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Studie mit Fruchtfliegen
Warum Schlafmangel tödlich sein kann

Schlafmangel schadet der Gesundheit. Er kann zum Beispiel Darmkrebs begünstigen. Aber wieso ist es für Körper und Gehirn ein Problem, wach zu bleiben? Der Antwort auf diese Frage ist eine amerikanische Forscherin jetzt durch Beobachtungen bei Fruchtfliegen nähergekommen.

Von Volkart Wildermuth | 29.06.2020
Zwei Fruchtfliegen saugen an einer vergorenen Frucht.
Werden Fruchtfliegen im Labor gezielt wach gehalten, sinkt ihre Lebenserwartung deutlich. (imago stock&people / blickwinkel)
Vor 120 Jahren haben russische Forscher Hundewelpen Tag und Nacht in ständiger Bewegung gehalten. Nach fünf Tagen waren die Tiere tot. Tatsächlich konnten sie länger ohne Nahrung als ohne Schlaf überleben. Oder starben sie, weil sie sich ständig bewegen mussten? Es ist gar nicht so einfach, die Effekte der Schlaflosigkeit wirklich isoliert zu untersuchen. An der Harvard Medical School arbeitet Dragana Rogulia mit Fruchtfliegen.
"Es ist schwer, die Tiere wach zu halten. Es gibt diesen mächtigen Drang zu schlafen. Wenn man die Gläschen schüttelt, schaffen es die Fliegen irgendwie sich an den Baumwollstopfen festzuklammern und sich den Schlaf zu holen."
"Die schlaflosen Tiere waren nach 20 Tagen alle tot"
Die Neurobiologin untersucht deshalb gentechnisch veränderte Fliegen. Bei Raumtemperatur schlafen diese Mutanten ganz normal, so lassen sie sich großziehen. Aber wenn der Thermostat im Labor auf 29 Grad Celsius hochgedreht wird, springt ein genetischer Schalter in ihrem Gehirn an und unterdrückt ihr Schlafbedürfnis. Die Fliegen sind Tag und Nacht aktiv, aber das verkürzt die Lebenserwartung signifikant. Normale Fruchtfliegen leben bei diesen Temperaturen 40 Tage, die schlaflosen Tiere waren nach 20 Tagen alle tot. Nur woran starben sie? Dragana Rogulja und ihr Team untersuchten sorgfältig alle Organe.
"Es gibt einen dramatischen Anstieg von aggressiven Sauerstoffverbindungen bei den Fliegen ohne Schlaf, aber ausschließlich im Darm. Wir waren geschockt, das war wirklich seltsam."
Dragana Rogulja hätte erwartet, dass Schlafmangel überall im Körper für Probleme sorgt, aber tatsächlich konzentrierten sich die Schäden im Darmtrakt. Das konnten die Forscher sehen, weil sie einen fluoreszierenden Farbstoff in die Zellen gebracht hatten. Im Darm leuchtete der nach und nach immer heller auf, weil sich dort Sauerstoffradikale ansammeln. Und die Intensität ging nach und nach zurück, wenn die Fliegen bei niedrigeren Temperaturen wieder schlafen durften. Das Team experimentierte auch mit Mäusen, die ein sich langsam drehender Stab immer wieder anstupste und wachhielt. Nach zwei Tagen fanden sich auch bei ihnen im Darm, und nur im Darm, erhöhte Spiegel von Sauerstoffradikalen, und nach fünf Tagen begannen die Zellen dort abzusterben. Aus Tierschutzgründen wurden die Experimente mit den Mäusen nicht länger fortgeführt. Deshalb kehrte das Team um Dragana Rogulja noch einmal zu den schlaflosen Fliegen zurück und fütterte sie, sozusagen als Therapie, mit Antioxidantien. Substanzen wie Linolsäure, Resveratrol oder N-Acetyl-Cystein, die Sauerstoffradikale wegfangen.
Antioxidantien schützten Fliegen mit Schlafmangel
"Das war ein Wow-Moment. Die Antioxidantien fingen die aggressiven Sauerstoffradikale weg, und das rettete die Fliegen trotz ihres Schlafmangels! In meinen wildesten Träumen hätte ich das nicht erwartet. Jeden Morgen sammelte sich die ganze Forschergruppe und zählte aufgeregt, wie viele Fliegen noch lebten. Die anderen schlaflosen Fliegen sahen immer kränker aus, bewegten sich kaum noch. Aber diese Kerle, die wirkten körperlich kraftvoll. Sie könnten natürlich etwas dumm sein oder geistig langsam, das wissen wir nicht, das wollen wir noch prüfen."
Nicht nur Nahrungsergänzungsmittel können den fehlenden Schlaf bei den genetisch veränderten Fliegen ausgleichen. Das gelingt auch mit genetischen Tricks, mit denen Dragana Ragoulja Enzyme im Darm der Fliegen aktiviert, die Sauerstoffradikale sozusagen entschärfen. Im Gehirn zeigen die gleichen Enzyme dagegen keinerlei Wirkung. Es gibt also wirklich eine ganz spezifische Verbindung zwischen Schlaf und Darm.
"The paper is certainly very interesting."
Diese Ergebnisse sind sehr interessant, findet Giorgio Gilestro, der am Imperial College in London herausgefunden hat, dass Fruchtfliegen ein sehr unterschiedliches individuelles Schlafbedürfnis haben.
Lösung nicht im Gehirn, sondern im Darm
"Es war immer ein Rätsel, warum eigentlich Tiere sterben, die man gar nicht schlafen lässt. Und jetzt stellt sich heraus, die Lösung findet sich nicht im Gehirn, sondern im Darm. Das ist faszinierend."
Er warnt aber davor, diese Ergebnisse auf den Menschen zu übertragen und mit Antioxidantien Schlafdefizite auszugleichen zu wollen. Das dürfte Dragana Rogulja ähnlich sehen. Ihr geht es nicht in erster Linie um medizinische Anwendungen, mit ihren Experimenten will sie verstehen, warum der Schlaf schon ganz früh in der Evolution der Tiere entstanden ist.