung des einzigen, ewigen, allgegenwärtigen, unsichtbaren und daher auch unvorstellbaren Prinzips bei einem bis dahin keineswegs privilegierten Volk - um die Verankerung einer Gottesvorstellung, die sich auch noch eifersüchtig erwies gegenüber all den anderen Göttern, die es nach seiner Behauptung doch gar nicht geben konnte.

    Mose, der nach eigenem Bekunden überforderte Denker, brauchte seinen redegewandten und medieninstinktsicheren Bruder Aron, um sich der von oben befohlenen Aufgabe stellen zu können - Risiken und Nebenwirkungen sind bei einer solchen toxischen Versuchsanordnung wohl unvermeidlich.

    Daniel Brenna absolviert in Zürich die Tenor-Partie des Aron geschmeidig und mit jener gewissen Jovialität, wie sie die agilen Agenten des leichten medialen Seins auszeichnet. In der Abwehr der brüderlichen Übergriffigkeit entwickelt er aber auch Kraft und Eindringlichkeit.

    Der österreichische Kammersänger Peter Weber erfüllt die Sprecherrolle des Moses mit herber Cantabilität. Sie muss den Nomadenstammesfürsten aus Alt-Ägypten beglaubigen, schlägt am Ende freilich allzu pathetisch aus.

    Christoph von Dohnányi präsidiert dem musikalischen Ablauf, dessen kammermusikalische Momente eben so illuster hervortreten wie die wuchtigen Chor-Partien.

    Achim Freyer befasst sich seit drei Jahrzehnten mit der Umsetzung religiöser Stoffe auf der Opernbühne. Er hat in diesem Kontext vor einem Vierteljahrhundert an der Deutschen Oper Berlin Händels "Messias" bebildert, 1996 in Schwetzingen Alvin Curran "In hora mortis" herausgebracht. In Zürich griff er nun auf die in diesen beiden Produktionen entwickelten Muster ebenso zurück wie auf die Personenverdopplungen, die er (1997) der Uraufführung von Helmut Lachenmanns "Mädchen mit den Schwefelhölzern" zudachte.

    Mose in Zürich stellt sich auf der steinigen Bühne mit Double ein; er wird mit seinem Prophetenbart und der imposant aufgezwirbelten Haarpracht vermittels der im Halbrund angeordneten Spiegel an der Decke noch vervielfältigt. Aron mit extradicker Brille und den zum Hahnkamm frisierten Haaren bekam zwei Spießgesellen zugeordnet - einen etwas kleineren und einen größeren (also gleichsam für jedes Medienformat einen Kompagnon).

    Überhaupt stellen sich erratische Gestalten in der ansteigende Geröll-Landschaft ein - Totenkopfmann, Flammenengel und ein Kämpfer mit dem aufgeplatzten Gitterkarton vorm Gesicht, rote Kapuzenmänner mit langen Messern sowie vorbeidefilierende Plüschtiere. Da ist viel hinter- und abgründige kirchen- und kunstgeschichtliche Anspielung in die Reflexion der Schönbergschen Figuren eingeflossen. Das "Götzenbild" des Stiers, das Mose als "Kalb" verhöhnt, zeigt Freyer als unermüdlich auf einem Gestänge sich drehenden goldenen Hasen. Die israelischen Stammesfürsten präsentieren sich als sinistere Diktatoren in Operettenuniformen. Die vier lustvoll zur Selbstopferung schreitenden Jungfrauen tanzen mit Metzgergesellen, denen man stattliche rote Gemächte vor die weißen Schürzen band.

    Gegenüber solchen intensiv-opulenten Bildern nimmt sich der von Theaternebel eingehüllte riesengroße Leuchtstab recht karg aus, der als Symbol für die Feuersäule die Richtung zum gelobten Land weist. Achim Freyer ließ Milch und Honig einer skurril-bunten Figurenwelt fließen, um Moses auf seinem Weg zur Verzweiflung über das missachtete Bilderverbot und zum Wort, das ihm fehlt, zu begleiten. Das erweist sich als wohlfeile Volte, die in Zürich freudig akzeptiert wird.