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"Zum Pragmatismus gezwungen"

Hagen Lesch, Gewerkschaftsexperte vom Institut der Deutschen Wirtschaft, rechnet für den anstehenden Führungswechsel bei der IG Metall mit keiner Überraschung. Er gehe davon aus, dass der bisherige Vorsitzende Jürgen Peters seinen Posten für seinen Stellvertreter Berthold Huber räumen werde. An der neuen Strategie, die Öffnung des Flächentarifs zu ermöglichen, werde ein Wechsel an der Gewerkschaftsspitze nichts ändern.

Moderation: Stefan Heinlein |
    Stefan Heinlein: Guten Morgen, Herr Lesch!

    Hagen Lesch: Guten Morgen!

    Heinlein: Wird Jürgen Peters heute seinen Stuhl räumen, oder rechnen Sie mit einer Überraschung in letzter Minute heute in Frankfurt?

    Lesch: Nein, ich gehe davon aus, dass der Wechsel stattfindet, weil Peters keine anderslautende Vereinbarung oder keinen anderslautenden Ausspruch getan hat in den letzten Tagen.

    Heinlein: Als Jürgen Peters vor vier Jahren den IG-Metall-Vorsitz übernahm, nannten ihn viele einen verbohrten Betonkopf, einen Ideologen, rückwärtsgewandt. Muss man im Nachhinein, wenn man Bilanz zieht, ihm Abbitte leisten?

    Lesch: Also, die IG Metall gilt ja allgemein als, ja, eher zusammen mit ver.di, die eher konservativste und als klassenkämpferischste Gewerkschaft. Und es ist auch in der Tat richtig, wenn man sich auf die Struktur der IG Metall mal konzentriert - die IG Metall ist eine Gewerkschaft, die vor allem noch in der Arbeiterschaft und eben in der Industrie halt, in Großbetrieben, stark ist, das heißt also in alten sozialen Domänen der Gewerkschaften. Den Strukturwandel hat die Gewerkschaft in der Mitgliederstruktur eigentlich nicht mitgemacht. Man hat weder großartig Frauen gewinnen können - wobei die auch in der Metallindustrie, gerade in der Produktion, kaum zum Einsatz oder seltener zum Einsatz kommen -, man hat aber auch nicht die Angestellten erreicht. Insofern macht die IG Metall halt nach wie vor hauptsächlich Klientel-Politik für ihre Belegschaften, das sind halt eben hauptsächlich die qualifizierten, männlichen Facharbeiter. Da ist schon einiges dran.

    Heinlein: Klientel-Politik sagen Sie, konservativ und ideologisch. Wird sich dies unter Berthold Huber, wenn er jetzt den Vorsitz übernimmt, ändern?

    Lesch: Ja, die IG Metall hat ja einiges geändert, wobei ich da jetzt keinen ideologischen Wechsel drin erkennen kann, und zwar in der Strategie hat die IG Metall einiges geändert. Sie hat ja einiges an Mitgliedern verloren, wie alle Gewerkschaften in Deutschland mit Ausnahme des Beamtenbunds und der christlichen, und zwar besteht es darin, dass die IG Metall erkannt hat, dass man den Flächentarifvertrag und damit die eigene Macht nur verteidigen kann, wenn man eben der Öffnung des Flächentarifvertrags zustimmt, der Öffnung über Betriebsvereinbarungen. Denken Sie an die Stichworte Pforzheimer Abkommen von 2004, das erlaubt Ergänzungstarifverträge für Unternehmen, die mit bestimmten Tarifstandards nicht zurechtkommen. Die dürfen dann im Rahmen eines eigenen Tarifvertrags, bei der Arbeitszeit oder bei Entgeltfragen, auch vom Flächentarifvertrag abweichen mit dem Segen der IG Metall. Das hat die IG Metall erkannt, dass man da vor Ort in den Betrieben durchaus auch Punkte sammeln kann, wenn man einer Beschäftigungssicherungsvereinbarung zustimmt, wenngleich man dann auch einer längeren Arbeitszeit oder Ähnlichem zustimmen muss. Da kann man punkten mit. Und das Zweite, was die IG Metall gemacht hat, ist eben, dass Erstreiken von Sozialplantarifverträgen, also das Verhindern von Werksschließungen wie bei AEG seinerzeit in Nürnberg, indem man versucht, quasi Kompetenzen des Betriebsrats - Werksschließungen sind eigentlich Sozialpläne, sind eigentlich Aufgabe des Betriebsrats, das auszuhandeln - auf die tarifpolitische Ebene zu ziehen, um eben per Streik die Werksschließungen möglichst teuer zu machen.

    Heinlein: Und dieser Weg, Herr Lesch, wird unter Berthold Huber fortgesetzt werden?

    Lesch: Ich vermute, dass dieser Weg fortgesetzt wird. Das sind zwei wichtige, strategische Änderungen, die zusammen mit dem, was interessanterweise einer der im Gespräch seienden, zweiten Vorsitzenden auch ganz gut noch komplettiert hat, nämlich Wetzel hat in Nordrhein-Westfalen auch noch eine weitere Strategie verfolgt, nämlich die Strategie der Bonusregelungen, das heißt mehr für Gewerkschaftsmitglieder in bestimmten Situationen. Das hat er aber wieder fallen lassen, aber das sind alles Stoßrichtungen ja auch, die eben nicht jetzt unbedingt von der Spitze kommen, sondern von den Regionalchefs der IG Metall. Und insofern, glaube ich, ist es auch nicht so entscheidend, ob jetzt Peters oder Huber oder wer auch immer Erster ist, sondern sehr viel kommt tatsächlich eben von den Landesebenen auch, und der Strategiewechsel, glaube ich, den die IG Metall da vollzogen hat, der bleibt so, jetzt auch unabhängig davon, wer jetzt wirklich das Personalkarussell drehen wird.

