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Streiks bei Lufthansa
"Wachstum nur möglich durch immer niedrigere Ticketpreise"

Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt sieht beim Wettbewerb zwischen Fluggesellschaften den Verbraucher in der Pflicht. Niedrige Ticketpreise gebe es nur bei niedrigen Kosten, sagte Großbongardt im Dlf. Der Kunde erhöhe den Preisdruck in der Branche.

Heinrich Großbongardt im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 07.11.2019
Hamburg, 7. November 2019 - Reisende kommen am Morgen bei Nebel am Flughafen Hamburg an. Die Flugbegleitergewerkschaft Ufo streikt bei der Lufthansa.
Fluggäste sind verärgert über Streiks wie aktuell bei der Lufthansa - aber der Kunde ist auch mitverantwortlich für den Kostenkampf in der Branche (picture alliance / dpa / Bodo Marks)
Dirk-Oliver Heckmann: Die Flugbegleiter der Lufthansa wollen mehr Geld und eine Verbesserung der Spesenabrechnung. Vor allem aber will ihre Gewerkschaft namens UFO als Verhandlungspartner akzeptiert werden. Das aber hat die Lufthansa abgelehnt. Der Vorstand der Gewerkschaft sei nach internen Querelen nicht ausreichend legitimiert, so die Argumentation - eine Argumentation, der die zuständigen Gerichte nicht folgen mochten. Sie erlaubten den angekündigten Streik heute und Morgen.
Wir können das Thema jetzt weiter vertiefen, und zwar mit dem Luftfahrtexperten Heinrich Großbongardt. 180.000 Passagiere sind von dem Ausstand betroffen. Wäre dieser Streik vermeidbar gewesen?
Heinrich Großbongardt: Ja, es ist fraglich, ob der wirklich nötig war, denn die Forderungen, um die es geht, sind nicht so dramatisch, als dass man dafür einen Arbeitskampf anfangen müsste. Aber es geht natürlich auch darum, dass der jetzige UFO-Vorstand um die Legitimation kämpft, dass wir den Wettbewerb zwischen letzten Endes drei Gewerkschaften haben, die Flugbegleiter vertreten. Das ist eine nicht so schöne und auch nicht einfache Ausgangssituation, glaube ich.
"Lufthansa hätte mit jetzigen UFO-Vorstand verhandeln können"
Heckmann: Es gibt ja in den letzten Jahren die Tendenz, kleinere Gewerkschaften wie die GdL bei der Bahn beispielsweise oder auch die Flugvereinigung Cockpit im Flugbereich, die ein ganzes Unternehmen in Geiselhaft nehmen können, um ihre Spezialinteressen durchzusetzen. Haben wir mit UFO jetzt wieder so einen Fall?
Großbongardt: Nein. Ich glaube, das ist nicht der Fall. Denn man sieht ja: Die Forderungen, die es da gibt, die werden auch von den anderen Gewerkschaften vertreten. Das ist nicht so, dass da etwas überzogen wird. Aber es ist natürlich letzten Endes auch verständlich dann wieder auf Seiten der Lufthansa. Drei Partner am Tisch zu haben und natürlich damit ein gewisses langfristiges Erpressungspotenzial durch Kleingewerkschaften, ist auch keine sonderlich erfreuliche Situation. Es geht ja darum, denke ich, auch für eine Lufthansa, politisch eine solche GdL-Situation zu verhindern.
Heckmann: Das ist auf der einen Seite nachvollziehbar, Herr Großbongardt, aber die Lufthansa hat ja gesagt, wir akzeptieren UFO nicht, weil der Vorstand nicht richtig legitimiert sei, nachdem mehrere Mitglieder zurückgetreten waren und jetzt nur noch zwei Personen im Vorstand sitzen. War das vor dem Hintergrund der Streikmaßnahmen, die ja auch teuer sein werden, eine kluge Strategie?
Großbongardt: Ich würde da mal ein Fragezeichen machen, ob das wirklich tatsächlich notwendig war. Ich glaube, da ist auf beiden Seiten was schiefgelaufen, denn die Klärung dieser Fragen hätte sicherlich auch noch bis zum Frühjahr Zeit gehabt. Auf der anderen Seite hätte die Lufthansa, glaube ich, durchaus mit dem jetzigen UFO-Vorstand verhandeln können.
"Ärgerpotenzial bei Passagieren"
Heckmann: Was könnte der Streik denn jetzt das Unternehmen kosten? Da ist von einem zweistelligen Millionenbetrag die Rede. Sind das Beträge, die die Lufthansa mit der Portokasse bezahlt, oder wie sieht das aus?
