Donnerstag, 18. April 2024

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Streit zwischen Nestlé und Edeka
"Nestlé hat schlechtere Karten als andere Markenartikler"

Die Drohung des Einzelhandelsunternehmens Edeka, Nestlé-Produkte aus den Regalen zu nehmen, werde beim Schweizer Lebensmittelkonzern sicher ernst genommen, sagte der Handelsexperte Thomas Roeb im Dlf. Denn im Machtgefüge auf dem Lebensmittelmarkt seien "die Einzelhändler eher die Goliaths".

Thomas Roeb im Gespräch mit Birgid Becker | 19.02.2018
    Kunde am Kühlregal im Supermarkt
    Das Einzelhandels-Unternehmen Edeka lässt sich auf einen Machtkampf mit Nestlé ein - es will bessere Konditionen erzwingen (imago/biky)
    Birgid Becker: Edeka, Deutschlands größter Lebensmittel-Einzelhändler, setzt Nestlé, den Schweizer Riesen-Konzern, unter Druck, oder will das zumindest. Edeka will bessere Preise für Nescafé, Thomy- oder Maggi-Produkte; sonst fliegen die raus aus den Regalen. Das ist die Ausgangslage für den Konflikt, über den ich reden möchte mit dem Handelsexperten Thomas Roeb. Guten Tag.
    Thomas Roeb: Schönen guten Tag!
    Becker: Herr Professor Roeb, es ist zu lesen, es geht um 163 Produkte, die Edeka aus den Regalen räumen will, wenn Nestlé sich nicht zu besseren Konditionen entschließt. Wie erschreckend ist denn so eine Drohung für einen Weltkonzern wie Nestlé, auch wenn man dazurechnet, dass Edeka da ja eine Allianz gebildet hat mit der französischen Intermarché und der Schweizer Kette Coop. Muss Nestlé sich da ernstlich fürchten?
    Roeb: Ja, sicher! Nicht alleine wegen der 163 Artikel, sondern wegen der Tatsache, dass die Edeka mit Abstand der marktführende Lebensmittel-Einzelhändler in Deutschland ist. Es gibt Erwartungen auch von der Börse an die Umsatzentwicklung des Konzerns. Deutschland ist einer der wichtigsten Märkte von Nestlé. Wenn es hier zu spürbaren Umsatzeinbrüchen kommt, dann wird das natürlich nicht gut aufgenommen werden.
    Becker: Obwohl Nestlé mit Edeka ja nur ein Prozent seines Umsatzes erzielt?
    "Tendenziell sind die Einzelhändler eher die Goliaths"
    Roeb: Ja. Aber diese ein Prozent, das ist auf den gesamten Konzern bezogen. Es geht hier ja um den deutschen Markt. Wir reden ja speziell von dem deutschen Markt, und da ist die Edeka natürlich mit einem Marktanteil von 30 Prozent von enormer Bedeutung, wobei ich nicht davon ausgehe, dass jetzt die Nestlé-Produkte auf Dauer bei der Edeka ausgelistet werden, denn das wäre auch für die Edeka wiederum nicht schön, denn das sind ja doch bekannte Marken, vielleicht nicht so bekannt wie Nutella oder Persil, aber doch bekannte Marken, die auch ihre Kunden haben.
    Becker: Es stellt sich die Frage nach den grundsätzlichen Machtverhältnissen im Lebensmittelmarkt. Wer ist da David und wer ist Goliath?
    Roeb: Das kann man nicht pauschal sagen. Tendenziell sind die Einzelhändler eher die Goliaths. Wir haben den gesamten deutschen Lebensmittel-Einzelhandel und der wird zu 70, 80 Prozent, je nachdem wie Sie zählen, von fünf großen Konzernen beherrscht. Daraus ergibt sich dann fast automatisch, dass die Händler die Goliaths sind, aber es gibt doch einige namhafte große Herstellerkonzerne, vor allen Dingen solche mit sehr starken Markenartikeln - einige hatte ich schon genannt. Die können da durchaus mithalten in dem Machtkampf und lassen sich auch nicht die Butter vom Brot nehmen.
    Becker: Nestlé, der ausgewiesene Markenartikler, der, meinen Sie trotzdem, hat schlechtere Karten in dieser Auseinandersetzung?
    "Marken, die nicht so stark die Kunden binden"
    Roeb: Das habe ich nicht gesagt, dass sie schlechtere Karten haben. Es kommt ein bisschen darauf an. Auf jeden Fall hat Nestlé schlechtere Karten als andere Markenartikler, weil Nestlé zwar bekannte Marken hat, aber doch letztendlich Marken, die nicht so stark die Kunden binden, wie das ein Persil, ein Nivea, ein Nutella oder ähnliche Marken tun, und das ist gewissermaßen dann doch eine Schwäche für den Konzern.
    Becker: Nun hat das bei Edeka ja schon ein bisschen Tradition, dieses Rausschmeißen aus den Regalen. Da musste Tierfutter des Mars-Konzerns schon mal verschwinden oder Joghurt von Müller oder Pizzen von Dr. Oetker. Weiß man eigentlich etwas darüber, ob das machttaktisch betrachtet erfolgreich war?
