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"Švejk"-Neuübersetzung
Bissiger und würziger

Für seine Neuübersetzung von Jaroslav Hašeks Roman "Der brave Soldat Švejk" hat Antonín Brousek nicht nur einen passenderen Buchtitel formuliert. Die pointierte "Švejk"-Neuauflage ist die überfällige Rettung eines modernen Klassikers. Die vielen drastisch-obszönen und schlicht comedyhaften Passagen werden nicht länger entschärft.

Von Wolfgang Schneider | 21.12.2014
    Der Autor Jaroslav Hašek auf einem undatierten Bild.
    Der Autor Jaroslav Hašek auf einem undatierten Bild. (picture alliance / dpa / CTK)
    "Sieg des tschechischen Buches! Schmeißen Sie die blöden Kriminalromane aus den Regalen!" – dermaßen vollmundige Werbetexte verfasste Jaroslav Hašek für seinen Roman und pries ihn als "bestes humoristisch-satirisches Buch der Weltliteratur" – der letzte verzweifelte Versuch, zum Erfolg zu kommen.
    Krieg wird es geben, das ist für Švejk nach den Schüssen von Sarajevo klar. Gegen die Türken, versteht sich, die seit je mit den Deutschen zusammenhalten. Aber "Serbien und Russland werden uns in diesem Krieg helfen", weiß Švejk, und man könne sich ja auch mit Frankreich verbünden, das es seit je auf Deutschland abgesehen habe. Spricht hier nun der "größte Trottel der Weltliteratur" – oder treibt da jemand die Weltgeschichte in die Anarchie? Jedenfalls zögert Švejk nicht, sich trotz angeschlagener Gesundheit freiwillig zu melden.
    "'Kämpfen', antwortete Švejk mit Grabesstimme. 'Um Österreich steht es sehr schlecht. Wir werden gedroschen wie Korn, wohin man nur schaut, und deshalb zieht man mich jetzt ein....'
    'Aber Sie können sich doch nicht mal bewegen.'
    'Das ist egal, Frau Müllerova, ich werde im Rollstuhl einrücken. Sie kennen doch den Konditor an der Ecke, der hat so'n Rollstuhl. Vor Jahren hat er damit seinen gelähmten bösartigen Großvater an die frische Luft gefahren. Und Sie, Frau Müllerova, werden mich in diesem Rollstuhl zur Einberufung fahren. (...) Bis auf meine Beine bin ich absolut gesundes Kanonenfutter. Und jetzt, zu einer Zeit, wo es um Österreich so schlecht steht, muss sogar jeder Krüppel an seinem Platze stehen.'"
    "Švejk" spielt an den Rändern des Krieges. Es geht zwar auch um Schlachten und Gemetzel, vor allem aber um den langen Weg dorthin, um die Menschen im Zustand der Mobilisierung. Um die entfesselte Gemeinheit. Die österreichisch-ungarische Idee und das erhabene Kaiserreich werden beschworen, in Wahrheit aber sucht jeder nur seinen Vorteil. Machtgier, Völlerei, Geschäftemacherei – das Militärpersonal, die Juristen und Feldgeistlichen wirken in diesem Roman wie eine Ansammlung von Sadisten, Egomanen und Hohlköpfen, die vollends mit ihren kleinen Fehden untereinander beschäftigt sind, sodass sie den großen Krieg eigentlich gar nicht mehr brauchen. Eroberungen erotischer Art sind vordringlich. Oberst Schröder prahlt, wie er jeden Tag eine andere Ungarin zu "bügeln" pflegt, und Švejks Vorgesetzter Leutnant Lukáš ist das Muster des galanten Offiziers.
    Von tiefschwarzer, lebensverzweifelter Komik sind die Darstellungen der Schikanen in den Musterungsanstalten, Hospitälern und Irrenhäusern, wo die Kranken und Kriegsunwilligen allesamt als Simulanten abgefertigt und brutal therapiert werden. Wirklich erheiternd allerdings, wenn nach den Aufzählungen martialischer Selbstverstümmelungspraktiken Švejk vor den Arzt tritt:
    "Dr. Grünstein blickte auf den neuen Zuwachs.
    'Und was fehlt Ihnen?'
    'Melde gehorsamst, dass ich Rheuma habe!'
