Donnerstag, 28. März 2024

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Verlage vs. Öffentlich-Rechtliche
Der lange Streit um die Presseähnlichkeit

Ein alter Konflikt mit neuen Vorwürfen: Die Online-Angebote von drei öffentlich-rechtlichen Sendern seien zu presseähnlich und griffen damit unzulässig in den Wettbewerb ein. Dagegen wollen sich jetzt mehrere Zeitungsverlage wehren.

Von Stefan Fries und Pia Behme | Alois Kösters im Gespräch mit Anh Tran | 21.09.2022
Eine Frau liest die Zeitung Magdeburger Volksstimme.
Die "Magdeburger Volksstimme" wirft dem MDR Presseähnlichkeit vor. (IMAGO / Jürgen Ritter / IMAGO / Jürgen Ritter)
Zeitungen liefern Texte, Radiosender gesprochenes Wort und Fernsehsender bewegte Bilder. So war es in der Zeit vor dem Internet. Dort aber bieten heute alle Medienanbieter alle Gattungen an – zum Beispiel Zeitungen auch Podcasts und Sender auch Texte.
Dass auch Öffentlich-Rechtliche das machen, stört die Verlage schon lange, weil sie darin eine illegitime Konkurrenz sehen. Sie sprechen von "Presseähnlichkeit". Denn im Netz sind Texte der Öffentlich-Rechtlichen nur einen Klick von Texten der Verlage entfernt. Während die einen durch den Rundfunkbeitrag schon finanziert und frei im Netz sind, müssen die anderen verkauft werden.

Gestritten wird seit 2011

Der Streit ist alt, aber längst nicht geschlichtet. Vorwürfe gibt es derzeit gegen drei Rundfunkanstalten: den Südwestdeutschen Rundfunk (SWR), den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) und Radio Bremen (RB). "Welt" hatte zuvor darüber berichtet.
2011 haben acht Verlage gegen die damalige Form der Tagesschau-App geklagt, weil sie ihnen zu "presseähnlich" war. Nach jahrelangen Verfahren gab es am Ende eine Einigung zwischen beiden Seiten, die teilweise inzwischen auch so im Medienstaatsvertrag steht. "Presseähnliche Angebote" sind den Sendern jetzt verboten, auch wenn umstritten ist, was "presseähnlich" bedeutet. Der Schwerpunkt der Angebote jedenfalls soll bei Videos und Audios liegen. Texte müssen einen Bezug zu einer Radio- oder Fernsehsendung haben.

Ist der MDR im Wettbewerb mit der "Magdeburger Volksstimme"?

Das sei beim MDR nicht immer gegeben, so Alois Kösters, Chefredakteur der "Magdeburger Volksstimme", im Deutschlandfunk. Er wirft dem MDR vor, presseähnliche Inhalte zu produzieren. "Wir sehen es so, dass Beiträge, die online gestellt werden und die keinen Bezug zu irgendwelchen Sendungen im Rundfunk oder im Fernsehen haben, also originär geschrieben werden von einer Online-Redaktion, dass das direkter Wettbewerb mit unserer Tageszeitung ist."
Oft seien auch die Bezüge nicht direkt, sagt Kösters. "Am Anfang war es so, dass der Online-Auftritt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Grunde nur über das Programm informieren und Hinweise auf tatsächlich stattfindende analoge Programme geben sollte. Das wird in vielen Fällen jetzt so ausgebaut, dass der Beitrag online das eigentlich Wesentliche ist."
Ein Sprecher des MDR sagte dem Deutschlandfunk: "Der MDR veranstaltet entsprechend seines staatsvertraglichen Auftrages Telemedienangebote. Diese haben das erforderliche medienstaatsvertragliche Genehmigungsverfahren durchlaufen. Die Inhalte der Telemedienangebote bewegen sich im Rahmen der erteilten Genehmigungen. Der MDR vermag daher einen solchen Vorwurf nicht nachzuvollziehen."

Reine Online-Angebote nur nach Drei-Stufen-Test

Die öffentlich-rechtlichen Sender können zwar reine Online-Angebote starten, sie müssen sie aber vorher extra genehmigen lassen – vom Rundfunkrat, der für den jeweiligen Sender die Aufsicht führt. Dafür dient der sogenannte Drei-Stufen-Test. Dabei wird in Stufe 1 geprüft, inwieweit das Angebot den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaft entspricht – was ohnehin Auftrag der Sender ist.
Stufe 2 soll klären, in welchem Umfang zum publizistischen Wettbewerb beigetragen wird – also ob das Angebot in Konkurrenz zu anderen, vor allem privaten Medien steht. Und Stufe 3 ermittelt, wieviel Geld für das Angebot gebraucht wird.

Schlichtungsstelle wurde jahrelang nicht genutzt

Über Beschwerden wollen beide Seiten zunächst ohne Gerichte sprechen. 2019 haben der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) und die ARD eine gemeinsame Schlichtungsstelle eingerichtet, die nur anlassbezogen zusammenkommt.
Auf ARD-Seite nimmt jeweils der Vorsitzende teil, im Moment WDR-Intendant Tom Buhrow, ein Stellvertreter und jeweils die Intendantin des betroffenen Senders. Auf der Seite des BDZV sind es der Präsident, im Moment noch Mathias Döpfner, und ein Stellvertreter.
Trotz verschiedener öffentlicher Beschwerden von Verlagen hatte jahrelang niemand die Stelle angerufen. Erst jetzt – am 14. Oktober – werden die ersten beiden Fälle verhandelt: eine Beschwerde des Bremer "Weser-Kuriers" gegen Radio Bremen – und die Beschwerde der "Magdeburger Volksstimme" gegen den MDR.