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Streit um NO2-Grenzwert
Gefährlichkeit von Stickstoffdioxid bleibt umstritten

Rein wissenschaftlich lässt sich der Grenzwert für Stickstoffdioxid, kurz NO2, nicht begründen. Ein Studie des Bundesumweltamtes kommt aber zu dem Ergebnis, dass NO2 gesundheitsschädlich sein kann. Der emeritierte Lungenspezialist Dieter Köhler kritisiert die Studie im Dlf: "NO2 ist besonders ungefährlich."

Von Stefan Michel | 14.12.2018
    Feinstaubmessstation an der Schwarzwaldstrasse in Freiburg
    Die Stickstoffdioxid-Grenzwerte sind umstritten - die Position der Messstellen in Deutschland könnten sogar gegen EU-Recht verstoßen (picture alliance / dpa / Winfried Rothermel)
    Stickstoffdioxid, kurz NO2, reizt in hohen Konzentrationen die Atemwege. Eine Menge von nur 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft kann dagegen keinerlei akute Beschwerden auslösen. Aber man könne nicht ausschließen, dass eine solche geringe Konzentration über viele Jahre hin schädlich sein könnte, fand die US-amerikanische Umweltbehörde EPA.
    "Man hatte Daten zum NO2 von häuslicher Belastung, Gasherd und ähnlichem, genommen, und hat das dann einfach in Absprache festgelegt, damals übrigens nur als Empfehlung", erklärt der Medizinprofessor und Lungenspezialist Dieter Köhler. Die 40-Mikrogramm-Empfehlung der EPA bezog sich also auf Innenraumluft und auf die Annahme, dass empfindliche Personen wie Kleinkinder diese Luft das ganze Jahr über einatmen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO übernahm die 40-Mikrogramm-Empfehlung und machte sie kurzerhand zum Richtwert für Außenluft. Und die Europäische Union übernahm diesen Richtwert und erklärte ihn zum gesetzlichen Grenzwert.
    Studie: Stickoxid für 6.000 Tote pro Jahr verantwortlich
    Dagegen setzte die EPA in den Vereinigten Staaten den Grenzwert für die Außenluft ums zweieinhalbfache höher an, statt auf 40 auf knapp 100 Mikrogramm. Wie können die Umweltbehörden zu so unterschiedliche Einschätzungen kommen? Es gehe dabei eben nicht nur um wissenschaftliche Erkenntnisse, meint Myriam Tobollik vom Umweltbundesamt, sondern: "So was wie die Machbarkeit, also: Können wir diesen Grenzwert überhaupt erreichen? Also, es ist ein politischer Aushandlungsprozess, der dahinter steht."
    Im Auftrag des Umweltbundesamtes hat Annette Peters vom Helmholtz-Zentrum für Gesundheit und Umwelt die Erkrankungsraten in Gebieten mit hoher und mit geringer NO2-Belastung verglichen. Ergebnis: Stickstoffdioxid sei verantwortlich für acht Prozent der Diabetes-Erkrankungen, 14 Prozent der Asthma-Erkrankungen und für 6.000 Herz-Kreislauftote pro Jahr in Deutschland. Ist wirklich das NO2 dafür verantwortlich? Professorin Peters: "Es könnten theoretisch auch andere Schadstoffe sein, wie zum Beispiel die ultrafeinen Partikel. Und solange ich sozusagen das nicht zwingend zeigen kann, dass es die ultrafeinen Partikel zum Beispiel sind, denke ich, müssen wir nach wie vor die Bevölkerung über die NO2-Werte schützen."
    Lungenspezialist: "Stickstoffdioxid ist nun besonders ungefährlich"
    Professor Dieter Köhler kritisiert die Helmholtz-Studie scharf: "Hier hat man einfach einen Stadt-Land-Vergleich gemacht, hat minimale Unterschiede in der Lebenserwartung gefunden. Das gibt natürlich viele, viele andere Gründe, warum die Leute auf dem Land ein bisschen, einige Stunden länger leben." Um zu erfahren, wie viel NO2 ein Mensch verträgt, müsse man sich nur die Raucher ansehen. "Ein Raucher mit einer Packung am Tag erreicht locker NO2 10.000 bis 20.000 Mikrogramm pro Tag. Wenn denn dieser Grenzwert wirklich so gefährlich wäre und die so genannten 6.000 Toten entstehen würden, dann müssten die Raucher innerhalb von kurzer Zeit alle sterben."
    Das Fazit von Professor Köhler: Autoabgase und Tabakrauch enthalten zwar zahlreiche Schadstoffe, aber: "NO2 ist nun besonders ungefährlich, und zwar deswegen, weil es im Körper selbst auch entsteht aus NO. Der Organismus ist gewohnt, damit umzugehen. Das baut der ab. Und es ist auch biologisch gar nicht nachvollziehbar, warum das bisschen NO2, was man inhaliert, einen Diabetes auslösen soll."
    Deutsche Messstationen rechtswidrig
    Die Abgasmessstellen in Deutschland stehen fast ausnahmslos an stark befahrenen Straßen. Schon wenige Meter von der Messstelle entfernt kann die NO2-Konzentration wesentlich geringer sein. Der Europaabgeordnete und Arzt Peter Liese: "An den Stellen, wo in Deutschland, auch zum Beispiel in Köln, die Messstellen sind, da lebt ja zum Glück keiner, schon gar nicht sieben Tage die Woche und sein ganzes Leben, 80 Jahre lang.
    Teilweise sind die Messstationen sogar EU-rechtswidrig, weil man nach EU-Recht nicht da messen sollte, wo die höchste Konzentration ist, sondern wo es repräsentativ für die Umgebungsluft ist." Liese glaubt deshalb, dass eine Gesetzesänderung der Bundesregierung Bestand haben wird.