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Suche nach Arrangements

Nach Einschätzung des Politologen Josef Esser will die IG Metall eine Kampfabstimmung über ihre künftige Spitze vermeiden. Die Gewerkschaft werde versuchen, einen Machtkampf wie vor vier Jahren zu unterbinden und einen Kompromiss zwischen den beiden Kandidaten Detlef Wetzel und Hartmut Meine um den Posten des Zweiten Vorsitzenden suchen.

Moderation: Christian Schütte |
    Christian Schütte: In Frankfurt berät der Vorstand der IG Metall, wer künftig Deutschlands größte Einzelgewerkschaft führen soll. Anders als vor vier Jahren sollen diesmal Turbulenzen bei der Personalentscheidung vermieden werden. Festzustehen scheint, dass der bisherige Chef Jürgen Peters von seinem Stellvertreter Berthold Huber abgelöst wird. Doch wer macht das Rennen um den zweiten Platz in der Führungsspitze? Zwei Namen sind hier im Gespräch: der NRW-Betriebsleiter Detlef Wetzel und der niedersächsische Bezirkschef Hartmut Meine. (MP3-Audio, Bericht von Michael Braun)

    Die IG Metall steht vor einer Richtungsentscheidung, heißt es. Und darüber wollen wir mit Josef Esser sprechen. Er ist Politikwissenschaftler an der Uni Frankfurt und Experte für Gewerkschaftspolitik. Guten Tag, Herr Esser!

    Josef Esser: Guten Tag, Herr Schütte!

    Schütte: Den alten Fehler will die IG Metall nicht wiederholen. Es soll nicht gestritten werden um die neue Führung. Herr Esser, wie gut stehen dafür die Chancen?

    Esser: Die Erfahrungen vor vier Jahren, die ja im Beitrag von Herrn Braun angesprochen worden sind, diese starke Konfliktlage und die Gefahr, dass der ganze Laden auseinanderbricht, das möchte die IG Metall mit Sicherheit vermeiden. Deswegen wird auch mit Sicherheit ein Kompromiss zustande kommen, wenn man jetzt heute über das neue Vorstandstableau und über den Ersten und Zweiten Vorsitzenden entscheidet. Wie es auch immer ausgehen mag, ich nehme an, man wird einen Kompromiss finden.

    Schütte: Vor allem der Kampf um die künftige Nummer zwei bei der IG Metall birgt einiges an Zündstoff. Herr Esser, steht die Gewerkschaft an einem Scheideweg?

    Esser: Nein, das glaube ich nicht. Sie stand vor vier Jahren wirklich vor einer sehr, sehr schwierigen Situation, aber in den letzten vier Jahren hat man aus diesen Auseinandersetzungen eine Menge gelernt. Man hat sich aufeinander zubewegt, und es ist auch aus meiner Sicht heute nicht mehr richtig, die IG Metall in diese zwei Lager Traditionalisten oder Modernisierer zu identifizieren. Es gibt eine vielfältige Form von Zusammenarbeit. Die neue flexible Tarifpolitik, die seit 2004 entwickelt worden ist, wird nach internen harten Auseinandersetzungen von allen heute getragen. Es gibt auch eine sehr starke Übereinstimmung darin, dass man neue Formen der Tarifpolitik bezogen auf den Niedriglohnsektor braucht, dass man sich in der Mindestlohnfrage bewegen muss, dass man in der Mitgliederwerbung oder auch in der Rettung der Mitglieder gemeinsame Wege gehen muss. Wo ich eigentlich noch die große Differenz sehe ist in der politischen Konstellation: Wer sind die relevanten Bündnispartner der IG Metall auf der Ebene der Politik.

    Einig ist man sich darin, dass die IG Metall ihre eigene Stärke als politischer Verband verbessern muss. Aber wer sind die wichtigen Bündnispartner? Hier sehe ich in denjenigen, die Huber nahe stehen, die Position, dass sie eigentlich sagen, das deutsche Parteiensystem hat sich in den letzten Jahren derart dramatisch verändert. Wir haben inzwischen fünf Parteien im Bundestag und das wird möglicherweise auch bleiben. Die SPD hat ihren Volksparteienstatus verloren. Wir müssen mit allen Parteien kooperativ zusammenarbeiten. Während die Leute um Peters herum sicherlich noch stärker mit dieser Position an die Linke orientiert und an das, was sie programmatisch an die außerparlamentarische Opposition orientiert, forcieren. Da liegen aus meiner Sicht Unterschiede, also in dieser politischen Bündniskonstellation, aber auch in den eigentlichen Punkten der Gewerkschaftsarbeit, die Tarifpolitik, die Rettung des Flächentarifvertrages, die Gestaltung in den Betrieben bei den massiven Formen von Tarifflucht oder auch Tarifauseinandersetzungen in den Betrieben, die Verlagerungsstrategien der Unternehmen, die Leiharbeitsstrategie, in diesen Punkten versuchen sie sich wirklich anzunähern oder haben sich bereits angenähert.

    Schütte: Herr Esser, Sie sagen kein Richtungsstreit zwischen Traditionalisten und Modernisierern. Herr Wetzel, der eine Kandidat für Platz zwei, steht für einen pragmatischen Kurs. Wofür steht sein potenzieller Konkurrent Hartmut Meine?

    Esser: Sie haben es ja schon in der Anmoderation gesagt. Auch Meine ist ein kluger Tarifpolitiker und hat in seiner Arbeit in Niedersachsen auch eine flexible Tarifpolitik entwickelt. Der Punkt ist der, dass Wetzel über diese flexible Tarifpolitik hinausgeht und sagt, wir müssen viel attraktiver für diejenigen werden, die derzeit nicht in der IG Metall sind. Das sind die jungen unqualifizierten Leute. Das sind die Alten, die aus dem Arbeitsprozess herausgedrängt worden sind. Das sind die Techniker, höheren Angestellten, Ingenieure. Denen müssen wir speziellere Angebote machen. Wir müssen die Organisation insgesamt wesentlich weiter öffnen. Wir müssen eine modernere, eine attraktivere Organisation für all diejenigen werden, die bislang nicht in der IG Metall organisiert sind. Da sehe ich eigentlich den entscheidenden Differenzpunkt zwischen Meine und Wetzel, aber auch der würde aus meiner Sicht nicht dazu führen, falls nun Meine Zweiter Vorsitzender würde, dass wir dann die alten Auseinandersetzungen von vor wenigen Jahren erleben, sondern auch hier würde mit Sicherheit ein Arrangement zwischen Huber und Meine möglich sein.

    Schütte: Wer hat denn innerhalb der Gewerkschaft mehr Rückendeckung, Wetzel oder Meine?

    Esser: Im Moment wohl, wenn man es nach der Unterstützung von den jeweiligen Bezirken rechnet, hat Huber mehr Unterstützung, weil die Bezirke Küste, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern wohl mehrheitlich auf der Seite von Huber stehen.

    Schütte: Was heißt das jetzt für den Konflikt oder für die Auseinandersetzung zwischen Wetzel und Meine?

    Esser: Wenn es wirklich zu einer Kampfabstimmung käme, würde ich tippen, dass Wetzel gewinnt. Aber weil man halt diese Erfahrung von vor vier Jahren nicht wiederholen will, gehe ich davon aus, dass man versucht, vor einer solchen Abstimmung einen Kompromiss zu finden. Allerdings wie der aussehen wird, da weiß ich genauso wenig wie Sie.

    Schütte: Josef Esser, Politikwissenschaftler und Gewerkschaftsexperte an der Uni Frankfurt. Danke für das Gespräch.

    Esser: Bitte schön, Herr Schütte.