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Stimmung nach dem Brexit-Referendum
"Weiterschwimmen ohne zu wissen wohin"

Man habe das Gefühl, dass die Regierung von Theresa May keine Richtung habe. Das zeige sich bei der Haltung zum Brexit und aktuell bei der Entscheidung, eine neue Startbahn in Heathrow zu bauen, sagte der britische Journalist Peter Bild im DLF. Ein Ausbau von Heathrow werde sich durch endlose Proteste und juristische Auseinandersetzungen verzögern - und dann eher nicht zustande kommen.

Peter Bild im Gespräch mit Doris Simon |
    Die Flagge Großbritanniens über der Londoner Oxford Street nach dem Brexit-Referendum
    Brexit, Heathrow: Peter Bild sieht keine klare politische Linie bei Theresa May (dpa / picture alliance / Andy Rain)
    Doris Simon: Eine Entscheidung von großer Tragweite, so hat es Friedbert Meurer in seinem Beitrag gesagt. Es geht um 26 Milliarden Euro, um eine dritte Start- und Landebahn für den Londoner Flughafen Heathrow. Und es ist ein Projekt, das wissen wir aus Deutschland von Frankfurt sehr gut, was Regierungen wirklich gefährden kann, und die ersten Töne, die wir gehört haben aus England, klingen auch so. Theresa May, die Premierministerin, hat sich trotzdem dafür entschieden, diese dritte Landebahn in Heathrow zu bauen und nicht auf Alternativen wie den Ausbau etwa des Flughafens in London Gatwick auszuweichen. Das im Angesicht von Opposition aus der eigenen Partei, von großer Opposition aus der Londoner Bevölkerung. Eine Million Londoner, wir haben es gehört, werden betroffen sein, sind jetzt schon betroffen von dem Lärm, in Zukunft auch. Es wird Protest geben gegen das Niederreißen ganzer Siedlungen. - Am Telefon bin ich jetzt verbunden mit Peter Bild, einem britischen Publizisten. Herr Bild, warum hat Frau May diese Option gewählt?
    Peter Bild: Weil es wahrscheinlich für sie fast keine andere Wahl gibt. Ich persönlich muss zugeben, ich weiß zu wenig, um das wirklich genau einzuschätzen. Ich wäre eher für Gatwick gewesen, weil es so viele Leute stören wird, Heathrow auszubauen. Und man muss auch bedenken: Heathrow ist wirklich ein unmöglicher Flugplatz. Er ist nahe der Themse im Tal dort, nebelig, da hätte man von heute aus gesehen niemals einen Flughafen hinstellen sollen. Aber gut, es hat sich einfach so entwickelt.
    Ich glaube, auch dieses Mal wird vielleicht Boris Johnson, der Außenminister, Recht haben. Er hat gesagt, er würde sich vor den Baggern hinlegen, was manche Leute eigentlich als sehr gutes Verkehrsberuhigungsmittel nehmen würden, wenn man ihn einfach zudecken würde. Aber ich glaube, er hat Recht damit, wenn er sagt, diese neue Landebahn und Startbahn, die wird nicht gebaut. Die ist einfach unlieferbar, weil da so viele Proteste kommen werden, nicht nur von Gegnern, sagen wir, vom Publikum aus, aber auch juristisch von den vielen Kreisen und Städteteilen, die in der Nähe von Heathrow liegen. Die werden vor Gericht ziehen und ich glaube, das wird sich sehr lange hinauszögern.
    Simon: Boris Johnson, der Außenminister, ist ja, um es nett zu sagen, ein Maverick, der schon sehr viel gesagt hat, und das hat nicht immer Konsequenzen. In diesem Fall sagt er seiner eigenen Regierungschefin, das ist nicht zu schaffen. Er ist ja bei weitem nicht allein, es gibt viele in Theresa Mays konservativer Partei, die das genauso sehen. Auch der sozialistische Bürgermeister Sadiq Khan von London wird gegen den Ausbau von Heathrow kämpfen. Aber Heathrow oder der Ausbau jedenfalls einer weiteren Flugstrecke wird uns ja immer wieder erklärt als wirtschaftlich überlebensnotwendig. Es sind private Investoren, die das alles finanzieren sollen. Werden die denn da mitziehen?
    "Man weiß nie, was Theresa May eigentlich will und sich wünscht"
    Bild: Ich weiß es einfach nicht. Ich bin da eigentlich mit Boris Johnson sehr skeptisch. Die sind anscheinend dazu bereit. Ob sie es durchführen werden, da bin ich ziemlich skeptisch.
    Simon: Theresa May hat sich jetzt wie gesagt für den Ausbau von Heathrow entschieden. Sie war vor ein paar Jahren als Abgeordnete noch dagegen. Sie hat zurzeit Gegenwind von überall, aus der eigenen Partei. Gestern gab es ein Treffen mit den Chefs der Länderregierungen, der Regierungen von Schottland, von Wales und von Nordirland, wo man sich so ein wenig abstimmen sollte - das war der Wunsch von Frau May - in Richtung Brexit. Sie erwartete eine geschlossene Haltung. Die schottische Premierministerin war anscheinend anschließend sehr enttäuscht von diesem Treffen. Wie ist das nach Ihrem Eindruck verlaufen?
    Bild: Frau Sturgeon hat gesagt, ich bin nicht nur enttäuscht, sondern frustriert. Es ist ja kaum zu erwarten, dass die erste Ministerin, die Premierministerin von Schottland, die bekanntlich sehr gegen den Brexit ist, und ganz Schottland ist ziemlich gegen den Brexit, irgendwie einen Block mit Frau May schaffen würde. Ich meine, das Problem ist, dass man nie weiß, was Frau May eigentlich will und sich wünscht.
    Simon: Theresa May hat ja auch ein Kabinett voll mit teilweise schwierigen Ministern. Haben Sie als Brite das Gefühl, derzeit wirklich regiert zu werden?
    Bild: Nein. Ich habe das Gefühl, dass es eine Regierung gibt im Namen, aber nur im Namen, und irgendwie werden wir so weiterschwimmen, ohne zu wissen wohin. Früher sind sehr viele Leute über den Kanal geschwommen und schwimmt man, glaube ich, in die andere Richtung. Aber echt eine Richtung, glaube ich, hat diese Regierung nicht.
    Simon: Die Einschätzung von Peter Bild, dem britischen Publizisten. Herr Bild, haben Sie Dank für das Gespräch.
    Bild: Ich bitte Sie!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.