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Susanne Koelbl
"Zwölf Wochen in Riad"

Die saudi-arabische Führung modernisiert ihr Land, dennoch bleibt das Königreich abgeschottet und wird nach wie vor streng autoritär regiert. Ein Scheitern dieses Systems wäre jedoch fatal, führt die Journalistin Susanne Koelbl aus. Es würde den Nahen Osten noch instabiler machen.

Von Jan Kuhlmann | 17.06.2019
Das Buchcover von Susanne Koelbl: "Zwölf Wochen Riad". Es sind Frauen mit dem Nikab verschleiert.
In Saudi-Arabien dürfen viele Frauen ihr Gesicht nicht zeigen. (DVA / dpa)
Als Frau aus dem Westen allein in Saudi-Arabien zu leben, das ist eine echte Herausforderung. Wie etwa eine Wohnung finden?, fragt sich Susanne Koelbl bei ihrer Ankunft in der Hauptstadt Riad. Für eine alleinstehende Einheimische wäre das praktisch unmöglich – die strenge saudische Lesart des Islam ließe es nicht zu.
"In privaten Angelegenheiten ist hier noch immer die Familie das alles bestimmende Gesetz, und die wenigsten würden einer erwachsenen Frau erlauben, ohne männlichen Schutz zu leben. Ohne Zustimmung eines Vormunds würde ein Wohnungsbesitzer gar nicht erst an eine Frau vermieten. Umgekehrt wird wiederum auch nicht an alleinstehende Männer vermietet, wenn bereits Frauen im Haus wohnen. Als westliche Frau falle ich jedoch nicht unter die lokalen Gepflogenheiten und Familiengesetze."
So findet Koelbl eine Wohnung, mit Balkon und Sicht auf die Wolkenkratzer Riads. Von hier aus beginnt sie ihre Reise durch ein Land, das andersgläubigen Ausländern nur wenige Blicke in sein Innenleben gewährt. Sie trifft königliche Hoheiten, besucht mit anderen Frauen Hochzeiten, geht auf Wüstentrips und trifft Ausländer, die zu Hause heimlich Alkohol herstellen. Sie lupft den Schleier, der über Saudi-Arabien liegt, in einer Zeit, in der das Königreich einen einzigartigen Umbruch erlebt:
"Die Saudi-Araber selbst sind verunsichert angesichts dessen, was gerade in ihrem Land passiert, das so ultrakonservativ ist wie kein anderes auf der Arabischen Halbinsel. Gleichzeitig strebt das Königreich mit aller Macht in eine neue, prosperierende Zukunft – mit ungewissem Ausgang. Es ist ein Glücksfall, diesen historischen Aufbruch aus nächster Nähe erleben zu dürfen. Jede Begegnung in Saudi-Arabien ist wie ein kleines Abenteuer."
Schwerpunkt auf Frauenrechten
Weil die Ölvorkommen eines Tages aufgebraucht sein werden, muss das Land seine Wirtschaft umbauen – mit Folgen für die Gesellschaft. Gerade für Frauen öffnet der Wandel neue Chancen. Ihnen widmet Koelbl einen Schwerpunkt. Die Männer herrschen über fast alle Lebensbereiche. Frauen leben zurückgezogen. Ihr Gesicht dürfen viele nur den engsten Verwandten zeigen: dem Vater oder dem Bruder. Einem Cousin schon nicht mehr, weil er ein potenzieller Ehemann ist. Viele Frauen wollen mehr Freiheiten – gleichzeitig werden lokale Sitten wie die Vollverschleierung häufig auch von ihnen selbst nicht in Frage gestellt. Frauen müssten ihre Schönheit vor Männern beschützen, sagt etwa Amira, die Koelbl bei einem Koran-Wettbewerb für Mädchen trifft.
"Sie ist Anfang vierzig, perfektes Englisch, elegantes Make-up mit knallrotem Lippenstift, Englischlehrerin, Diplomatengattin. Sie kommt jeden Tag in die Koranschule, wenn die Kinder aus der Schule abgeholt und versorgt sind [...] Frauen seien verführerisch und verführbar, sagt Amira [...] Dass es möglicherweise auch an den Männern sein könnte, sich zu zügeln oder bestraft zu werden, wenn sie Frauen sexuell belästigen oder ihnen Gewalt antun, ist hier offensichtlich außerhalb des Denkbaren."
