Philipp May: In Karlsruhe bei der Verhandlung dabei war heute Ulrich Silberbach, Bundesvorsitzender des Deutschen Beamtenbundes – mit 1,3 Millionen Mitgliedern die größte Interessenvertretung der Beamten. Guten Abend, Herr Silberbach.
Ulrich Silberbach: Guten Abend, Herr May!
May: Sie sind kategorisch gegen das Streikrecht für Beamte. Richtig?
Silberbach: Das ist richtig, ja.
May: Sie stellen sich also gegen die klagenden Beamten und gegen den Deutschen Gewerkschaftsbund. Wird Solidarität bei Ihnen klein geschrieben?
Silberbach: Nein, das ist natürlich der falsche Aspekt. Wir stellen uns nicht gegen die Beamten. Wir stellen uns auch nicht gegen andere Gewerkschaften, mit denen wir ja auf dem Markt konkurrieren, sondern wir stellen uns gegen eine falsche Ideologie, weil für uns das Streikrecht für Beamte nicht kompatibel ist mit den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums. Schlicht und einfach: Die Menschen, die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land wollen einen rechtssicheren öffentlichen Dienst. Sie wollen einen öffentlichen Dienst, der rund um die Uhr für sie da ist. Dafür sind sie auch bereit, mit Steuergeldern eine lebenslange Alimentation zu bezahlen. Deswegen passen aber diese beiden Tatsachen nicht zueinander.
"Beamte werden lebenslang alimentiert"
May: Aber ist es nicht im Interesse Ihrer Mitglieder, streiken zu dürfen, um ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern? Die vertreten Sie ja letztendlich.
Silberbach: Ja. Das machen wir für die Mitglieder, die dem Tarifrecht unterliegen, also Tarifbeschäftigte sind. Für die führen wir natürlich jedes Jahr im Wechsel beim Bund und bei Kommunen, wie in diesem Jahr, im nächsten Jahr wieder für die Länder, für die führen wir Tarifverhandlungen - da auch mit der Ultima Ratio, dass wir Arbeitskampfmaßnahmen führen. Aber für den Beamtenbereich führen wir Konsultationsgespräche, Beteiligungsgespräche, im Austausch, im Dialog mit dem Gesetzgeber, mit der Regierung. Das ist der richtige Weg und der soll auch so bleiben. Wobei es klar ist: Man kann den Dialog natürlich immer verbessern.
May: Aber das ist am Ende des Tages doch ein stumpfes Schwert, wenn man nicht streiken darf.
Silberbach: Ja. Aber das stumpfe Schwert hat natürlich auch auf der anderen Seite seine Konsequenzen. Das stumpfe Schwert, so wie Sie es bezeichnen - ich sehe es nicht ganz so -, führt aber in der Konsequenz dazu, dass der Beamte, die Beamtin lebenslang alimentiert werden - mit einer Versorgung, die teilweise auch öffentlich kritisiert wird, sehr gerne jedenfalls. Das ist aber das Kombi Pack, das ist der Deal, der dahinter steht, dass die Beamtinnen und Beamten rund um die Uhr einsatzfähig sein müssen. Sie müssen bereit sein, beispielsweise auch von A nach B zu wechseln, und damit meine ich nicht von der Hausnummer her, sondern auch in eine andere Stadt, in ein anderes Bundesland, insbesondere dann, wenn es Bundesbeamtinnen und Beamte sind.
Dafür ist auf der anderen Seite die Alimentationsverpflichtung des Dienstherrn da und aus beidem wird dann eine Kombination, die die Beamtinnen und Beamten, zumindest diejenigen, die bei uns organisiert sind, auch schätzen. Ich bin mir auch sicher, dass in anderen Mitgliedsgewerkschaften die Beamtinnen und Beamten das schätzen, gar keine Frage. Deswegen warne ich immer ein Stück weit davor, das ist manchmal eine ideologische Betrachtung.
May: Herr Silberbach, jetzt geht es aber nicht um Bundesbeamte. Es haben ja Lehrer geklagt.
Silberbach: Na klar.
"Lehrerinnen und Lehrer müssen Beamte sein"
May: Nun hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Beamten ja durchaus ein Streikrecht zugestanden, solange sie nicht hoheitlich tätig sind, wie zum Beispiel als Polizisten. Ist Streikrecht für Sie nicht ein Menschenrecht, wenn es jetzt gerade Beamte sind, die tatsächlich keine hoheitlichen Aufgaben erfüllen und auch nicht rund um die Uhr zur Verfügung stehen müssen, wie Lehrer zum Beispiel?
Silberbach: Genau da ist aber der Punkt nach dem Motto, für die hoheitlichen Tätigkeiten gibt es ja sowieso gar kein Vertun. Die sind auch nach europäischem Recht ausgenommen, können gegebenenfalls rausgekommen werden. Aber es kommt auch immer ein Stück weit falsch herüber. Das hat heute auch die Diskussion beim Bundesverfassungsgericht, die Anhörung gezeigt. Wir können nicht so ganz sicher davon ausgehen, was wollte denn der Europäische Menschenrechtsgerichtshof, was wollte er denn darstellen. Will er wirklich sagen, für Beamte in jedem Nationalstaat darf es keinen Ausschluss aus dem Streikrecht geben, oder will er, dass eine Diskussion geführt wird und dass schärfer geschaltet wird, in welchen Bereichen nationalstaatlich dann auch Bereiche des öffentlichen Dienstes streikfrei sein dürfen. Ich habe heute so aus der Anhörung, aus den Diskussionsbeiträgen und auch aus den Gesprächen entnommen, dass hier doch eine große Übereinstimmung ist, dass das, was wir uns in Deutschland erlauben, worauf die Bürgerinnen und Bürger einen Anspruch haben, was die Bürgerinnen und Bürger auch sehr schätzen, dass das durchaus auch europarechtskonform ist.
