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"Struktur der Deutschen Bahn sicherlich absolut veränderungsbedürftig"

Die Halbprivatisierung der Deutschen Bahn in den 90er-Jahren sei ein großes Problem, sagt der hessische Verkehrsminister Florian Rentsch (FDP). Derzeit sei die unternehmerische Entscheidung nicht voll tragfähig, weil der Staat Einfluss nehme. Es werde eine vollständige Privatisierung gebraucht.

Florian Rentsch im Gespräch mit Christine Heuer | 14.08.2013
    Christine Heuer: Eine Grippewelle zur Weihnachtszeit dürfte so ungefähr das schlimmste Szenario sein, dass Sie sich bei der Deutschen Bahn gerade ausmalen können. Wenn nämlich angesichts einer äußerst dünnen Personaldecke Urlaub und Krankheit zusammenkommen, wie jetzt am Hauptbahnhof Mainz, dann kann es schon mal passieren, dass ein ganzer Bahnhof faktisch stillgelegt wird. Am Ort des Geschehens, das die Republik seit einer guten Woche auf Trab hält, in Mainz also, gab es gestern ein erstes Krisengespräch. Heute folgt ein weiteres in Frankfurt.
    Am Telefon begrüße ich den FDP-Politiker Florian Rentsch, er ist hessischer Verkehrsminister. Guten Morgen, Herr Rentsch.

    Florian Rentsch: Guten Morgen.

    Heuer: Ende August sollen in Mainz die Züge wieder rollen. Sind Sie zufrieden mit diesem Versprechen der Bahn?

    Rentsch: Zunächst einmal muss man schauen, ob es überhaupt dazu kommt. Aber man kann mit dieser Botschaft sicherlich nicht zufrieden sein. Wir sind es jedenfalls in Hessen nicht. Wir sind ja auch betroffen von dieser Situation in Mainz. Und ich kann auch nur sagen, auch in Solidarität zu den Kollegen in Rheinland-Pfalz: Man hat eher das Gefühl, dass man sich hier in Südeuropa aufhält als in der Bundesrepublik, und eine Situation, die so umfassend vor allen Dingen Menschen, morgens gerade Pendler betrifft, ist alles andere als akzeptabel. Und insofern: Wir hoffen, dass es Ende August vorbei ist. Aber die Aufarbeitung dieses Falls wird ganz, ganz zentral sein.

    Heuer: Welche Auswirkungen hat denn das Bahn-Chaos von Mainz derzeit schon in Hessen?

    Rentsch: Wir sind ja sozusagen mittelbar betroffen – dadurch, dass Wiesbaden als Landeshauptstadt direkt an einige Verbindungen nach Mainz angebunden ist, aber natürlich auch eine ganze Reihe von Menschen, übrigens 50.000 insgesamt, über 50.000 Rheinland-Pfälzer, in Hessen arbeiten, die mit dem öffentlichen Personennahverkehr und der Bahn unterwegs sind. Das ist natürlich für Pendler eine Katastrophe, was dort passiert. Ich glaube, viele hätten auch Verständnis gehabt, wenn das, ich sage mal, in zwei, drei, vier Tagen erledigt gewesen wäre, dass so was mal passieren kann. Dass das eine so lange Zeit jetzt in Anspruch nimmt, das ist eigentlich unvorstellbar, und ich denke – das muss man definitiv auch sagen -, dass die Bahn da auch viel zu spät reagiert hat bei der Frage, wie man mit dem Thema umgeht und was man jetzt auch für Konsequenzen zieht.

    Heuer: Nun hat die Deutsche Bahn ja nicht nur in Mainz zu wenig Personal, sondern auch andernorts. Müssen wir uns denn sorgen, dass dieser Tage vielleicht dann der Frankfurter Hauptbahnhof dichtmacht, oder ein anderer hessischer Bahnhof?

    Rentsch: Das ist ja nicht ausgeschlossen. Aber der Frankfurter Hauptbahnhof ist der größte der Bundesrepublik von seinem Zugverkehr. Dann wäre der Zugverkehr in ganz Deutschland massiv betroffen. Fakt ist – und das, glaube ich, ist ja sicherlich eine der Schlüsselfolgen, die wir jetzt diskutieren müssen -, es muss bei der Bahn mehr diskutiert werden. Es gibt einen Bedarf von zirka dreieinhalb Milliarden Euro in das Netz, was gutachterlich festgestellt worden ist. Der Bund investiert hier nur knapp 2,5, 2,4 Milliarden Euro. Er schüttet sich eine große Dividende aus, 500 Millionen Euro, und wir haben schon als Verkehrsminister der Länder im Jahr 2011 beschlossen, dass diese Dividende nicht ausgeschüttet wird, sondern refinanziert wird und investiert wird. Diese Investitionen sind dringend notwendig, weil neben der Frage, dass die Struktur der Deutschen Bahn sicherlich absolut veränderungsbedürftig ist, so kann dieses Unternehmen nicht weitergeführt werden.

