Freitag, 19. April 2024

Archiv

Südkaukasus
Streit um Berg-Karabach

Das mehrheitlich von Armeniern bewohnte Gebiet Berg-Karabach hat sich Anfang der 90er-Jahre von Aserbaidschan losgesagt. Ein Krieg um die Region endete 1994 mit einem Waffenstillstand. Seit einigen Wochen kommt es aber wiederholt zu Schusswechseln.

Von Gesine Dornblüth | 08.08.2014
    Ein armenischer Scharfschütze der selbsterklärten Republik Nagorny-Karabach richtet am 25.10.2012 seine Waffe auf die Frontlinie zu Aserbaidschan. An der seit 1994 bestehenden Waffenstillstandslinie sterben jährlich im Schnitt 30 Menschen durch Scharfschü
    An der Grenze zu Berg-Karabach kommt es zu den heftigsten Auseinandersetzungen seit 20 Jahren. (AFP / KAREN MINASYAN)
    Angst herrscht auf beiden Seiten. Reporter von Radio Liberty besuchten am Wochenende Dörfer nahe der Waffenstillstandslinie in Berg-Karabach. Armenische Frauen zeigten ihnen Einschusslöcher in Häuserwänden und -dächern.
    "Wir flüchten uns in den Keller, wenn wir Schüsse hören. Gestern haben Kugeln das Dach durchlöchert." - "Hier zu stehen ist gefährlich. Du kannst jederzeit von ihren Heckenschützen getroffen werden."
    Sie meint: von aserbaidschanischen Heckenschützen.
    "Wir trauen uns nicht mal, schlafen zu gehen"
    Auf der anderen Seite der Waffenstillstandslinie ein ganz ähnliches Bild. Dort schildert eine Aserbaidschanerin den Reportern ihre Ängste:
    "Es gab einen Waffenstillstand. Das war gut. Es wurde nur selten geschossen, nur auf Leute, die dicht an die Waffenstillstandslinie heran kamen. Aber jetzt wird den ganzen Tag geschossen. Wir haben Angst, sind in Panik. Wir trauen uns nicht mal, schlafen zu gehen. Weil sie nachts kommen könnten. Was sollen wir dann tun? Wir haben kein Auto."
    Mindestens 16 Soldaten sollen in den vergangenen zwei Wochen bei Zusammenstößen an der Waffenstillstandslinie ums Leben gekommen sein. Wie immer im Karabach-Konflikt, geben beide Seiten der jeweils anderen die Schuld. Als in der Nacht zum vergangenen Samstag vier Soldaten aus Aserbaidschan und einer aus Armenien starben, machte das aserbaidschanische Verteidigungsministerium "armenische Saboteure" für den Vorfall verantwortlich.
    Die Behörden Berg-Karabachs sprachen von einem "Sabotageakt" Aserbaidschans.
    Experten in Armenien werfen der aserbaidschanischen Regierung vor, den Karabach-Konflikt absichtlich anzuheizen, um die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft auf die Region zu lenken. Aserbaidschan sieht sich als Verlierer des Karabach-Konflikts. Denn Armenier halten außer Karabach auch eine sogenannte Pufferzone besetzt, insgesamt ein Fünftel des Staatsgebietes von Aserbaidschan. Aserbaidschan hat in den letzten Jahren gewaltig aufgerüstet. Präsident Ilham Alijew sagte am Mittwoch bei einem Truppenbesuch an der Front, die aserbaidschanische Armee sei in der Lage, jede militärische Einrichtung in Karabach zu zerstören.
    Auf Lösungssuche
    Medienberichten zufolge könnten sich die Präsidenten Aserbaidschans und Armeniens, Ilham Alijew und Sersch Sargsyan heute im russischen Sotschi treffen, um über eine Lösung des Karabach-Konflikts zu verhandeln. Es heißt, Russlands Präsident Putin könne vermitteln. Russland gilt als Verbündeter Armeniens. Aber auch mit dem öl- und gasreichen Aserbaidschan will Russland es sich nicht verderben, unter anderem wegen der großen Anzahl aserbaidschanischer Migranten in Russland. Wladimir Schirinowskij, Rechtspopulist und längst nicht mehr in Opposition zur russischen Regierung, machte jüngst klar: Ohne Russland sei der Karabach-Konflikt ohnehin nicht zu lösen.
    "Es gibt nur einen Ausweg: die Position des russischen Staatschefs. Was er entscheidet, das passiert. Das gilt für Kiew genauso wie für Baku und Eriwan. Der Schlüssel zum Frieden auf der Erde liegt im Kreml. Nur im Büro des russischen Staatschefs. So war es vor hundert Jahren, so wird es immer sein."
    Isolation und Propaganda
    Experten warnen, es werde keine Friedenslösung für Karabach geben, solange Aserbaidschan und Armenien undemokratisch regiert werden. Beide Gesellschaften sind seit nunmehr 20 Jahren nahezu komplett voneinander isoliert.
    Die Feindpropaganda wird in den jeweiligen Ländern kaum hinterfragt. Es gibt nur sehr wenige, die die Isolation zu überbrücken versuchen. Auf aserbaidschanischer Seite ist das zum Beispiel Leyla Yunus, Leiterin des renommierten Instituts für Frieden und Menschenrechte in Baku. Sie sitzt seit der vergangenen Woche im Gefängnis. Die Behörden werfen ihr unter anderem Spionage für Armenien vor. Der Vorwurf, Verbindungen nach Armenien zu haben, wird in Aserbaidschan auch immer wieder genutzt, um Regierungskritiker in der Öffentlichkeit zu diskreditieren.