    Dr. Grünstein hatte sich in der Zeit seiner Praxis angewöhnt, fein ironisch aufzutreten, was wesentlich wirksamer war als Geschrei.
    'Ah, Rheuma', sagte er zu Švejk, 'da haben Sie ja eine wirklich schwere Erkrankung. Und es ist wirklich ein Zufall, dass man Rheuma zu einer Zeit bekommt, da Weltkrieg herrscht, und man eigentlich einrücken sollte. Ich denke, dass ihm das ungeheuer leidtun muss.'
    'Melde gehorsamst', Herr Oberarzt, dass mir das ungeheuer leidtut."
    Der Idealismus bei den kämpfenden Truppen des Vielvölkerstaats tendiert gegen Null. Hinter der satirischen Überzeichnung steckt viel Wahrheit: Tschechen oder Kroaten spürten wenig Lust, sich für Österreich-Ungarn aufzuopfern. "Selbsterziehung zum Tod für den Kaiser", wie der Titel einer pädagogischen Handreichung für die Soldaten lautet – nein danke, lieber nicht. Es war nicht ihre Sache, um die gefochten wurde; sie erlebten die Militärmaschine als fremde Apparatur. So erklärt sich zu einem guten Teil der völlig desillusionierende Blick Hašeks auf den Krieg und die Institutionen Armee, Polizei, Justiz, Medizin. Heldentum taugt nur für die Parodie, wie das Beispiel des tapferen Dr. Josef Vojna zeigt, der seinem Namen alle Ehre macht:
    "Dieser war in Galizien beim 7. Feldjägerregiment, und als es zum Bajonettangriff ging, bekam er eine Kugel in den Kopf. Als die ihn auf den Verbandsplatz trugen, da hat er sie angebrüllt, dass er sich wegen einer solchen Schramme nicht verbinden lassen wolle. Und er wollte sofort mit seinem Zug weiter vorrücken, eine Granate hat ihm aber noch den Knöchel abgerissen. Wieder wollten sie ihn wegbringen, er aber begann, an einem Stock in der Kampflinie herumzuhumpeln und sich mit dem Stock gegen den Feind zu verteidigen. Da kam eine neue Granate geflogen und riss ihm die Hand ab, an der er den Stock hielt. Da hat er den Stock in die andere Hand genommen, gebrüllt, das würde er ihnen nie verzeihen, und weiß Gott, wie es mit ihm ausgegangen wäre, wenn ihn nicht kurze Zeit später ein Schrapnell definitiv umgebracht hätte. Als es ihm den Kopf abgerissen hat, da hat der Kopf, wie er so rollte, noch gerufen: 'Tu immer treulich deine Pflicht, und wenn dabei dein Aug' auch bricht.'"
    Der Erste Weltkrieg wird heute vor allem als Westfront erinnert. Hašeks Roman aber beschäftigt sich mit den Feldzügen im Südosten, wo die Donaumonarchie blamable Niederlagen erlitt; schon im September 1914 hatte sie 400.000 Soldaten verloren. Während der Karpatenschlacht im ersten Kriegswinter erfroren Hunderttausende Soldaten. Auch diese katastrophische Kriegsführung hat zur miesen Stimmung in vielen österreichisch-ungarischen Einheiten beigetragen, wie sie im Roman gespiegelt wird.
    Holzschnitthafte, aber zugleich sehr vitale Charaktere
    "Die Donner des Bürokratismus dröhnten", heißt es an einer Stelle – ein entscheidendes Stichwort für Hašeks Kriegsdarstellung. Der Sinn des Ganzen verendet im Drahtverhau des Kompetenzwirrwarrs, der sich widersprechenden Anordnungen und sinnfrei kreisenden Zirkuläre: Krieg ist Chaos, die k.u.k.-Militärverwaltung leistet dazu entscheidende Beiträge, wenn sie schon keine Schlachten gewinnt. Zu den komischsten Passagen des Romans gehört der Versuch des Gendarmeriewachtmeisters Flanderka, Švejk als russischen Spion zu entlarven. Übereifer im Leerlauf und eine Logik, die es mit Kafka aufnehmen kann:
    "Er ließ also Švejk holen und fragte ihn:
    'Können Sie fotografieren?'
    'Kann ich.'
