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Streit um private Autobahn A1
"Wir brauchen öffentlich-private Partnerschaften nicht"

Nach der drohenden Pleite der privaten Betreibergesellschaft der A1 kritisiert Grünen-Politikerin Valerie Wilms das Modell öffentlich-privater Partnerschaften (ÖPP). Das Scheitern des Projekts sei von vorneherein abzusehen gewesen, sagte die Verkehrspolitikerin im Dlf.

Valerie Wilms im Gespräch mit Peter Sawicki |
    Valerie Wilms (Bündnis 90/Die Grünen) spricht am 27.03.2015 während einer Bundestagssitzung im Reichstag in Berlin
    Valerie Wilms, Obfrau von Bündnis 90/Die Grünen im Verkehrsausschuss im Deutschen Bundestag (dpa)
    Peter Sawicki: Wir bleiben beim Thema Verkehr und schauen auf ein Projekt, das als Vorzeigeprojekt gegolten hat - eigentlich. Ein 73 Kilometer langer Teil der Autobahn eins in Norddeutschland, der in Rekordzeit aufgebaut wurde, das Ganze mit finanzieller Hilfe der Privatwirtschaft. Der Betreiber, der für den Ausbau verantwortlich war, steht jetzt aber vor der Pleite und hat Klage gegen den Bund eingereicht. Kurz vor der Wahl droht Verkehrsminister Alexander Dobrindt möglicherweise ein politisches Desaster.
    Was für Konsequenzen müssen aus diesem Fall jetzt eigentlich gezogen werden? Darüber sprechen wir mit Valerie Wilms. Sie ist Obfrau der Grünen im Verkehrsausschuss im Deutschen Bundestag. Guten Abend, Frau Wilms.
    Valerie Wilms: Guten Abend, Herr Sawicki.
    Wilms: Private Betreiber wollen das Risiko nicht übernehmen
    Sawicki: Haben Sie damit gerechnet, dass dieses Projekt scheitert?
    Wilms: Ja.
    Sawicki: Warum?
    Wilms: Einfach weil das noch ein Projekt ist, wo man versucht hat, wirklich mit fremdem Geld irgendwas so billig wie möglich zusammenzuzimmern, das Risiko komplett auf den Privaten zu verteilen und nicht darauf geachtet hat, dass dort auch dann eine Gesellschaft im Hintergrund steht, die wirklich viel Kapital hat, sondern da ist ja ein Konsortium gegründet worden mit drei Beteiligten, und so ein Konsortium hat natürlich im Endeffekt kaum Eigenkapital. Das lebt davon, wie seine Geldgeber dastehen. Und dann ist ja auch noch ein Geldgeber ausgestiegen aus dem Konsortium, ein großer, und dann war eigentlich klar, dass das irgendwann schwierig wird, dass die sich weiter mit Kapital versorgen können, und angesichts der Entwicklung der Verkehrszahlen, wo wir jetzt ja wieder auf dem Niveau eigentlich von vor Lehman Brothers gerade erst wieder angelangt sind, sicherlich auch etwas, was kalkulatorisch nicht ganz einfach war. Jetzt sind wir in der Phase, wo im Prinzip der Laden vor der Insolvenz steht, und dann ist die Frage, was machen wir: Machen wir die Autobahn dicht?
    Sawicki: Aber gehört das nicht zu den Vorteilen, dass das Risiko dann auf den privaten Betreiber übertragen wird?
    Wilms: Herr Sawicki, Sie sehen ja, was dann passiert. Dieser private Betreiber, das ist ein kleines Konsortium, nur für diesen Zweck gegründet. Und was macht der, wenn es ihm schlecht geht? Glauben Sie, der übernimmt das Risiko in die Gesellschafter? Der lässt das einfach insolvent gehen!
    Wer übernimmt den Betrieb der Autobahn?
    Sawicki: Aber die juristische Frage ist ja noch gar nicht geklärt. Ist es nicht zu früh, das zu kritisieren, weil das Verkehrsministerium ja sagt …
    Wilms: Nein, das ist ganz normal. Aber Entschuldigung! Was wollen Sie denn juristisch klären?
    Sawicki: Das Verkehrsministerium sagt, dass der Bund da kein Geld nachzahlen muss. Das Geld, was jetzt eingeklagt werden …
    Wilms: Nein, der zahlt auch kein Geld nach. Klar! Aber was passiert dann? Wenn er jetzt kein Geld reinsteckt, was er nicht muss, ganz eindeutig. Die Verträge sind da in der Richtung wahrscheinlich hundertprozentig sicher. Bloß was passiert dann? Dann geht diese Gesellschaft, diese Betreibergesellschaft irgendwann insolvent, weil sie kein zusätzliches Geld mehr bekommt, um den Betrieb aufrecht zu erhalten, weil ihre Geldgeber sagen, die Situation ist so: Du hast zu wenig Einnahmen, irgendwann kriege ich mein Fremdkapital nicht zurückgezahlt, also gebe ich Dir kein weiteres Geld mehr. Dann ist Insolvenz fällig.
    Sawicki: Das ist ja für den Bund kein Problem finanziell.
