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Studie zu Finanzlobbyismus in Deutschland
"Gefährliche Schieflage"

Wie stark ist die Finanzlobby in Deutschland? Der Verein Finanzwende hat das in einer Studie untersucht. Rund 1.500 Interessenvertreter versuchen demnach in Berlin, ihren Einfluss auf Gesetzentwürfe geltend zu machen - oft mit Erfolg. Für mehr Transparenz soll ein neues Gesetz sorgen.

Von Mischa Erhardt | 09.12.2020
Das Logo der Deutschen Bank leuchtet am 08.01.2014 im Abendlicht auf der Fassade des größten deutschen Geldinstituts in Frankfurt am Main (Hessen). Foto: Arne Dedert/dpa
Viele Banken und Versicherungsverbände führen feste Konzernrepräsentanzen in Berlin - so auch die Deutsche, die Commerzbank oder auch die Allianz. (dpa)
1500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ein Budget von rund 200 Millionen Euro. Auf diese Zahlen kommt die Bürgerbewegung Finanzwende in ihrer Studie mit dem Titel "Ungleiches Terrain".
"Wir können feststellen, dass bei Stellungnahmen zu ersten Entwürfen von Gesetzen das Kräfteverhältnis 9 zu 1 ist; also 9 Beiträge von der Finanzlobby und nur ein Beitrag von zivilgesellschaftlichen, unabhängigen Akteuren. Das ist natürlich eine krasse Schieflage. Und wir müssen davon ausgehen, dass bei den Aktivitäten, die wir vielleicht gar nicht so dokumentiert sehen, das Verhältnis sogar noch ungünstiger ist"', sagt Gerhard Schick, ehemaliger Bundestagsabgeordneter der Grünen und nun Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende.
Einfluss über viele Wege
Einfluss sucht die Finanzbranche in Berlin demnach auf verschiedenen Wegen: Durch Branchenverbände wie Banken, Sparkassen oder den Versicherungsverband; oder durch feste Konzernrepräsentanzen in Berlin, wie sie etwa die Deutsche, die Commerzbank oder auch die Allianz in Berlin unterhalten. Und dann gibt es auch noch zahlreiche Kommunikationsagenturen oder Rechtsanwaltskanzleien, die die Interessen der Finanzindustrie versuchen geltend zu machen.
"Diese Schieflage ist gefährlich, weil sie sorgt dafür, dass Gesetze entstehen, die gut für die Finanzbranche sind und schlecht für den Rest der Gesellschaft. Und deswegen braucht es dringend ein Gegengewicht zu diesen über 1.500 Mitarbeitenden in der Finanzbranche".
Ein Graffiti mit der Aufschrift "Lobbyismus stoppen" steht an eine Hauswand gesprüht.
Pläne für neues Lobbyregister - Kontakte, Kampagnen und jede Menge Einfluss
Lobbyisten haben keinen guten Ruf – dabei gehört ihre Arbeit zum Parlamentarismus dazu. Bis Ende des Jahres wollen Union und SPD ein Lobbyregister einrichten.
Mehr Transparenz durch neues Gesetz?
Dabei ist die Schätzung von 1.500 Interessenvertretern der Finanzbranche in Berlin eine Mindestannahme, exakte Daten oder ein Melderegister gibt es nicht – noch nicht. Denn für etwas mehr Transparenz soll künftig ein neues Gesetz sorgen. Es ist auch als Reaktion zu sehen auf jüngste Skandale und Affären. So machte sich beispielsweise der frühere Verteidigungsminister zu Guttenberg im Kanzleramt für den mittlerweile insolventen Zahlungsabwickler Wirecard stark. Und der CDU-Abgeordnete Philipp Amthor setzte sich für ein Startup-Unternehmen ein, für das er als Bezahlung mindestens ein Zugriffsrecht auf Aktienoptionen hatte.
Grundsätzlich sei es wichtig und richtig, dass sich Abgeordnete mit den Interessen und Argumenten aus Wirtschaft und Gesellschaft in Gesetzgebungsverfahren auseinandersetzen, meint der finanzpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Florian Toncar.
"Den Abgeordneten fliegt ja die Erkenntnis auch nicht einfach im Traum in den Kopf, sondern man muss sich mit Argumenten auseinandersetzen".
Allerdings mit einer Einschränkung: "Es gibt natürlich auch Formen von Lobbyismus, die vielleicht weniger legitim sind. Zum Beispiel, wenn der Abgeordnete irgendeinen persönlichen Vorteil davon hat, dass er ein bestimmtes Argument vertritt und verfolgt, also das sind einfach Dinge, wo wir Interessenkonflikte vermeiden und sicherstellen müssen, dass die Abgeordneten wirklich dem besten Argument Folgen: Dem, was sie am meisten überzeugt – und nicht egoistischen Interessen".
Liste der Lobby-Vertreter könnte lang werden
Das neue Gesetz sieht vor, dass Lobbyvertreter sich künftig unter bestimmten Voraussetzungen registrieren müssen, mindestens mit Name, Anschrift und Angaben zum Auftraggeber, für den oder die man tätig ist. Die Liste könnte lang werden. Denn während die Studie von "Finanzwende" von mindestens 1.500 Lobby-Beschäftigten nur in der Finanzbranche ausgeht, gehen andere Schätzungen von mehreren tausend professionellen Beratern aus, die in Berlin an der Schnittstelle zwischen Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft ihren Einfluss versuchen geltend zu machen.