    'Und warum führen Sie keinen Fotoapparat bei sich?'
    'Weil ich gar keinen habe', erklang die ehrliche und eindeutige Antwort.
    'Und wenn Sie einen hätten, würden Sie dann fotografieren?' fragte der Wachtmeister.
    'Wenn das Wörtchen ‚wenn' nicht wär', antwortete Švejk einfältig und ertrug ruhig den fragenden Ausdruck im Gesicht des Wachtmeisters, dem gerade wieder der Kopf zu brummen anfing, dass ihm keine andere Frage einfiel als: 'Ist es schwierig, einen Bahnhof zu fotografieren?'
    'Leichter als irgendwas anderes', antwortete Švejk, 'weil sich der nicht bewegt, und weil so ein Bahnhof die ganze Zeit an einer Stelle steht und man ihm nicht sagen muss, dass er ein freundliches Gesicht machen soll.'
    Und der Wachtmeister begann zu schreiben: 'Unter anderem gab er bei meinem Kreuzverhör an, dass er fotografieren könne, und zwar am liebsten Bahnhöfe. (...) Sicher ist, dass gemäß seinem eigenen Eingeständnis lediglich die Tatsache, dass er keinen Fotoapparat bei sich führt, verhindert hat, dass er keine Bahnhofsgebäude fotografieren konnte und auch keine Orte von strategischer Bedeutung."
    Der Roman lebt von den oft holzschnitthaften, aber zugleich sehr vitalen Charakteren. Manche wachsen sich zu grotesken Gestalten eigenen Ranges aus, wie der gefräßige Baloun, der seinen Vorgesetzten zwanghaft die Leberpastete wegfuttert. Wenn er von Schlachtfesten träumt, ist das einerseits eine Metapher für den Krieg, andererseits aber auch eine melancholische Schlaraffenland-Utopie des Friedens, als gute Schweine fett gemästet und zu wunderbaren Würsten verarbeitet wurden. Oder Figuren wie Pionier Vodicka, der von einem pathologischen Hass auf die Ungarn beherrscht ist und am liebsten allen ungarischen "Bürschlein" die "Fresse von Ohr zu Ohr" aufreißen möchte. Drastischer lassen sich die nationalen Spannungen in der Donaumonarchie nicht verdeutlichen.
    Die Verfilmungen mit Heinz Rühmann und Fritz Muliar haben die groteske Schärfe und den absurden Aberwitz vieler Szenen entschärft. Manches ist auch schlicht unverfilmbar, etwa die furiosen Passagen, die dem Kadetten Biegler gewidmet sind, einem von Ehrgeiz und Größenfantasien geplagten Mann. "Der Traum des Kadetten Biegler vor Budapest" ist ein Kabinettstück grotesker Prosa. In seinem Traum ist Biegler ein hochdekorierter General; nach schwerem Beschuss manövriert sein Fahrer das halbierte Automobil durch die Milchstraße, weicht Kometen aus und erreicht schließlich die Himmelspforte:
    "'Herr General', sagte der Fahrer ernst. 'Wir sind gerade am Himmelstor, steigen Sie aus, Herr General! Wir können durch das Himmelstor nicht durchfahren, ein zu großes Gedränge. Lauter Militär.'
    'Überfahr nur ruhig einen von denen', schreit er den Fahrer an, 'die werden dann schon ausweichen.'
    Und er lehnt sich aus dem Automobil und brüllt: 'Achtung, ihr Schweinebande! Das sind doch vielleicht Mistviecher, sehen einen General und können nicht mal Rechts schaut machen.'
    Der Fahrer, ganz ruhig, beschwichtigt ihn: 'Das ist schwer, Herr General, die meisten von denen haben einen abgeschlagenen Kopf.'
    General Biegler merkt erst jetzt, dass diejenigen, die sich am Himmelstor drängen, verschiedenartigste Invaliden sind, welche im Krieg irgendeinen Körperteil verloren haben, den sie aber im Rucksack mit sich führen. Köpfe, Arme, Beine. Ein aufrechter Artillerist, der sich am Himmelstor in einem zerfetzten Mantel drängte, hatte im Rucksack seinen ganzen Bauch zusammen mit den unteren Gliedmaßen zusammengefaltet. Aus dem Rucksack eines tüchtigen Landwehrmannes blickte General Biegler die Hälfte eines Hinterteils an, die der Landwehrmann bei Lemberg verloren hatte."
