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Straßenbau
Anwohner gegen Asphaltabgabe

Hausbesitzer in Nordrhein-Westfalen wehren sich gegen die Straßenausbaubeiträge: Gerade junge Familien oder Rentner können sich fünfstellige Abgaben für die Erneuerung einer Straße oft nicht leisten. Das Land NRW will die Beitragslast abfedern - aber nicht abschaffen, wie etwa Bayern es zuletzt gemacht hat.

Von Vivien Leue | 19.09.2019
Straßensanierung in der Wasserstraße in Bochum.
Wird neu gemacht, kostet Geld: Die Wasserstraße in Bochum (Deutschlandradio/ Vivien Leue)
Die Wasserstraße in Bochum verbindet im Süden der Ruhrgebietsstadt die Autobahn mit einem kleinen Industriegebiet und Teilen der Ruhr-Universität. 16.000 Pkws fahren hier täglich durch – normalerweise. Denn aktuell ist die schmale, zweispurige Straße kaputt und wird saniert. Anwohner erzählen:
"Seit ich auf der Welt bin, wird die jetzt das dritte Mal gemacht."
"Das hängt mit dem Zubringer, dem neuen, zusammen -, weil der Schwerlastverkehr enorm zugenommen hat."
"Der Schwerlastverkehr drückt die kaputt, das ist einfach so."
Die Anwohner Holger Alheite, Sascha Walter und Thorsten Doll stehen am Rand der voll gesperrten Straße. Es ist früher Abend, die Bagger ruhen. "Da jetzt die gesamte Bandbreite vom Gehweg über Radwege und Straße und Kanal gemacht wird, kommt da schon ein Sümmchen zusammen."
Was, wenn man keinen Kredit mehr bekommt?
Aktuell liegen die geplanten Kosten der Sanierung bei knapp fünf Millionen Euro. Thorsten Doll und seine Nachbarn interessiert das ganz genau - denn ihnen gehört jeweils ein Einfamilienhaus oder eine Wohnung auf der Wasserstraße - und deshalb werden sie am Ende der Bauarbeiten einen Teil davon bezahlen müssen. Die Anwohner:
"Junge Familien halt auch, die gerade anfangen. Und dann stehen die wieder bei der Bank."
"Wenn man denn noch einen Kredit bekommt. Wir haben ja auch 80-jährige Eigentümer, die kriegen keinen mehr."
"Es gibt genug Leute, die das echt zusammenkratzen müssen und nicht wissen, wie sie an die Kohle rankommen."
In Nordrhein-Westfalen müssen Kommunen von den Anliegern sogenannte Straßenausbaubeiträge - kurz Strabs - erheben, wenn sie Straßen erneuern. Wie hoch diese Beiträge sind, hängt von der Zahl der Anwohner, der Baumaßnahme und der jeweiligen Straße ab. Bei reinen Wohnstraßen zahlen die Anlieger den Löwenanteil, bei Durchfahrtsstraßen weit weniger. Im Mittel sprechen Experten von rund 20 Euro Kosten pro Quadratmeter Grundstücksfläche.
NRW plant Anspruch auf Ratenzahlung
"Wir wollen die Beiträge abgeschafft haben, weil sie absolut unfair sind", sagt Lydia Schumacher. Sie wohnt in der Eifel südwestlich von Bonn, ein Gebiet, in dem die Grundstücke gerne mal 1.000 Quadratmeter groß sind. Sie fährt fort: "Die Anlieger sind das Rückgrat der Gesellschaft in den Kommunen. Die zahlen jede Menge Steuern, das geht von der Grunderwerbssteuer bis zu der Grundsteuer. Und wir werden da auch noch einmal zur Kasse gebeten, und das muss ein Ende haben."
Deshalb hat Lydia Schumacher die landesweite Arbeitsgemeinschaft "Schluss-mit-Strabs" ins Leben gerufen, und deshalb steht sie jetzt im Düsseldorfer Landtag vor dem Sitzungssaal des Ausschusses für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen. Dort wird gerade über die Erneuerung der Straßenausbaubeiträge diskutiert. Bauministerin Ina Scharrenbach, CDU, will Bürger zum einen stärker in Bauplanungen mit einbinden. Sie sagt: "Zum anderen schaffen wir voraussetzungslos einen Anspruch auf Ratenzahlung. Das geht heute nicht. Wir senken ab den Zinssatz, der zu zahlen wäre, wenn man sich den Beitrag stunden lässt oder auf Raten zahlt. Und wir schaffen Ermäßigungstatbestände, für die Tiefenbegrenzung von Grundstücken, für Eckgrundstücke."
