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Straubhaar kritisiert US-Zinssenkung

Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts, hält die erneute Zinssenkung in den USA für eine falsche Entscheidung. Die Wirtschaft werde erneut mit zu billigem Geld versorgt, was ein Grund für die Immobilienkrise gewesen sei, sagte Straubhaar.

Moderation: Jochen Spengler | 31.01.2008
    Jochen Spengler: Auf der einen Seite große Gewinne der Unternehmen, sinkende Arbeitslosenzahlen, vergleichsweise geringe Schulden der privaten Haushalte, weniger Neuverschuldung des Staates - kurz: eine gefestigte Konjunktur in Deutschland. Auf der anderen Seite eine leichte Delle im Wachstum, nervöse Aktienmärkte und eine unverkennbare Rezessionsgefahr in den Vereinigten Staaten von Amerika. Gestern hat dort die US-Notenbank Fed erwartungsgemäß erneut die Leitzinsen gesenkt um 0,5 Prozentpunkte. Vor einer guten Woche waren es schon einmal 0,75 Prozentpunkte, jetzt liegt der Leitzins bei 3 Prozent. Am Telefon ist Professor Thomas Straubhaar, der Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts. Guten Morgen, Herr Professor!

    Thomas Straubhaar: Guten Morgen, Herr Spengler!

    Spengler: Was wird die Leitzinssenkung nützen?

    Straubhaar: Kurzfristig mag sie helfen, vor allem die Börsenkurse zu stabilisieren und dafür zu sorgen, dass heute die Börsen in der Tendenz freundlich abschließen werden. Mittel- und längerfristig halte ich das für keine gute Lösung, weil hier im Prinzip gerade die Fehler wiederholt werden, die im Jahre 2001 folgende zu den Grundlagen dieser Immobilienblase, die geplatzt ist, geführt haben.

    Spengler: Was meinen Sie denn mit Fehlern?

    Straubhaar: Dass man im Prinzip die Wirtschaft mit zu billigem Geld versorgt, dass man dadurch erstens eben viel Liquidität in ein System pumpt. Diese Liquidität will was kaufen. Ursprünglich waren das Aktien der New Economy. Dann, als die platzte, ging man in Häuser, in Immobilien. Zweitens dadurch natürlich, dass Inflationserwartungen geweckt werden, die wir letztlich alle dann irgendwo bezahlen, wenn die Inflation steigt und das Geld weniger wert wird. Und drittens, gerade für USA ganz besonders kritisch, dass dadurch eben das Leben auf Pump, dass die Schuldner gegenüber den Sparern benachteiligt werden und das Leben auf Pump bevorzugt wird.

    Spengler: Alan Greenspan, der frühere Notenbankpräsident, sagt heute gegenüber der Wochenzeitung "Die Zeit", dass die Möglichkeiten der Fed ohnehin gering seien, eine Rezession zu verhindern. Stimmt das?

    Straubhaar: Das, denke ich, ist ja mit eine Erkenntnis, dass eben hier reale Wirtschaft ohnehin völlig anders tickt, nach anderen Rhythmen und Gesetzmäßigkeiten als eben Börsenkurse. Und deshalb kann es nicht sein, dass eine Notenbank im Prinzip mit Blick auf Börsenkursentwicklungen beginnt, ihre Geldpolitik anzupassen. Ich denke, gerade für Deutschland ist das eine wichtige Botschaft auch, dass eben hier wir vergleichsweise ein stabiles makroökonomisches Umfeld haben und dass gerade aus dem Grunde wir hier mit der notwendigen Gelassenheit bei allem Schrecken für die Aktionäre die Entwicklung an den Börsen auch betrachten sollten.

    Spengler: Wenn wir noch für ein Sekündchen in den USA bleiben: Könnte es sein, dass die Krise der Banken und der Finanzmärkte dann doch irgendwann sich auch auf die reale Wirtschaft niederschlägt?

    Straubhaar: Erstens kurzfristig auf jeden Fall. Ich glaube, das darf man ja nicht leugnen, dass gerade, wenn eben hier Buchwerte, Vermögenswerte, Hauswerte vernichtet worden sind, dann hat das auf das Verhalten der US-Bevölkerung natürlich nachhaltige Rückwirkungen, beispielsweise, dass dann eben nicht mehr auf die Erwartung in hohe Werte der Häuser Kredite aufgenommen werden, die dann den Konsum befeuern. Das wird wegfallen, dadurch der private Konsum etwas schwächer werden, und das wird auf Beschäftigung und Wachstum sicher kurzfristig negative Effekte haben. Ich denke aber, dass man jetzt gerade durch diese Maßnahmen der zu starken Zinssenkung für die mittlere und längere Frist hier Schaden angerichtet hat, weil hier wird Inflationserwartung getrieben, und das hat dann in der mittleren und längeren Frist viel schwerwiegendere Auswirkungen negativer Art auf die amerikanische Wirtschaft.

