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Studium abseits der Herkunft wagen

Im Mai 2008 ging die Seite Arbeiterkind.de online. Inzwischen arbeiten über 5000 Ehrenamtliche in ganz Deutschland für die Bildungsinitiative. Denn in Deutschland ist es immer noch oft eine Frage der Herkunft, welche Art von Bildungsweg Kinder und Jugendliche einschlagen.

Von Marina Schweizer |
    Ein Dienstagabend kurz nach Semesterbeginn im Café Sonnendeck auf dem Dortmunder Uni-Campus. Auf einem runden Holztisch in einem Winkel des Raumes steht eine rote Fahne, wie ein Surfsegel. Arbeiterkind, Stammtisch Dortmund steht drauf. Hierher können all die kommen, die studieren wollen, aber nicht so recht wissen, wie das alles funktioniert. Weil sie Arbeiterkinder sind und aus der eigenen Familie niemand Tipps geben kann. Sieben Mentorinnen und Mentoren sitzen an diesem Abend um den Tisch herum – es geht um aktuelle Probleme und Sorgen.

    "Die Ängste sind schon da, stelle ich fest, was den doppelten Abiturjahrgang angeht."

    "Wird halt eben wieder relativ lange dauern, mit Leuten, die noch im November nachrücken und sich dann fragen, wie sie jetzt irgendwo unterkommen oder irgendwo reinkommen sollen…"

    Die Mentorinnen und Mentoren von Arbeiterkind.de schnappen solche Sorgen während der ehrenamtlichen Arbeit auf: Sie gehen an Schulen und ermutigen Schüler jeglicher Herkunft zu einem Studium. Sie stehen in Sprechstunden, auf Stammtischen und per Website für alle möglichen Fragen bereit. Eine von ihnen ist Cara Küffner. Heute ist sie hauptamtlich bei der Organisation und koordiniert die Gruppen in Nordrhein-Westfalen. Auch sie ist ein Arbeiterkind und hatte im Studium einige Hürden zu überwinden.

    Cara Küffner:
    "Also, ich wusste zum Beispiel nicht, wie man so ein Studium finanziert. Ok, BAföG hatte ich irgendwann mal gehört, aber der erste Antrag hat nicht funktioniert und damit war das für mich gelaufen. Also, ich wusste nicht, dass ich ein Jahr später noch mal einen stellen sollte oder so. Habe ich nicht gemacht. Oder ich wusste nicht, wie das mit den Stipendien funktioniert und habe nur immer gedacht: Naja, hochbegabt bin ich ja nun nicht, also fällt das für mich flach und habe mich damit nicht weiter beschäftigt."

    In Cara Küffners Familie konnte da niemand helfen. Die Eltern hatten nicht studiert, die jüngeren Brüder waren noch an der Schule. So geht es vielen sogenannten Arbeiterkindern. Auch Jana Rech, die heute zum ersten Mal zum Dortmunder Stammtisch gekommen ist. Sie hat einen Master im Ausland gemacht. Nicht gerade leicht, dazu alle Infos auf eigene Faust zu sammeln. Eine Anlaufstelle hätte ihr geholfen, hatte sie aber nicht.

    Cara Küffners:
    "Also, bei manchen Sachen wäre es natürlich viel einfacher gewesen. Man kriegt das dann schon irgendwie übers Internet heraus. Aber, wenn man so eine direkte Anlaufstelle hat, die einem bekannt ist, dann ist das natürlich sehr viel praktischer –wäre einfacher gewesen…"

    Jetzt will sie ihr Wissen als Ehrenamtliche an andere Arbeiterkinder weitergeben.

    Die Dortmunder Runde ist nur eine von rund 70 lokalen Gruppen in ganz Deutschland. 5000 Ehrenamtliche und zehn festangestellte Mitarbeiter hat Arbeiterkind.de nach fünf Jahren. Was für Gründerin Katja Urbatsch mit Ehrenamt begann, ist heute Fulltime-Job. Und die Gründerin ist noch nicht an ihrem erwünschten Ziel angelangt:

    "Unser langfristiges Ziel ist es, flächendeckend vertreten zu sein, insbesondere auch im ländlichen Raum, da komme ich ja auch her. Unsere Hauptaufgabe ist es, in die Schulen zu gehen und die Schüler direkt anzusprechen. Aber nebenbei hat das natürlich auch noch andere Effekte: Dadurch erreichen wir natürlich auch Lehrer und diskutieren mit Lehren und sensibilisieren sie. Dadurch erreichen wir auch Eltern. Wir versuchen alle zu erreichen, die damit zu tun haben aber insbesondere eben die Zielgruppe selber."

    Die Zielgruppe: Das sind Schüler, Studenten und mittlerweile auch Hochschulabsolventen. In der Zwischenzeit haben einige der ersten Arbeiterkinder ihren Abschluss gemacht. Deshalb gibt es jetzt auch Mentoring zum Berufseinstieg.

    Auf für solche Projekte will sich die Initiative jetzt für die Zukunft wappnen. Katja Urbatsch verbringt mittlerweile viel Zeit damit, Förderer für die einzelnen Projekte zu gewinnen.

    "Wir sind unheimlich schnell gewachsen und natürlich fordern auch die Ehrenamtlichen dann, dass sie Training bekommen, dass sie unterstützt werden vor Ort, wenn sie so aktiv sind. Und die Förderer können häufig ja nur auf Projektfinanzierung zurückgreifen, wie das jetzt so üblich ist. Und so läuft das immer ein bis drei Jahre und dann muss man wieder schauen, wie das mit der Anschlussfinanzierung aussieht."

    Der Zulauf zu Stammtischen und Sprechstunden in den letzten fünf Jahren ist die Bestätigung, dass die Hilfe gebraucht wird. Oft zweifeln die Schüler selbst an ihren Fähigkeiten und trauen sich ein Studium erst gar nicht zu. Deshalb ist für Mentorin Cara Küffner das Wichtigste an ihrer Arbeit mit den Schülern und Studenten: Mut zusprechen.

    Cara Küffner:
    "Eben wirklich dieses: Wenn Du das willst, dann kannst Du das schaffen. Guck uns an, wir haben es oft alleine schaffen müssen. Und Du kannst jetzt hier sogar auch Unterstützung wahrnehmen. Dann kannst Du es ja eigentlich erst recht hinkriegen, weil Du musst nicht mehr mit Hängen und Würgen überlegen – ok, wo kriege ich jetzt diese Info her? Du kannst uns auch fragen und dann gucken wir zusammen, wie das funktionieren kann."