    Heuer: Verstehe ich Sie richtig, Sie fordern mehr Geld vom Bund für die Deutsche Bahn, um diese Probleme zu beheben?

    Rentsch: Der Bund kriegt ja Geld von der Deutschen Bahn. Es ist ja nicht so, dass der Bund nur investiert, sondern der Bund schüttet sich eine Dividende aus. Die Verkehrsminister haben gerade aufgrund des Zustands auch des Netzes gesagt, wir müssen dort mehr investieren, denn es geht natürlich auch an vielen Stellen um technische Engpässe, nicht nur personelle Engpässe. Das ist das eine.

    Das zweite ist, dass die Deutsche Bahn Mitte der 90er-Jahre in diesen Halbprivatisierungsgang getreten ist. Die Monopolkommission hat ja damals Vorschläge gemacht, auch für den Bund, wie man das machen kann. Und ich muss sagen, diese Halbprivatisierung ist eigentlich ein großes Problem. Sie ist stecken geblieben und ich teile das, was auch Rainer Brüderle sagt: Wir müssen eigentlich jetzt weitermachen. Wir brauchen eine vollständige Privatisierung, einen Börsengang. Man kann ja an einem Unternehmen – nehmen wir mal das Beispiel Telekom – sehen, dass das auch funktioniert, wenn der Staat sich dann dort auch zurückzieht, wenn unternehmerisch Verantwortung übernommen wird. So wie das jetzt ist, dass der Staat sozusagen immer wieder Einfluss nimmt, aber die unternehmerischen Entscheidungen quasi nicht voll tragfähig sind, das ist eine Situation, die definitiv so nicht bleiben kann.

    Heuer: Über den Börsengang, Herr Rentsch, reden wir gleich noch. Das Thema ist aber im Wahlkampf angekommen. Ich höre bei Ihnen eine Unzufriedenheit mit der Bundesregierung heraus. Die Opposition wirft Verkehrsminister Peter Ramsauer Versagen vor. Ist da was dran?

    Rentsch: Nein. Ich glaube nicht, dass der Verkehrsminister auf Bundesebene hier versagt hat. Ganz im Gegenteil! Er hat in den letzten Jahren schon Strukturen geändert. Die Frage ist, hat das ausgereicht. Bei der Frage der Finanzen ist der Verkehrsminister aus meiner Sicht nicht der richtige Ansprechpartner, sondern vor allem der Finanzminister und die komplette Regierung. Bei dieser Frage der Ausschüttung der Dividende kann man natürlich den Bund verstehen, aber der Bedarf ist ja gutachterlich seitens des Bundes selber festgestellt worden, und zwar, dass es zirka dreieinhalb Milliarden Euro sind jährlicher Bedarf an Investitionen. Wir geben eine Milliarde zirka weniger aus und deshalb wird diese Frage der Ausschüttung der Dividende jetzt schnellstens zu klären sein. Das ist übrigens auch parteiunabhängig auf der Verkehrsministerkonferenz vor über zwei Jahren entschieden worden.

    Zum Zweiten, denke ich, müssen jetzt Strukturen geändert werden. Die Finanzierung ist das eine, Strukturen ist das andere, und da muss der Bund jetzt ran, denn es ist ja nicht das erste Mal, dass wir über Bahnprobleme reden, ob das ausfallende Klimaanlagen sind, zu alte Züge, zu volle Züge. Das sind alles Themen, die jetzt dringend gelöst werden müssen, und man sollte nicht auf die nächste Krise warten.

    Heuer: Sie haben den Börsengang angesprochen, Herr Rentsch, der ja verschoben und dann abgesagt wurde. Der Börsengang, der geplant war, hat für das Sparprogramm bei der Deutschen Bahn gesorgt. Wenn Rainer Brüderle jetzt vorschlägt, ihn wieder ins Auge zu fassen, will er dann nicht den Teufel mit dem Beelzebub austreiben?

