Dienstag, 19. März 2024

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Störer im Bundestag
"Das nächste Mal ist vielleicht nicht ein Handy dabei, sondern eine Tatwaffe"

Der SPD-Politiker Carsten Schneider beklagt angesichts der Störaktionen im Bundestag eine Verrohung der Sitten, die auch auf Gewalt hinauslaufen könne. Die AfD, auf deren Einladung hin die Störer in den Bundestag gelangt waren, kalkuliere solche Tabubrüche ein, sagte Schneider im Dlf.

Carsten Schneider im Gespräch mit Jasper Barenberg | 20.11.2020
Im Bild ist Carsten Schneider während der Pressekonferenz der Fraktion im deutschen Bundestag zu sehen
Carsten Schneider, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion (imago / Christian Spicker)
Der Ältestenrat des Bundestags hat sich mit den Störaktionen von rechten Youtubernam Tag der Abstimmung über das Infektionsschutzgesetz beschäftigt. Diese waren auf Einladung von AfD-Abgeordneten in den Bundestag gekommen und hatten dort Abgeordnete bedrängt und beispielsweise Bundeswirtschaftsminister Peter Altmeier (CDU) gefilmt und beschimpft. Über Vorfälle mit der AfD, die außerhalb des parlamentarischen Gepflogenheitsbereichs lägen, diskutiere der Ältestenrat inzwischen fast jede Woche, sagte Carsten Schneider, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, im Deutschlandfunk. Es habe nur keine Konsequenzen. Nach Außen versuche der AfD-Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland ein bürgerliches Gesicht aufzusetzen. ″Im Hintergrund sitzt die extreme Rechte, die mit Neonazis kooperiert und das wird von ihm geduldet und akzeptiert.″ Deshalb seien Entschuldigungen nicht mehr glaubwürdig.

