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Schockrechnungen in Wetzlar
Wenn die Straßensanierung zum Albtraum wird

Eine Straße in Wetzlar soll saniert werden, und die Anwohner sollen sich beteiligen. Doch der Schock ist groß, als die Kostenbescheide der Stadt eintreffen: Summen bis zu 60.000 Euro stehen plötzlich im Raum. Die Bürger gehen nun auf die Barrikaden, um eine Änderung der Straßenabgaben zu erzwingen.

Von Ludger Fittkau | 30.08.2017
     "Wir werden versemlert. 20.200 Euro". Das Plakat zielt auf den Wetzlarer Bürgermeister Harald Semler ab, der für die geplante Baumaßnahme verantwortlich ist
    "Wir werden versemlert. 20.200 Euro". Das Plakat zielt auf den Wetzlarer Bürgermeister Harald Semler ab, der für die geplante Baumaßnahme verantwortlich ist (Ludger Fittkau)
    Münchholzhausen, ein dörflicher Vorort der mittelhessischen Stadt Wetzlar. An der Dorfstraße, die durch den Ortskern führt, stehen noch einige Fachwerkhäuser, die ursprünglich mal Bauernhöfe waren. Es sind sogenannte "Hofreiten", in denen der landwirtschaftliche Betrieb um einen Innenbereich organsiert war, der durch ein großes Holztor von der Dorfstraße getrennt war. Diese Hofreiten sind heute gerade für Familien mit Kindern sehr beliebt, weil die Kleinen im Innenhof ungefährdet vom Straßenverkehr spielen können. Familie Lerbs hat deshalb vor einem knappen Jahrzehnt einen solchen Bauernhof gekauft. Im Innenhof spielen an diesem Nachmittag aber nicht die drei Kinder der Familie, sondern es treffen sich Nachbarn, die über Mitteilungen der Stadt Wetzlar geschockt sind. Denn die Stadt will die Dorfstraße sanieren, die Anlieger sollen die Gebühr für die Sanierung tragen. Doch die Summen, die sie berappen sollen, sind enorm hoch:
    "Mein Name ist Sabine Schmidt, ich bin auch betroffener Anlieger dieser Straße und unsere Summe, die wir zu zahlen haben, ist 23.600 Euro.
    Mein Name ist Franz Weber und wir haben vor elf Jahren das Haus gekauft und sind jetzt überrascht worden von dieser enormen Summe von 15.000 Euro.
    Mein Name ist Thomas Müller, wir haben 2010 hier neu gebaut und sind jetzt überrascht worden von 18.600 Euro.
    Mein Name ist Michael Lerbs, ich bin Vater von drei Kindern, wir haben das Haus vor neun Jahren gekauft eine alte Hofreite und sind mit 32.900 Euro dabei."
    Summe sollte nicht existenzgefährdend sein
    Schon seit vielen Jahrzehnten ist es hierzulande vielerorts üblich, dass die Anlieger über Gebühren daran beteiligt werden, wenn ihre Straße grundsaniert wird. Das akzeptieren auch die Bewohner der Dorfstraße in Wetzlar- Münchholzhausen, betont Michael Lerbs. Aber die Summe, die dazu von der Stadt aufgerufen werde, dürfe nicht existenzgefährdend sein, fordert er. Auch die Ratenzahlungen, die die Stadt über vier Jahre anbietet, seien für seine Familie nicht leistbar:
    "Nein, auf gar keinen Fall! Dieses Angebot, das die Stadt da aufruft, ist für Familien oder Leute, die ein Haus gekauft haben, ein schlechter Witz. 750 und 800 Euro monatlich zusätzliche Belastung, das ist einfach nicht tragbar."
    Auf einem der vielen Protest-Transparente, die zurzeit an den Fassaden der Anwohner der betroffenen Straße hängen, ist zu lesen: "Wir werden versemlert. 20.200 Euro". Das zielt auf den Wetzlarer Bürgermeister Harald Semler von den Freien Wählern. Er ist für die geplante Baumaßnahme im Stadtteil Münchholzhausen verantwortlich. Semler weiß, dass neue Hauseigentümer beim Notar nicht immer darauf achten, dass auch Straßengebühren anfallen könnten. Allerdings gäbe es auch Bürger, die sich vor Kauf eines Hauses bei der Stadt erkundigen, ob in den nächsten Jahren eine gebührenpflichtige Straßenbaumaßnahme anstehe:
    "Wir können das selten auf fünf oder zehn Jahre voraussagen und insbesondere nicht genau. Aber vom Prinzip her kriegt man dazu in den Rathäusern dazu eine Auskunft."
    Kommunale Straßensteuer gefordert
    Das hilft aber nun den Anwohnern der Dorfstraße von Münchholzhausen nicht mehr. Zumal einige von ihnen fälschlicherweise auch dachten, die Durchgangstraße durch den Ort sei gar keine städtische Straße:
    "Der Notar hat dazu nichts gesagt und im Gegenteil, die Nachbarn haben sogar gesagt: Da habt ihr Glück, hier wird nie eine Straßengebühr auf Euch zukommen, weil das eine Kreisstraße ist."
    Diese Auskunft der Nachbarn war falsch. Nun muss eine Lösung her, die für die Anwohner und die Stadt tragbar ist. Die Bürgerinitiative, die die betroffenen Anwohner jetzt gegründet haben, fordert eine Umstellung der Straßengebühren vom der direkten Zahlung der Anlieger auf eine sogenannte "wiederkehrende Abgabe". Das wäre eine Art kommunale Straßensteuer, die jeder Bürger der Stadt regelmäßig zu entrichten hätte. Michael Lerbs berichtet, dass die Wetzlarer Nachbargemeinde Solms diese Form der Gebühr bereits eingeführt habe:
    "Da gab es dann auch Bürgerbescheide, da ging es dann auch auf die Barrikaden. Und hier reden wir jetzt von Summen, die Anlieger aufbringen müssen in einigen Ortsteilen zwischen 40 Euro und das geht maximal jetzt hoch bis 150 Euro pro Jahr, pro Anlieger."
    Der Wetzlarer Bürgermeister Harald Semler sieht eine neue "Straßensteuer" skeptisch. Aber er will sich der Diskussion nicht vollständig verweigern, fordert aber eine umfangreiche Aufklärung aller Bürger, bevor man das Gebührensystem so grundlegend wechselt:
    "Und deswegen ist mir wichtig, dass am Ende eine breite Diskussion darüber geführt sein wird, ob es denn tatsächlich alle wollen."