    Roeb: Darüber werden natürlich keine Angaben gemacht. Aber ich würde es mal so formulieren: Wenn es ein kompletter Reinfall gewesen wäre, würden sie es nicht mehr machen – einerseits. Andererseits sind natürlich die Hersteller auch nicht auf den Kopf gefallen und berücksichtigen so was natürlich auch schon, dass es einmal zu so einer Situation kommen kann. Da muss man eben abwägen. Edeka ist zu groß, als dass man auf den Konzern verzichten kann, aber es geht ja auch letztendlich nicht darum, ob ein Artikel für 38 oder 39 Cent gekauft wird, sondern es geht um dieses ganze Drumherum, um die Werbungen, die man mit der Edeka zusammen schaltet, Neuprodukt-Einführungen, die Enge der Zusammenarbeit bei der Entwicklung des Marktes, und da kann man aktiv oder weniger aktiv sein.
    Becker: Was verbirgt sich eigentlich hinter dieser Aussage? Edeka beklagt, dass die Konkurrenz - Rewe vor allem - günstigere Konditionen hat. Da geht es nicht nur um Preise. Um was geht es da?
    "Es geht um das Drumherum"
    Roeb: Ich habe es gerade schon gesagt. Es geht um das Drumherum. Es würde mich sehr überraschen, wenn Nestlé der Edeka das Twix für 39 Cent verkauft und der Rewe für 38 oder Lidl für 37. Das wird mit Sicherheit nicht der Fall sein. Aber es gibt diese Basiskonditionen und darüber läuft der Basispreis. Darüber hinaus gibt es ein ganzes Spektrum unterschiedlicher Zahlungen, Zuschüsse für die Werbung in den Prospekten, Gelder, die gezahlt werden, um Produkte in den Regalen zu haben, überhaupt erst mal neue Produkte präsentieren zu können, und so weiter und so fort. Gelder, die gezahlt werden dafür, dass ein Händler besonders viele Artikel eines Herstellers hat, und da kann es durchaus sein, dass die Edeka findet, dass das, was sie leistet, im Gegensatz zum Beispiel zu Discountern, durch das Preissystem von Nestlé nicht ausreichend gewürdigt wird. Und Nestlé findet, es wird doch ausreichend gewürdigt, und darüber kann man dann diskutieren und streiten.
    Becker: Wenn Edeka nun argumentiert, dass es der Kunde gar nicht merken würde, wenn bestimmte Markenartikel aus dem Sortiment verschwinden, ist das nicht eine seltsame Argumentation für einen hochpreisigen Lebensmittelhändler, der ja dann indirekt auch sagt, die ganze Markenartikelei ist eh austauschbar, das spielt keine Rolle? Als Verbraucher gedacht, gehe ich doch dann gleich zur Billigkonkurrenz, da belästigt man mich gar nicht mit Markenartikeln.
    Roeb: Ja wer hat denn gesagt, dass Edeka ein Hochpreishändler ist?
    Becker: Ist es nicht?
    Roeb: Edeka hat ein sehr breites Spektrum an Eigenmarken, die preislich mit den Discountern mithalten können. Die legen da auf der einen Seite auch großen Wert drauf und haben auch sehr viel Engagement bei der Entwicklung dieser Eigenmarken geleistet. Auf der anderen Seite ist es natürlich so, dass die Markenartikel, die immer noch den Schwerpunkt des Sortiments bilden, natürlich teurer sind. Das liegt ja in der Natur der Sache.
    Becker: Aber trotzdem positioniert sich Edeka beim Verbraucher doch nicht als Discounter, sondern als derjenige, der mit besonderer Sorgfalt auf sein Sortiment guckt, und das umschließt die Markenartikel.
    Roeb: Absolut!
    Becker: Von daher noch mal gefragt: Ist das nicht eine seltsame Argumentation?
    "Ein preislich besseres Angebot dem Kunden gegenüber"
    Roeb: Ja wenn das so gesagt worden wäre, wäre es ein bisschen ungewöhnlich. Denn so viel kann man sicherlich sagen: Wenn es den Markenartikel nicht gäbe, dann gäbe es die Edeka in der heutigen Form auch nicht. Dann wäre es so, wie Sie sagen: Dann würden die Leute ja gleich zum Discounter gehen. Das Alleinstellungsmerkmal der Edeka oder der anderen Supermarktketten gegenüber den Discountern ist natürlich die Breite des Angebots, und die Breite des Angebots entsteht nicht dadurch, dass man zehn verschiedene Sorten von Marmelade hat, sondern meinetwegen fünf verschiedene Marken für die Erdbeer-Marmelade, aber mit unterschiedlichen Geschmacksnoten, und das ist das, was der Kunde haben möchte.
    Becker: Eins noch kurz zum Schluss. Die Fehde nun weitergedacht: Wenn Edeka bessere Konditionen erhält, hat der Kunde da irgendwas von?
    Roeb: Ja, sicherlich! Es ist jetzt nicht anzunehmen, dass die Edekaner jetzt hingehen und, wie die Banker das machen, damit Milliarden-Boni an die Mitarbeiter ausschütten. Der Lebensmittel-Einzelhandel, wiewohl er sich ja jetzt auf fünf große Händler oder sechs große Händler, je nachdem wie man zählt, konzentriert, ist doch sehr, sehr intensiv. Wir haben die niedrigsten Lebensmittelpreise in ganz Europa im Durchschnitt und da gehe ich schon davon aus, dass die Edeka so etwas nutzt, um ein preislich besseres Angebot dem Kunden gegenüber zu machen.
    Becker: Danke! – Thomas Roeb war das, der Handelsexperte der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.