    Neuer Titel für einen modernen Klassiker
    "Die Abenteuer des guten Soldaten Švejk im Weltkrieg", lautet der Titel nun in der Neuübersetzung von Antonin Brousek. Die "Abenteuer" sind geblieben, obwohl es sich wörtlich eher um "Schicksale" handelt. Es sollte klar sein, dass dem Phlegmatiker Švejk alles Abenteuerliche fernliegt, dass es sich nur um Abenteuer im unfreiwilligen, zugestoßenen oder ironischen Sinn handeln kann. Geändert hat sich das Adjektiv: vom "braven" zum "guten" Soldaten. Das entspricht dem Originaltitel besser und trägt dem Umstand Rechnung, dass beim Wort "brav" kaum noch jemand die Bedeutung des "Tapferen" – wie im Englischen "brave" – mithört.
    Tatsächlich charakterisiert Švejk ein gewisser Wille zum Guten. Zwar ist er im Zivilleben ein schlitzohriger Betrüger, wenn er als Hundehändler ergraute Köter jugendfrisch lackiert und ihre Gebisse strahlend schmirgelt. In der Regel aber kann er kein Wässerchen trüben. Dass das Wasser trotzdem trübe wird, liegt an den Nebenwirkungen des Gutgemeinten. Die Kollateralschäden des Pflichteifers können beträchtlich und der allzu wortwörtliche Gehorsam kontraproduktiv sein. Da beschließt Švejk, den Kanarienvogel und die Katze seines Leutnants Lukáš auf Freundschaft zu dressieren; das habe, wie er wisse, anderswo auch schon geklappt. Nur leider, der Vogel wird von der Katze verschlungen. "Immer möchte ich irgendwas in Ordnung bringen, und es kommt nie etwas dabei heraus als irgendeine Unannehmlichkeit für mich und für meine Umgebung", entschuldigt sich Švejk und blickt dazu so "aufrichtig" und "unschuldig", dass der wütende Lukáš ihn nicht bestrafen kann und nur milde fragt: "Sagen Sie mal, Švejk, sind Sie wirklich solch ein göttlicher Idiot?" Das klingt doch schon besser als Trottel; mit "göttlicher Idiot" ist man schon fast im Umkreis Dostojewskis.
    Für Lukáš opfert Švejk sich auf. Als der Leutnant Schwierigkeiten wegen eines allzu forschen Liebesbriefes bekommt, behauptet Švejk gegenüber den Ermittlern, es sei gar kein Schreiben von Lukáš. Und zur Schriftprobe für einen Handschriftenvergleich aufgefordert, frisst Švejk kurzentschlossen den Brief auf und behauptet, das Schreiben über Nacht verlernt zu haben.
    Viel Kriegssatire und militärische Realität ist in diesem Roman enthalten; dennoch würde man ihn als Kriegsliteratur missverstehen. Der Krieg ist der Hintergrund für die Darstellung der Welt im Umbruch. Die vielfach lauernde Absurdität und Ungerechtigkeit gipfelt im Massensterben an den Fronten. Bisweilen unterbricht ein bitterer Moralismus den Komödienton:
    "Vor der Ankunft des Personenzuges füllte sich das ganze Restaurant mit Soldaten verschiedener Regimenter, Formationen und Nationalitäten, die der Wirbelsturm des Krieges in die verschiedenen Lazarette in Tabor geweht hatte und die nun erneut ins Feld fuhren, um sich neue Verwundungen, Verstümmelungen und Schmerzen zu holen. Sie fuhren los, um sich ein schlichten Holzkreuz über ihren Gräbern zu verdienen, auf welchen noch nach Jahren auf den traurigen Ebenen Ostgaliziens in Wind und Regen eine ausgebleichte österreichische Militärmütze flattern wird, auf die sich von Zeit zu Zeit eine alte, traurige Krähe setzt, sich an die einstigen fetten Gelage erinnernd, als hier ein unendlicher Tisch gedeckt war an menschlichen Leichen und Pferdekadavern."