Sehr deutlich wird aber auch die Zerrissenheit, unter der viele saudische Frauen leiden. Eine Stärke des Buches liegt vor allem darin, dass Koelbl westliche Klischees zwar aufgreift, es aber nicht bei ihnen belässt, sondern viel differenzierter und tiefer auf das Land blickt. Da ist etwa Dschamila, 29, einerseits erfolgreiche Bankerin, andererseits tiefgläubig und verschleiert mit dem Nikab. Seit ihrer Kindheit ist sie den Regeln der Religionsgelehrten streng gefolgt – um jetzt festzustellen, dass die Geistlichen auf einmal etwas anderes predigen, um die Gunst der Herrscher nicht zu verlieren.
"Dschamila sagt, sie fühle sich betrogen. Sie wünschte, zehn, zwanzig Jahre jünger zu sein, um den gesellschaftlichen Aufbruch dieser Tage genießen zu können. All die Jahre sei sie eine Frau unter vielen gewesen, weil sie ihr Gesicht nicht habe zeigen dürfen. Nie sei sie erkennbar anders als andere gewesen [...] Sie könne den Nikab jetzt nicht mehr abnehmen: Der Vater wäre enttäuscht, die Mutter traurig und ihre Reputation [...] zerstört."
Die ambivalente Führung
Vorangetrieben wird der Wandel vom Kronprinzen Mohammed bin Salman, dem eigentlichen Herrscher Saudi-Arabiens: jung, ehrgeizig, ungeduldig. Ihm haben es die jungen Saudis zu verdanken, dass sich das Land öffnet. Dementsprechend populär ist der 33-Jährige. Doch Mohammed bin Salman ist auch der Mann, der die saudische Militärintervention im benachbarten Jemen angeordnet hat. Menschenrechtler sitzen in Haft, wo sie gefoltert werden, wie Koelbl schreibt. Sie hält den Kronprinzen für unberechenbar, grausam und ruchlos. Die CIA ist sich sicher, dass er auch den brutalen Mord an dem Regierungskritiker Jamal Kashoggi angeordnet hat, den Koelbl persönlich kannte.
"Die Botschaft, die von diesem Mord ausgeht, ist klar. Sie richtet sich an alle, die dem König und seinem mächtigen Sohn Schaden zufügen wollen: Niemand ist sicher vor dem Zugriff unserer Macht. Ganz gleich, wo du bist auf dieser Welt, wir kriegen dich. In den Tagen nach Jamals Ermordung schweigen meine saudi-arabischen Freunde zu dem Fall. Sie senken den Blick, wenn ich mit ihnen darüber sprechen will. Sie lenken vom Thema ab, zu gefährlich."
Wäre es besser, wenn ein derart autoritärer Herrscher mit seinen Reformen scheitert? Wohl kaum, warnt Koelbl.
"Ein Fehlschlag würde die Arbeitslosigkeit erhöhen, zur Verarmung mehrheitlich junger Saudis führen, irgendwann käme es wohl zum Aufruhr. Doch ein Ende der saudischen Regierung brächte jetzt vor allem weitere Instabilität im Nahen Osten. Radikal-religiöse Kräfte gewännen rasch die Oberhand. Dann wären Milliarden von Petrodollars in der Hand von Extremisten, die Weltmärkte führen Achterbahn und neue Flüchtlingsbewegungen wären zu erwarten."
Der Spiegel-Journalistin ist ein sehr lesenswertes und kurzweiliges Länderporträt gelungen, kritisch, aber offen im Blick, charmant im Ton, mit seltenen Einblicken in ein für den Westen meist verschlossenes Land. Saudi-Arabien, so viel wird auch klar, steht am Anfang einer schwierigen und langen Transformation, die Auswirkungen auf die ganze Welt haben wird.
Susanne Koelbl: "Zwölf Wochen in Riad. Saudi-Arabien zwischen Diktatur und Aufbruch",
DVA, 320 Seiten, 22 Euro.