Großbongardt: Natürlich bezahlt sie das letzten Endes mit der Portokasse. Es ist natürlich nichts, was das Unternehmen umbringt. Klar wird das in der Quartalsbilanz sichtbar sein, aber es geht letzten Endes auch immer darum: Es sind 130.000 Passagiere betroffen, von denen nicht alle ohne weiteres umbuchen können. Und wenn ich mir vorstelle, das ist der Freitag – ich selbst bin betroffen. Da fällt auf einmal am Tagesrand ein Flug aus, wo die Leute nicht nachhause kommen. Das ist dann auch schon ein Ärgerpotenzial bei Passagieren, glaube ich.
Heckmann: Das ist nachvollziehbar, das Ärgerpotenzial. Aber der Ärger bei den Flugbegleitern, der mag auch da sein, und zwar durchgehend. Wie sind denn die Arbeitsbedingungen der Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter bei der Lufthansa und ihren Töchtern?
Großbongardt: Man muss sicherlich unterscheiden zwischen Lufthansa und den Töchtern. Bei den Töchtern ist die Bezahlung sicherlich schlechter als bei der Lufthansa, denn irgendwo her müssen auch die niedrigen Ticketpreise kommen, die die Passagiere nur noch zahlen wollen. Irgendwie ist da natürlich auch ein starker Wettbewerb mit Konkurrenten, die noch schlechtere Bedingungen bieten. Das ist alles gerade im Bereich Billigfluggesellschaften kein hochbezahlter Traumjob mehr. Aber auf der anderen Seite ist es auch so, dass in den letzten Jahren es durchaus gelungen ist, da ein vernünftiges Lohnniveau hinzubekommen.
Heckmann: Herr Großbongardt, wir haben heute Vormittag mit anderen Branchenexperten gesprochen. Die sagen, die Lufthansa habe den Plan, mehr und mehr Flugzeuge und Besatzungen in Tochtergesellschaften outzusourcen, in Billiglinien abzuschieben, wo dann auch schlechtere Bedingungen für die Angestellten gelten. Gibt es diese Tendenz?
"Niedrigere Ticketpreise verändern Mobilitätsverhalten in der Gesellschaft"
Großbongardt: Diese Tendenz gibt es sicherlich. Die gibt es schon seit langer Zeit. Der Hintergrund ist natürlich der zunehmende Wettbewerb zwischen den Fluggesellschaften in Europa mit den Billigfluggesellschaften, mit EasyJet, mit Ryanair, mit Wizzair etc., der natürlich über den Preis ausgetragen wird. Niedrige Ticketpreise kann ich nur bringen, wenn ich niedrige Kosten habe, und Personalkosten sind nun mal neben Kerosin der zweitgrößte Kostenblock einer Fluggesellschaft.
Heckmann: Ist das eine gute Entwicklung, die wir zu verzeichnen haben, diesen Wettbewerb, den Sie ansprechen, diese niedrigen Preise? Oder zeigt sich da auch, dass das einen großen Schaden verursacht?
Großbongardt: Nein, eine gute Entwicklung ist das nur begrenzt. Auf der einen Seite erzeugt das Wachstum im Luftverkehr, das ökologische Konsequenzen hat, und auf der anderen Seite ist dieses Wachstum natürlich nur möglich durch immer niedrigere Ticketpreise, die das Verbrauchsverhalten und auch das Mobilitätsverhalten in der Gesellschaft durchaus gründlich verändern. Das ist sicherlich kein Naturgesetz, dass das so sein muss, und das ist sicherlich auch in der extremen Ausprägung, die wir teilweise sehen, nicht zwingend wünschenswert.
Heckmann: Kein Naturgesetz, sagen Sie. Was könnte man dagegen unternehmen? Wer wäre da in der Pflicht?
Großbongardt: Ich denke, es ist auch der Verbraucher in der Pflicht, denn solange der Kunde am Ende von fünf oder zehn Euro seine Ticketkaufentscheidung abhängig macht, solange existiert natürlich ein hoher Preisdruck.
Heckmann: Das heißt, Sie würden unseren Hörerinnen und Hörern vom Deutschlandfunk sagen, in der praktischen Konsequenz: Hände weg von diesen Billig-Tickets?
Großbongardt: Ja, natürlich! Wenn ich billig kaufe, muss ich einfach auch fragen, nicht nur im Luftverkehr, sondern ganz generell muss ich fragen, wie kommen diese niedrigen Preise zustande.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.