    Wilms: Für den Bund kein Problem. Aber was ist dann, wenn wir keine Betreibergesellschaft der Autobahn haben? Wer macht den Betriebsdienst? Wer holt den Dreck von der Straße? Wer macht den Winterdienst? Gar nichts mehr!
    "Dieses ganze ÖPP ist nicht nötig"
    Sawicki: Kann man nicht einen anderen Betreiber engagieren?
    Wilms: Das Ganze funktioniert doch nicht. Es findet sich doch im Endeffekt kein Betreiber, der auf Dauer, zumindest für 30 Jahre ernsthaft so ein Risiko bei einer Konstruktion, wie wir sie damals mit diesen sogenannten Ausbaumodellen, A-Modellen hatten, das von unklaren Einnahmen abhängig zu machen, sich darauf mehr einlässt. Darum ist das Modell ja auch geändert worden. So ein Modell, wie es damals bei dem A1-Projekt gelaufen ist, gibt es ja heute nicht mehr, sondern heute laufen diese ÖPP-Projekte mit festen Vergütungen, die die Betreiber bekommen. Und ist die Verfügbarkeit nicht da, dann wird Ihnen ein Abzug in dieser Vergütung gemacht. Aber grundsätzlich ist dieses Ganze nicht nötig, dieses ganze ÖPP.
    Sawicki: Das heißt, wenn ich da einhaken darf, Sie kritisieren ÖPP per se, oder nur das Projekt, das jetzt …
    Wilms: Per se! ÖPP brauchen wir nicht. Was haben wir für Vorteile bei ÖPP? Wir können durchgängig bauen. Das heißt, wir haben größere Abschnitte. Wir können das in einem Rutsch erledigen, nicht die üblichen fünf bis sieben Kilometer Abschnitte, die man so in einem Jahr, in einem Haushaltsjahr schaffen kann. Wir haben eindeutig eine überjährige Finanzierung. Das heißt, ich muss nicht immer am Haushaltsjahr-Ende auch fertig sein damit. Das sind zwei gute Vorteile. Der Nachteil ist aber, dass ich auf Fremdkapital angewiesen bin, was ich als Bund für wenig Geld, wenn ich es brauche, aufnehmen kann, wo aber ein Privater deutlich, weil er höhere Risiken hat - sieht man ja jetzt -, deutlich höhere Kosten hat.
    ÖPP war ein "Trick"
    Sawicki: Nun muss man ja festhalten: Bei dem aktuellen Projekt, was jetzt vor dem Scheitern steht, gab es ja diese besonderen Umstände wegen der Finanzkrise 2008. Ist das Projekt wirklich so aussagekräftig?
    Wilms: Nein. Aber es ist ein Grundsatzproblem bei dieser ÖPP-Politik. Wir brauchen sie nicht mehr. Es ist ja jetzt der Beschluss gefasst worden, dass wir eine bundeseigene Autobahngesellschaft machen. Das haben wir ja noch vor der Sommerpause beschlossen im Bundestag. Mit dieser bundeseigenen Autobahngesellschaft, da können wir diese beiden genannten Vorteile, dass wir durchgängig das finanzieren können, durchgängig auch bearbeiten können, das können wir selber in dieser bundeseigenen Autobahngesellschaft bauen, weil wir uns dort etwas von den klassischen Haushaltsregularien abkoppeln können. Und ich brauche da kein Fremdkapital. Was früher gemacht worden ist, warum ÖPP gemacht wurde, ist, weil einfach nicht genug Geld in der öffentlichen Kasse da war und aber liebe Politikerkollegen schlicht und ergreifend Bändchen durchschneiden wollten, irgendwo mit Projekten glänzen wollten. Dann hat man das über diesen Trick ÖPP fremdfinanziert.
    "Verträge müssen abgearbeitet werden"
    Sawicki: Jetzt fordert Die Linke beispielsweise, dass alle ÖPP-Projekte zumindest eingefroren werden sollten, alle Verträge überprüft werden sollten. Unterstützen Sie das auch?
    Wilms: Wissen Sie, das kann man ja fordern. Wir haben gültige Verträge. Schlicht und ergreifend müssen die Verträge abgearbeitet werden.
    Sawicki: Wie lange könnte das denn dauern?
    Wilms: 30 Jahre, schlicht und ergreifend. Die letzten Sachen sind in 30 Jahren abgearbeitet. Was machen wir denn mit ÖPP? Wir geben das Eigentum an dieser Strecke - 70 Kilometer A1 - für einen begrenzten Zeitraum an einen privaten Betreiber, und das müssen wir künftig unterlassen!
    Sawicki: Glauben Sie, dass das politisch auch durchsetzbar ist? Ist das mehrheitsfähig?
    Wilms: Ja! Das heißt, es ist jetzt noch eine gewisse Zeit, die wir brauchen, bis die Autobahngesellschaft des Bundes gegründet ist, dann in Betrieb genommen wurde. Das wird jetzt noch diese nächste Legislaturperiode andauern. Ich glaube, dann haben wir das Thema ÖPP im Fernstraßenbau oder überhaupt im Verkehrswegebau endlich beendet.
    Sawicki: Die Obfrau der Grünen im Verkehrsausschuss im Bundestag, Valerie Wilms, heute Abend bei uns im Deutschlandfunk. Danke, Frau Wilms, für Ihre Zeit.
    Wilms: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.