    Heinlein: Also drücken die Arbeitgeber nicht Detlef Wetzel die Daumen? Viele erwarten ja, dass es mit einem solchen Führungsduo Huber/Wetzel künftig einfacher für die Metallunternehmen werden wird, gemeinsam mit den Gewerkschaften Lösungen für die Zukunft zu finden.

    Lesch: Ja, also, wem die Arbeitgeber nun genau die Daumen drücken, haben sie mir auch nicht verraten. Tatsache ist nur, dass wohl, glaube ich, in erster Linie die Rhetorik das Unterschiedliche ist. Peters tritt selbstverständlich wesentlich schärfer auf in der Öffentlichkeit als andere. Auf der anderen Seite ist die IG Metall zum Pragmatismus gezwungen, weil sie auch gemerkt hat, dass sie eben den Flächentarifvertrag und damit ihren eigenen Einflussbereich nur sichern kann, wenn sie den Arbeitgebern oder vor allen Dingen jetzt den Unternehmen, die in Arbeitgeberverbänden organisiert sind, ein Stück weit bei der Öffnung der Tarifverträge entgegenkommt.

    Heinlein: Wie wird sich denn das linke, traditionalistische Gewerkschaftslager verhalten, wenn ihr Mann Hartmut Meine nicht zum Zuge kommt bei der Besetzung des Vizechef-Postens?

    Lesch: Das ist aus meiner Perspektive nicht vorhersehbar, ob es da tatsächlich dann Probleme geben wird. Es ist klar, es gibt immer ein Proporzdenken, auf der anderen Seite hat sich auch das Huber-Lager nach dem letzten Kampf damit abfinden müssen, dass Peters eben das Amt noch einmal führt. Ich glaube, dass nicht nur über Personen, sondern auch über Politik integriert wird. Und wenn es der IG Metall gelingt, Strategien zu fahren, die die Zustimmung aller finden und dann auch noch ihre Mitglieder stabilisieren können, so wie Wetzel das beispielsweise in Nordrhein-Westfalen weitgehend geschafft hat, dann, glaube ich, ziehen letztlich alle an einem Strang.

    Heinlein: Eine Frage zum Schluss, Herr Lesch. Piloten, Ärzte, Lokführer - immer mehr hochspezialisierte Berufsgruppen machen ihre eigene Tarifpolitik mit ihren Standesorganisationen. Ist eine solche Entwicklung auch in der Metallbranche denkbar? Ist das eine Aufgabe für Berthold Huber? Eine Entwicklung ist ja denkbar etwa in der Metallbranche bei den Ingenieuren oder IT-Spezialisten.

    Lesch: Ja, natürlich muss auch die IG Metall darauf achten, das eben sich keine konkurrierenden Gewerkschaften bilden. Ich weise aber darauf hin, dass es Unterschiede gibt zwischen der Situation in den ehemals öffentlichen Unternehmen und der in der Privatwirtschaft wie der Metallindustrie. Wir haben keine transparente Tarifstruktur, die als ungerecht empfunden wird bei den Ingenieuren oder bei den IT-Leuten. Die Qualifikation ist wesentlich heterogener als in den bisher sich verselbstständigenden Berufsgruppen, und der Organisationsgrad ist wesentlich niedriger. Ingenieure und IT-Leute sind in der Regel nicht organisiert, anders als Lokführer oder auch Piloten. Und insofern sind da schon wichtige Unterschiede. Ein weiterer kommt hinzu: Die IG Metall hat eigentlich in der Vergangenheit, auch in den letzten Jahren der allgemeinen Lohnmäßigung recht gute Abschlüsse für ihre Mitglieder rausgeholt, so dass ich jetzt nicht erkennen kann, dass hier sich eine derartige Unzufriedenheit aufgestaut hat, die zur Bildung dann letztlich von Berufsgewerkschaften führen wird.

    Heinlein: Also, aus Sicht der deutschen Wirtschaft ist es auch wichtig und wünschenswert, dass Berthold Huber den Laden zusammenhält?

    Lesch: Ja, natürlich. Die Zerfaserung des Tarifsystems durch viele konkurrierende Berufsgesellschaften würde die, gerade für die Industrie, die tarifliche Friedenspflicht gefährden. Bislang ist es ja so, dass wir einen Tarifvertrag für die Metallindustrie haben. Der gilt dann, oder der sichert dann auch wirklich den Frieden über die Laufzeit, es darf also nicht gestreikt werden. Hätten wir jetzt lauter verschiedene Gewerkschaften, von den Schlossern bis hin zu den Ingenieuren, dann wären möglicherweise die Tariflaufzeiten gar nicht mehr harmonisiert, so dass der eine mit der Verhandlung zu Ende ist, wenn der andere anfängt, und wir hätten permanent Störungen irgendwelcher Berufsgruppen, und das wäre gerade für eine exportorientierte und so vernetzte Industrie wie die Metallindustrie verheerend.

    Heinlein: Heute morgen im Deutschlandfunk: Hagen Lesch vom Institut der Deutschen Wirtschaft. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Lesch: Gerne und auf Wiederhören.