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Streit um Medikamententests
"Ein systematischer Missbrauch ist ausgeschlossen"

Das neue Arzneimittelgesetz, das auch Tests an Demenzkranken erlauben soll, sorge für mehr Transparenz in der Forschung an Patienten, sagte Peter Dabrock, der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, im DLF. Die Kritik, die Neuregelung sei unethisch, wies er zurück. Schutzvorschriften sorgten dafür, dass nicht gegen den Willen von Betroffenen gearbeitet werde.

Peter Dabrock im Gespräch mit Daniel Heinrich | 11.11.2016
    Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrates, spricht in ein Mikrofon
    Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrates (dpa/picture alliance/Uwe Zucchi)
    Daniel Heinrich: Das Arzneimittelrecht wird neu geordnet, am Telefon ist Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrats. Herr Dabrock, Untersuchungen am Menschen, die nicht mehr im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte sind, ist das nicht unethisch?
    Peter Dabrock: Ja, wenn man die Frage so stellt, dann würde man natürlich zuerst sagen: Klar ist das unethisch! Aber jetzt kommt die entscheidende Weichenstellung, die dieses Gesetz vorsieht: Es wird in Deutschland nur erlaubt sein, eine gruppennützige Forschung an nicht Einwilligungsfähigen, wenn diese Personen vorher im Vollbesitz ihrer Kräfte dazu eine Vorausverfügung nach ärztlicher Beratung gefüllt haben, eine Vorausverfügung, die jederzeit widerrufbar ist. Kurzum: Es bleibt in Deutschland dabei, dass eine gruppennützige Forschung von Menschen, die nicht einwilligen können oder nie einwilligen konnten, verboten ist.
    Heinrich: Sie sagen, das kann sofort widerrufen werden. Wenn ich mir einen Demenzkranken vorstelle, wie soll der das widerrufen können in einem fortgeschrittenen Stadium seiner Krankheit?
    "Hier wird nicht gegen den Willen der akut betroffenen Person gearbeitet"
    Dabrock: Es gibt eine Menge sozusagen an Sicherheitskautelen dazu, aber zwei sind dafür jetzt ganz besonders wichtig: Zum einen wird diese Vorausverfügung nur dann angewandt, wenn ein gesetzlich eingerichteter Betreuer oder Gesundheitsbevollmächtigter mit dem Arzt, dem forschenden Arzt zu der Überzeugung kommt, die Person hat nichts dagegen. Das Zweite ist, es sind absolut minimale Risiken. Also, wenn eine Blutprobe sowieso entnommen wird, davon dann noch mal ein paar Blutstropfen abzwacken für die Forschung, oder eine Speichelprobe oder so etwas. Also, auch das ist festgelegt.
    Und das Dritte, was für mich das Allerwichtigste ist: Leibliche Ausdrucksgesten, die Widerstand zeigen, also dass man nicht bereit ist, eben beispielsweise eine Speichelprobe abzugeben, müssen unbedingt als Ausdruck des Willens gewertet werden. Mein Ethikratskollege, Andreas Kruse aus Heidelberg, der viele, viele Demenzforschungen durchgeführt hat, bestätigt, dass diese leiblichen Ausdrucksgesten doch recht genau interpretiert werden können. Also, das ist für mich noch mal ein ganz starkes Indiz, dass hier nicht gegen den Willen der akut betroffenen Person gearbeitet wird, und das Zweite eben der Betreuer.
    Heinrich: Dennoch hat die ehemalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt hier im Deutschlandfunk gesagt, das besonders hohe Schutzniveau in Deutschland würde ausgehöhlt. Hat Frau Schmidt unrecht?
    Dabrock: Wenn Sie sich die neue Fassung des Arzneimittelgesetzes in dieser Frage anschauen, eine ganze Batterie an Schutzvorschriften, dass man meines Erachtens sehr sicher sagen kann: Ein systematischer Missbrauch ist ausgeschlossen. Wo Frau Schmidt recht hat, ist eben der Umstand, dass ein kategorisches Verbot so einfach nicht aufrechterhalten wird.
    Aber es ist ja eine vorausverfügte Selbstbestimmung, die das erlaubt. Und diejenigen, die das verbieten, die müssen erklären, warum sie einen Selbstbestimmungsakt nicht zulassen, wie wir das bei der Patientenverfügung oder beim Organspenderausweis ja auch immer tun.