Das Interview in ganzer Länge
Jasper Barenberg: Rauer ist der Ton in der politischen Auseinandersetzung ja schon länger geworden, durchaus auch im Bundestag. Aber so etwas hat es noch nicht gegeben, dass Abgeordnete und Minister im Parlamentsgebäude selbst bedrängt werden, beleidigt werden, gefilmt und angefeindet, und zwar durch Gäste und auf persönliche Einladung einiger Abgeordneter der AfD. Das wird heute im Bundestag ein parlamentarisches Nachspiel haben in einer Aktuellen Stunde. Herr Schneider, Sie waren ja gestern im Ältestenrat dabei. Hat man dort der AfD die rote Karte gezeigt?
Carsten Schneider: Das ist fast gängig, dass wir jede Woche im Ältestenrat mit Vorfällen der AfD und deren Abgeordneten, die außerhalb des parlamentarischen Gepflogenheitsbereichs sind, wie man miteinander umgeht, diskutieren. Es hat nur nie wirklich eine Konsequenz in dem Sinne, dass man sich auf Zusagen der AfD-Führung, dass so was nie wieder vorkommt, verlassen kann. Auch die Äußerungen von Frau Weidel und Herrn Gauland sind für mich nicht glaubwürdig. Sie könnten diese beiden oder die drei Kollegen auch ausschließen aus der Fraktion. Auch das wäre eine Möglichkeit. Denn alles, was da passiert ist, ist bewusst passiert, und deswegen gehe ich davon aus, die Führung kalkuliert das mit ein und es gehört zum Tabubruch, zur Provokation und damit zu vielen Klicks in den sozialen Medien, die die AfD braucht.
Kommentar: Ein historischer Tiefpunkt
Rechte Störer bedrängen Abgeordnete im Bundestag - ein solches Maß an Einschüchterung habe es bislang noch nicht gegeben, kommentiert Dlf-Korrespondentin Nadine Lindner. Der Pakt von AfD-Abgeordneten mit radikalen Kräften sei wieder einmal sichtbar geworden.
Seit zwei Jahren eine gefühlte Bedrohungslage
Barenberg: Über was reden wir hier eigentlich? Ist das eigentlich schon klar, ist das Ihnen klar? Geht es um Verstöße gegen die Hausordnung? Geht es um Ordnungswidrigkeiten? Oder geht es, wie Wolfgang Kubicki von der FDP ja andeutet, möglicherweise auch um den Straftatbestand einer Nötigung?
Schneider: Ja, um all diese Dinge. Wir sammeln jetzt die einzelnen Vorfälle, auch bei uns in der Fraktion - auch von Abgeordneten habe ich erbeten, dass sie mir das alles melden; wir haben ja über 150 Abgeordnete, das kommt ja nicht alles direkt sofort bei mir an -, um zu gucken. Das Strafrecht, das Strafgesetzbuch ist da einschlägig, Bedrängung von Verfassungsorganen, und das ist der Bundestag, bei der Einflussnahme, dem Versuch, dass sie die Arbeit nicht mehr ausführen können etc. Das gehört alles mit dazu. Im Kern geht es aber auch darum, dass wir hier im Bundestag zu Sicherheit für die Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der Abgeordneten kommen, und da gibt es eine gefühlte Bedrohungslage, die ich schon seit zwei, drei Jahren insbesondere von weiblichen Mitarbeitern und Abgeordneten zurückgespielt bekomme. Und das hat sich jetzt verschärft, indem direkt zu den Büros gegangen wird und da versucht wird einzudringen, um Sachen abzugeben oder mit Kameras die Mitarbeiter oder die Abgeordneten vorzuführen. Das geht nicht, ist überhaupt nicht akzeptabel, aber diese Tabubrüche würden im Zweifel – und das ist mein Hauptpunkt; dieses Mal ist es eine Kamera, das nächste Mal ist es etwas Handgreifliches, und das darf überhaupt nicht passieren. Das ist nicht akzeptabel und aus diesem Grund bin ich da auch sehr hart, was den Umgang mit der AfD betrifft.
″Irgendwann ist es auch Gewalt″
Barenberg: Ich will mir das gar nicht zu eigen machen, aber aus dem AfD-Büro des Bundestagsabgeordneten Peter Bystron hat ja ein ARD-Kollege zu hören bekommen, dass es sich bei dem Gast um eine Journalistin gehandelt hatte, den er da hatte, in diesem Fall eine Frau, und dass sie sich nicht anders verhalten hätte als Journalisten etwa von Nachrichtenmagazinen oder Fernsehsendungen, die dort harte Fragen stellen. Wo ist für Sie der Unterschied?
Schneider: Es handelt sich dabei nicht um eine Journalistin, sondern es war wahrscheinlich ein russischer Presseausweis, ein internationaler, den die Mitarbeiterin da hatte. Das sind rechte Agitatoren aus dem Netz. Es sind Blogger, denen es nur um eins geht: Diskreditierung der Demokratie und ihrer Institutionen. Das hat mit freiem Journalismus überhaupt nichts zu tun. Herr Bystron ist einer der absoluten Vorkämpfer, der eine Vernetzung in die intellektuelle Rechte hat und auch in die extreme Rechte. Er hat im Vorfeld dieser Abstimmung vom Ermächtigungsgesetz gefaselt und hat insbesondere damit die Stimmung auch angeheizt, weil diese Vergleiche sind vollkommen unziemlich. Und das führt dazu, dass wir auch eine Verrohung der Sitten haben, und dem müssen wir Einhalt gebieten, weil irgendwann sind es nicht mehr Worte, sondern dann ist es auch Gewalt, und das ist das Letzte, was wir uns in Deutschland wünschen und auch nicht nur wünschen wollen, sondern das darf es nicht geben.
Wie Frauen in rechten Ideologien zum Hassobjekt werden
Im rechten Spektrum ist der Hass gegen Frauen in unterschiedlicher Form zu finden. Und der Feminismus als Feindbild rückt zunehmend aus der extremistischen Ecke - in unseren Alltag.
Barenberg: Die AfD-Spitze hat sich ja zunächst einmal mehr oder weniger ahnungslos gegeben und dann – Sie haben es erwähnt – hat der Fraktionschef Gauland durchaus sein Bedauern ausgedrückt, aber auch gesagt, das wäre in der Verantwortung der einzelnen Abgeordneten. Trägt die AfD aus Ihrer Sicht genügend dazu bei, diese Dinge selbst aufzuklären?
Schneider: Nein. Es ist jedes Mal das gleiche Schauspiel im Ältestenrat, aber auch im Parlament. Nach außen hin versucht insbesondere Herr Gauland ein Möchtegern-bürgerliches Gesicht aufzusetzen. Im Hintergrund sitzt die extreme Rechte, die mit Neonazis kooperiert, und das wird von ihm geduldet und akzeptiert: Ich komme aus Thüringen, das ist mein Landesverband, Björn Höcke ist der Vorsitzende dort, das ist der Chef der extremen Rechten innerhalb der AfD. Der will ein anderes Land. Der will die Abschaffung des Grundgesetzes, und das wird akzeptiert, geduldet und mit in Kauf genommen von Herrn Gauland und Frau Weidel. Von daher ist das für mich überhaupt nicht glaubwürdig, sondern Teil der Strategie, und die ist Destruktion. Die ist, dass es diesem Land schlecht geht, und dann geht es der AfD gut.
″AfD hat drei Jahre Zeit gehabt, sich in das parlamentarische Gefüge einzuebnen″
Barenberg: Wir haben über mögliche Konsequenzen geredet. Sie haben gesagt, das wird alles geprüft, auch strafrechtlich. Eine andere Frage ist ja die der Zugänge in einem Parlament, einer Demokratie, die sich als liberal versteht. Wie groß ist die Gefahr einer Abschottung, wenn jetzt die Regeln da verschärft werden?
Schneider: Ja, die ist groß. Es gibt, glaube ich, kaum ein offeneres Parlament, von so einer Bedeutung auch eines großen Industriestaates wie das deutsche. Sie können ja hier einfach überall im Reichstag auch herumlaufen außerhalb der Sitzungswochen und es ist relativ leicht möglich, auch ins Parlamentsgebäude zu kommen. Das macht es aber auch aus, dass wir auch als Abgeordnete nicht mit Personenschutz herumlaufen können, sondern auch viele Minister gar keinen Personenschutz haben, sondern frei sind. Das macht die persönliche Begegnung etc. aus. Aber eine Verrohung der Sitten, wenn auch andere sich jetzt angestachelt fühlen und sehen, man kann da den Altmaier, den Bundeswirtschaftsminister direkt angehen – das ist eine Information, die auch von AfD-Abgeordneten gekommen ist, wie man das am besten macht, wo man die trifft etc. -, und das nächste Mal ist dort nicht ein Handy dabei, sondern ist es vielleicht eine Tatwaffe. Deswegen bin ich sehr entschlossen und sehr klar: Die AfD hat hier drei Jahre Zeit gehabt, sich in das parlamentarische Gefüge mit einzuebnen. Ich habe mich immer bemüht, sie auch fair zu behandeln in dem Sinne, dass sie ihre parlamentarischen Rechte auch mit bekommt, so dass sie auch Ausschussvorsitzende etc. haben. Aber davon kann ich keinen einzigen Sozialdemokraten überzeugen und nach diesen Vorfällen ist das auch für mich Geschichte.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.