    Spengler: Das heißt, wir müssen mit einer möglichen Rezession in den USA rechnen. Heißt denn Globalisierung, dass die dann auch bei uns Auswirkungen hat?

    Straubhaar: Wenn USA schwächelt, wird das nach wie vor für Europa und Deutschland negative Auswirkungen haben, und zwar erstens, weil dann im Prinzip unsere Exporte in diese Länder nicht mehr im selben Ausmaße wie in der Vergangenheit wachsen, und deshalb wird die Exportwachstumsentwicklung etwas geringer werden. Zweitens wird gerade wegen der Zinssenkungen in den USA der Euro in der Tendenz stark bleiben. Das wird wiederum unsere Güter auf den Weltmärkten teurer machen oder teuer lassen. Was aber wichtig ist, ist, dass eben die amerikanische Wirtschaft nicht mehr den dominanten und ausschließlichen Effekt hat auf die deutsch-europäische Wirtschaft, dass wir jetzt das Glück haben, einerseits noch andere Märkte zu haben, in die wir exportieren können, und zweitens, dass auch die Binnennachfrage in Deutschland nicht zuletzt dank der guten Beschäftigungslage in diesem Jahr stabil sich entwickeln wird.

    Spengler: Vorgestern haben führende EU-Staaten auf einem Krisengipfel mehr Transparenz der Finanzmärkte und ein Frühwarnsystem für künftige Kreditkrisen gefordert. Ist das so hilflos, wie es klingt?

    Straubhaar: Nein, ich denke, das ist eine fast schon traditionelle Reaktion der Politik, dass sie immer in der Vergangenheit auf Börsenabstürze mit entsprechenden Maßnahmen versucht hat zu reagieren. Das hat dann kurzfristig auch immer wieder geholfen, aber zeigt eben, dass es immer neue Ursachen, die noch nicht erkannt sind, gibt, die dann eben wiederum in einer nächsten Runde zu einem Anpassen der Börsenkurse führen. Und dann wird die Politik wieder sagen, wir müssen Ratingagenturen besser kontrollieren, wir müssen Transparenz schaffen, indem wir diese Risiken offenbaren und das Verschreiben von Risiken und Überschreiben von Risiken, klar machen, was da geschieht, so wie das jetzt geplant ist, oder Frühwarnsysteme oder die Verbesserung der Eigenkapitalbestände.

    Spengler: So wie Sie das beschreiben, Professor Straubhaar, ist es wirklich hilflos und es brächte auch nicht viel, oder?

    Straubhaar: Doch, das hilft, dass ein nächstes Mal diese Art und diese Ursachen der Krisen nicht mehr ihre volle Wirkungskraft entfalten. Aber ich garantiere Ihnen, in fünf, in zehn Jahren wird man heute noch unbekannte Ursachen finden, die dann dazumal die nächste Krise heraufbeschwören. Das gehört zu Börsenentwicklungen, dass eben hier, es geht mal rauf und dann geht's runter, hoffentlich geht's mehr rauf, als es runter geht. Und die Geschichte zeigt, dass das der Fall ist, dass die Börsenkurse über die lange Frist immer eigentlich im langfristigen Trend nach oben gezeigt haben.

    Spengler: Und was kann Europa, was kann die Bundesregierung tun, um sich jetzt bestmöglich zu wappnen gegen Abschwungtendenzen?

    Straubhaar: Ich hoffe, dass sie im Moment möglichst wenig jetzt spezifisch als Folge der Börsenentwicklungen tut. Noch einmal: Eine Politik, die sich an Börsenkursen orientiert, ist mit Garantie keine gute Wirtschaftspolitik. Ich hoffe vielmehr, dass sie ihren Kurs eher weiterentwickelt und sich überlegt, was könnte gemacht werden. Geldpolitisch haben wir sowieso in Deutschland keinen autonomen Handlungsspielraum, und da würde ich auch nicht jetzt vorangehen. Finanzpolitisch würde ich darüber nachdenken, wie kann ich heute schnell wirkende Steuer- und Abgabensenkungsprogramme vorbereiten, vielleicht schon auf den Weg bringen, damit dann, wenn sozusagen der nächste Abschwungfaktor kommt, wir schnell im dann wahren Sinne antizyklisch reagieren können.

    Spengler: Das heißt, der Bürger braucht mehr netto in der Tasche?

    Straubhaar: Der Bürger braucht mittel- und längerfristig mehr netto in der Tasche, weil der private Konsum wird für Deutschland in diesem Jahr wichtiger denn je als Konjunkturstütze werden, vor allem eben auch, wenn USA tatsächlich in eine Schwächephase kommt, wenn vielleicht Südostasien nach den Olympischen Spielen in Peking in der zweiten Jahreshälfte in China schwächeln wird, dann ist es wichtig, dass wir antizyklisch reagieren können. Und dann müssen Steuer- und Abgabensenkungen rascher folgen, damit der Bürger mehr netto vom Brutto in der Tasche hat.