    Rentsch: Nein. Der Börsengang hat aus meiner Sicht nicht zu einem Sparprogramm geführt, sondern der Versuch war, die Bahn effizienter zu gestalten, und das kommt übrigens raus, wenn man dann doch in diesem staatlichen Eigentums- und Mehrheitsbesitz bleibt, so wie es dann passiert ist. Die Deutsche Bahn hat das Problem, dass sie aus meiner Sicht viel zu wenig kundenorientiert agiert. Und ich darf das auch mal sagen bei der Diskussion über die Frage Rückholung von Mitarbeitern: Jeder Mittelständler hätte in einer solchen Situation mit seinen Mitarbeitern sich die Frage gestellt, wie man massiv Schaden von einem Unternehmen abhalten kann. Ich finde die Gewerkschaftsverhalten und -reaktionen absolut inakzeptabel in dieser Frage. Ich habe Verständnis dafür, dass jeder Mitarbeiter einen Anspruch, einen rechtlichen Anspruch auf Urlaub hat, unbestritten, aber in einer solchen Krisensituation einfach und ernsthaft darüber zu diskutieren, ob man seinen Urlaub weiterführt, jeder Mittelständler, jeder kleine Unternehmer hätte hier anders gehandelt. Das zeigt: Die Deutsche Bahn ist kein richtig marktwirtschaftliches Unternehmen, sondern sie ist zum Schluss ein Staatsbetrieb, und so sind ja auch die Reaktionen jetzt. Jetzt sagen alle, der Staat muss hier handeln. Das ist mit Sicherheit nicht die logische Konsequenz, die ein privates Unternehmen gezogen hätte in einer solchen Situation.

    Heuer: Die Bahn, Herr Rentsch, hat mit Blick auf den Börsengang Zigtausende Stellen abgebaut, und das soll jetzt auf Kosten und auf den Rücken von Arbeitnehmern gehen, die nicht mal drei Tage zusammenhängenden Urlaub in diesem Jahr hatten?

    Rentsch: Es geht ja nicht darum, dass man den Mitarbeitern da den Urlaub nicht gönnt, denn in der Tat ist es so – das habe ich ja gesagt -, dass es da einen Rechtsanspruch gibt, sondern es geht um die Frage, wie man in einer solchen Krisensituation umgeht. Dass das ein Management-Fehler ist, ich glaube, das ist unbestritten. Die Frage der Planung ist nicht die Frage, das müssen nicht die Mitarbeiter machen, sondern das muss das Management machen, und hier ist eindeutig falsch geplant worden. Aber trotzdem ist doch die Frage, was passiert in einer solchen Krisensituation. Jedes Unternehmen muss sich dann überlegen, wie gehen wir damit um, und ich finde diese Diskussion auf dem Rücken der Pendler auszutragen, relativ unverantwortlich, und ob das ein Radiosender ist, der Deutschlandfunk, oder ein anderes Unternehmen, würde in einer solchen Situation darüber nachdenken, was machen wir denn jetzt, wie senden wir weiter, wie fahren wir unseren Betrieb weiter. Deshalb ist das eine absolut legitime Situation, was nicht bedeutet, dass man nicht die Strukturen ändern muss. Aber wenn ich mir die Berichte und auch die Schilderungen der Pendler anschaue, dass dort deren Wut jeden Tag steigt, das kann ich verstehen. Daran sind bestimmt nicht die Mitarbeiter der Bahn in erster Linie schuld, keine Frage. Aber jetzt in einer solchen Krisensituation muss man mehr zusammenhalten, das ist meine Position.

    Heuer: Herr Rentsch, ganz kurz zum Schluss, wirklich eine kurze Antwort: Welchen Anteil hat der ehemalige Bahnchef Hartmut Mehdorn am Zustand der Deutschen Bahn?

    Rentsch: Hartmut Mehdorn hat ja versucht, die Privatisierung voranzutreiben, ist dann gestoppt worden. Fakt ist, dass die ganze Struktur der Deutschen Bahn jetzt auf den Prüfstand gestellt werden muss. Insofern hat er sicherlich einen Anteil. Aber ich glaube, dass den Hauptanteil hier ganz klar die Strukturen haben, und deshalb muss die Politik, muss die Bundesregierung auch jetzt den Mut haben, Veränderungen bei der Deutschen Bahn einzuführen. Und wenn man diesen Mut nicht hat, werden wir die Diskussion über die Frage bei Problemen, über Probleme bei der Deutschen Bahn mit Sicherheit nächstes Jahr wieder führen.

    Heuer: Der hessische Verkehrsminister Florian Rentsch – haben Sie vielen Dank für das Gespräch.

    Rentsch: Vielen Dank.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.