    "Da muss man jetzt wirklich nicht den Teufel an die Wand malen"
    Heinrich: Lassen Sie uns auf die Selbstbestimmung der Menschen zu sprechen kommen: Wer seine Einwilligung gibt, der weiß doch noch gar nicht, was für Tests ein paar Jahre später auf ihn zukommen!
    Dabrock: Also, mit demselben Argument – das ist sozusagen argumentationslogisch gesagt – dürfte man natürlich auch überhaupt keine Patientenverfügung zulassen. Und das ist ja genau auch die Idee, warum wir auch im Gesetz zur Patientenverfügung es so geregelt haben, dass immer eben der Betreuer und der Arzt schauen müssen, ob die Patientenverfügung auf die Situation, in der sie angewandt werden soll, wirklich zutrifft.
    Denn das tut auch keine Patientenverfügung, dass sie einfach eins zu eins auf eine Situation übertragen werden kann. Man muss immer in der akuten Situation schauen, trifft diese Vorausverfügung zu. Also, von daher wäre da eine Vorausverfügung mit Blick auf Forschungsfragen überhaupt keine Ausnahme. Und natürlich ist es trotzdem eine andere Situation, das sollte man nicht bagatellisieren, weil es eben tatsächlich eine Vorausverfügung für eine Situation ist, in der man nicht einwilligungsfähig ist, in der einem etwas getan wird, was man in dem Augenblick selber nicht abschätzen kann, aber dafür gibt es ja diese enorme Batterie an Sicherheitsvorkehrungen.
    Sobald es nur Ansätze von Zweifeln gibt, dass die Person das nicht machen möchte, dann muss man das eben abbrechen. Und durch die wirklich auch intensive Dokumentation des Ganzen, glaube ich, muss man da auch jetzt wirklich nicht den Teufel an die Wand malen. Ich glaube, da baut man größeres Misstrauen auf, als es sich von der Sache her wirklich nahelegt.
    Heinrich: Sie sprechen die Kritiker schon an, aus den Reihen der Grünen vor allem kommen schwere Geschütze an, die sagen, das Vertrauen in die deutsche Forschungslandschaft würde zerstört. Sie sehen das nicht so?
    Dabrock: Das Erstaunliche ist ja, dass wir diesen Mechanismus – übrigens in durchaus gar nicht so abgesicherter Form – schon seit zwölf Jahren mit Blick auf Kinder haben. Und das gewissermaßen Irritierende ist, dass das genau von Frau Ulla Schmidt eingeführt worden ist, ja? Also, wenn das jetzt wirklich so wäre, dass die …
    "Eine andere hoch vulnerable Gruppe, Kinder, sind schon längst von einem ähnlichen Gesetz betroffen"
    Heinrich: Die ist jetzt nicht bei den Grünen, Frau Schmidt.
    Dabrock: Nein, nein, aber das Thema ist ja, ob jetzt die Forschungslandschaft, sozusagen das Vertrauen in die Forschungslandschaft erschüttert würde. Und da würde ich dann eben doch sagen: Wenn das so wäre, dann hätten wir ja schon seit zwölf Jahren … weil eine andere hoch vulnerable Gruppe, Kinder, die schon längst von einem ähnlichen Gesetz betroffen sind, erschüttert sein müssen, und das ist eben nicht der Fall.
    Und das ist mein Analogieschluss auch angesichts dessen, deswegen hatte ich den Namen Frau Schmidt noch mal erwähnt, weil Frau Schmidt eben ja auch zu den Kritikern dieses Gesetzes zählt.
    Heinrich: Die Bundesärztekammer, die Pharmaindustrie sogar hält diese Forschung nicht für notwendig. War diese Reform notwendig?
    Dabrock: Ja, das ist immer eine berechtigte Frage zu sagen, ob etwas notwendig ist oder nicht notwendig ist. Die forschenden Pharmaunternehmen waren sozusagen nicht für diese Gesetzesänderung, weil sie eine Gesetzesinterpretation der jetzigen Gesetzeslage haben, die davon ausgeht, dass im Grunde jetzt schon quasi sämtliche Forschung, wie man sie durchführt, als eigennützige Forschung deklariert werden kann.
    Denn dann darf man das machen bei nicht Einwilligungsfähigen, also wenn man irgendwie inszenieren kann, das kommt dem Probanden zugute, ja? Und da hat eben das Gesundheitsministerium, da haben die Abgeordneten, die auch die Änderungsanträge eingebracht haben, gesagt: Nein, das ist eine unstatthafte Verschleierung, das wollen wir ganz transparent machen. Deswegen waren die forschenden Pharmaunternehmen nicht für diese Gesetzesänderung.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.