Flickenteppich an Strabs-Regelungen
Diese Vorschläge gehen vielen Bürgern in NRW nicht weit genug. Dutzende Protestbündnisse haben sich formiert, fast 450.000 Menschen haben eine Petition zur kompletten Abschaffung der Beiträge unterzeichnet. Auch die SPD ist dabei.
In acht Bundesländern gibt es die Straßenausbaubeiträge schon nicht mehr, darunter Baden-Württemberg, Bayern und Mecklenburg-Vorpommern. Woanders entscheiden die Kommunen, ob sie Anlieger zur Kasse bitten - reiche Kommunen haben auch hier die Beiträge abgeschafft. Nur noch in Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen werden Kommunen per Gesetz verpflichtet, die Beiträge zu erheben. Wozu das führen kann, schilderte der Bürgermeister der Gemeinde Erndtebrück am Rothaargebirge bei einer Expertenanhörung im Landtag:
"Der soziale Frieden ist gestört, wenn Beiträge erhoben werden, die existenzbedrohend sind." In seiner Gemeinde wird deshalb aktuell gar keine Straße mehr saniert. "Weil unsere Ratspolitiker zu Recht monieren, dass sie mit diesen Straßenausbauten unsere Bürger nicht ruinieren möchten."
Wer zahlt: Allgemeinheit oder Eigentümer?
In der Diskussion um "Strabs" werden Fälle etwa von jungen Familien oder Rentnern geschildert, die keine tausende Euro für den Straßenbau zahlen könnten. Diejenigen aber, die auch dank ihres Eigentums zu den Bessergestellten in der Gesellschaft zählen, werden nicht erwähnt. Cora Ehlert vom Städte- und Gemeindebund NRW: "Wir haben hier eine Gerechtigkeitsdebatte. Man muss sich einfach klar darüber sein, wenn wir sie abschaffen, dann bezahlt es jemand anderes. Dann stellt sich eben die Frage, ob das alle Bürgerinnen - oder der Bürger bezahlen soll, der den konkreten Vorteil an der Straße hat."
Abschaffen wird NRW die Straßenausbaubeiträge allerdings wohl nicht. Ob die von Schwarz-Gelb vorgesehenen Änderungen den Konflikt in den Kommunen entspannen, bezweifeln jedoch auch die Fraktionen, die grundsätzlich für die "Strabs" sind, wie der Grünen-Abgeordnete Mehrdad Mostofizadeh erklärt: Im Gesetzgebungsverfahren zeigt sich zunehmend, dass auch die Entschärfungsversuche, die die Landesregierung vorlegt, zu deutlich mehr Bürokratie führen. Wenn man sich die Erhebungskosten in den jeweiligen Städten anschaut, ist das, was dann noch übrig bleibt, relativ überschaubar."
In Essen oder Düsseldorf zum Beispiel werden die Hälfte bis zwei Drittel der Anliegerbeiträge durch Verwaltungskosten aufgefressen. Mehrdad Mostofizadeh: "Und dann muss man sich schon fragen, ob das Verfahren so noch Sinn macht."
Lieber eine kleine Dauerabgabe
Zurück an der Wasserstraße in Bochum sehen die Anwohner den Sinn ihrer Straßensanierung ohnehin nicht:
"Ganz ehrlich: Ich bin hier vorher reingefahren, ich fahre hier nachher raus. Ob der Gehweg jetzt einen Wurzelschaden weniger hat, oder ob hier ein Radweg ist: Mich persönlich tangiert das relativ wenig."
Was sie sich wünschen: Wenn schon Beiträge, dann als geringe, fortlaufende Zahlung, und nicht plötzlich und punktuell. Vereinzelt gibt es das in Deutschland auch schon. Anwohner:
"Tendenziell ist es natürlich für die Leute in NRW schon frustrierend, das sollte eigentlich auch länderübergreifend einheitlich sein."