May: Jetzt haben wir aber das Problem, gerade bei Lehrern, dass verbeamtete und normal angestellte Lehrer nebeneinander arbeiten, das gleiche machen, aber völlig andere Privilegien haben beziehungsweise die einen haben keine, dürfen aber streiken. Nur das bringt denen nichts, weil immer genug verbeamtete Lehrer da sind, die in die Bresche springen müssen. Zeigt das nicht, dass es da einen Reformbedarf gibt bei diesem Nebeneinander?
Silberbach: Na ja. Der Reformbedarf liegt aus unserer Sicht jetzt, aus DBB-Sicht natürlich woanders. Aus unserer grundsätzlichen Überzeugung heraus müssen Lehrerinnen und Lehrer Beamte sein. Dann gibt es diese Zwei-Klassen-Gesellschaft, die dort implementiert ist, gar nicht. Das ist das eigentliche Problem, dass die Politik hier in den letzten Jahrzehnten in einigen Ländern - das ist ja nicht in allen Ländern so, aber in einigen Ländern - aus dem Sparprinzip heraus gesagt hat, okay, ich verbeamte nicht alle Lehrerinnen und Lehrer, sondern nehme einen Großteil von denen auch mittlerweile in die Tarifbeschäftigung.
"Die Menschen wollen ja verbeamtet werde"
May: Wäre es nicht viel schlauer zu sagen, keine Privilegien mehr für Lehrer, die dafür nach Leistung bezahlt werden und dann auch streiken dürfen?
Silberbach: Nein, das wäre überhaupt nicht schlauer. Ich meine, man kann darüber diskutieren. Das haben wir heute auch gemacht. Man kann natürlich eine gewisse Freiwilligkeit auch damit verbinden. So haben wir beispielsweise ja auch argumentiert. Es wird ja nicht jemand gezwungen, Beamter zu werden. Das heißt: Vorsicht bei der Berufswahl. Wenn ich mich entscheide, beispielsweise ich will Polizeibeamter werden, oder Polizist werden - mache ich es mal allgemeiner -, dann ist relativ safe - mit einigen Ausnahmen wie hier in Berlin, da gibt es auch ein paar Ausnahmen -, dass das im Beamtenstatus erfolgt.
Ich habe aber auch noch keinen Kollegen und keine Kollegin - das wurde heute auch aus anderen Kreisen bestätigt - erfahren oder erlebt, die gesagt haben, ich möchte gar kein Beamter sein, ich möchte rund um die Uhr im Dienst sein und ich möchte mein Leben sogar riskieren, beispielsweise als Feuerwehrbeamter, als Polizist, und bin auch froh darüber, wenn das nur im Tarifgeschäft geschieht. Nein, es wird ja anders herum ein Schuh daraus. Die Menschen wollen ja verbeamtet werden - mit wenigen Ausnahmen, das ist eine ideologische Frage, aber das ist im minimalen Prozentsatz. Nur der Staat oder die Länder waren in der Vergangenheit nicht zu 100 Prozent in der Lage und wollten es politisch nicht.
"Lehrerstreik? Das wäre heilloses Chaos"
May: Das verstehe ich ja, dass man verbeamtet sein möchte. Wir haben ja über die Privilegien gesprochen. Sie haben jetzt über Polizisten und über Feuerwehrleute gesprochen. Aber wir sprechen ja über Lehrer. Müssen Lehrer verbeamtet sein? Erzieher zum Beispiel in Kitas, die sind es ja auch nicht.
Silberbach: Das ist richtig. Das ist für uns auch eine Diskussion, weil wir sagen, wenn in diesem Land mittlerweile Bildung - und dazu gehört mittlerweile ja auch aus der Überzeugung heraus frühkindliche Bildung -, wenn die denn einen so hohen Stellenwert hat, wie unsere Politik gerne auch weiß machen will der Bevölkerung, dann müsste man hier auch konsequent darüber nachdenken, ob das alles im richtigen Rechtsverhältnis passiert. Fakt ist aber auch noch mal, dass wir natürlich sagen, das Berufsbeamtentum, der Lehrerberuf, der hat für uns schon auch einen ganz besonderen Wert. Warum? Wir haben einen Bildungsauftrag im Grundgesetz, in der Verfassung artikuliert. Wir haben eine Schulpflicht in diesem Land. Das heißt, ich bin gezwungen als Elternteil, solange mein Kind das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, es der Schulpflicht zuzuführen.
Die Konsequenz wäre, wenn dort Lehrer streiken, dass ich die Pflicht gar nicht abliefern kann. Da sind dann Lehrer im Streik und dann fahre ich morgens zur Schule und mein Kind kann an dem Tag nicht beschult werden, oder zwei oder drei Wochen am Stück. Stellen Sie sich das mal vor zum Beispiel in der Abiturphase, wenn die Klausuren geschrieben werden, wenn die Abiturprüfung gemacht wird. Wie soll das vonstattengehen? Das wäre heilloses Chaos. Deswegen aus unserer Überzeugung heraus muss der Lehrerberuf auch von Berufsbeamtinnen und Beamten ausgefüllt werden.
May: … sagt Ulrich Silberbach, Bundesvorsitzender des Deutschen Beamtenbundes – mit 1,3 Millionen Mitgliedern die größte Interessenvertretung der Beamten. Herr Silberbach, vielen Dank für das Gespräch.
Silberbach: Ich danke Ihnen, Herr May. Auf Wiederhören.
May: Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
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