    Gräber und Grauen – und doch ist die Welt für Švejk kein ganz unheimlicher Ort. Er findet sich in jeder Situation zurecht, kann sich überall zuhause fühlen, vielleicht gerade deshalb, weil er nirgendwo zuhause ist, in Prag ein Untermieter ohne Frau, Freunde und Familie. Kennzeichnend ist seine Schwadronierlust. Er quillt über vor Assoziationen, Anekdoten, Beispielen, Vergleichen und weltklugem Hörensagen. Als wandelnde Abschweifung verkörpert er die Poetik des Romans. Literatur aus dem Geist der Tresenplauderei.
    Hašek selbst las bevorzugt Fachzeitschriften für Imker, Geflügelzüchter, Bierbrauer oder Hundefreunde; auch Anzeigen, Fahrpläne, Amtliches, Militärkalender, Enzyklopädien konsultierte er gern und ließ Details daraus in den "Švejk" einfließen. Eine Zeitlang war er sogar Chefredakteur der Zeitschrift "Die Welt der Tiere", verfasste mithilfe von "Brehms Tierleben" Reportagen, die sich ins Surreale auswuchsen, Berichte über die Entdeckung eines prähistorischen Flohs oder eines Riesenkaninchens am Südpol. Bis seriöse Naturforscher Protestbriefe schrieben und Hašek seinen Redakteursstuhl räumen musste. Immerhin haben sich seine "Forschungen" auch im "Švejk" niedergeschlagen. Ausgiebig berichtet der Einjährigfreiwillige Marek, Hašeks anderes Alter Ego, wie er als Tierwelt-Redakteur unbekannte Arten entdeckte oder wohlbekannte wie den Eichelhäher in "Nussling" umtaufte.
    Ein Švejk, der sich treffend artikuliert
    Auch Švejk ist ein Mann vieler, oft abwegiger Kenntnisse; eine informierte und urbane Type, durchaus nicht der bauernschlaue Schlawiner oder unverbesserliche Trottel, als der er lange begriffen wurde, wozu die erste und bisher einzige Übersetzung des Romans von Grete Reiner aus dem Jahr 1926 beigetragen hat. Dort spricht Švejk sein charakteristisch fehlerhaftes, "böhmakelndes" Deutsch. Aus dem Abstand eines Jahrhunderts erscheint es als befremdliches, manchmal schwer verständliches, nicht übermäßig lustiges Idiom, das heute kaum noch jemand landschaftlich verorten kann. Ein größeres Problem besteht darin, dass Tschechen oder "Böhmen" in der k.u.k.-Monarchie so geklungen haben mögen, wenn sie Deutsch sprachen; nicht jedoch der originale Švejk im Roman. Der plaudert ein umgangssprachliches, keineswegs fehlerhaftes Tschechisch. Das Sprachgewand, das Grete Reiner ihm sehr wirkungsvoll verpasst hat, ist also mindestens so fragwürdig wie das Berlinerische, mit dem in der Übersetzung von Dos Passos' "Manhattan Transfer" der New Yorker Slang wiedergegeben wird. Vor diesem Hintergrund erscheint die präzise und pointierte "Švejk"-Neuübersetzung von Antonin Brousek als überfällige Rettung eines modernen Klassikers aus dem k.u.k-Komödienstadel. Der gemütliche Böhme wird verabschiedet zugunsten eines Švejk, der sich treffend artikuliert. Darüber hinaus werden die vielen drastisch-obszönen oder schlicht comedyhaften Passagen des Buches nicht länger entschärft. Das erhöht den Spaß der Lektüre, etwa bei der Szene von der Karte und dem Kater:
    "Das gesamte Kampfgebiet hatte in der Nacht ein Kater furchtbar zugerichtet, den sich die Schreiber in der Regimentskanzlei hielten. Dieser hatte nachts auf den österreichisch-ungarischen Kriegsschauplatz gemacht und seinen Kot vergraben wollen, wobei er alle Fähnchen herausgezogen und den Kot auf alle Positionen verschmiert, die Fronten und Brückenköpfe bespritzt und alle Armeekorps verdreckt hatte.
    Oberst Schröder war sehr kurzsichtig. Die Offiziere des Marschbataillons beobachteten mit Interesse, wie sich der Finger von Oberst Schröder dem Häufchen näherte.
    'Von hier, meine Herren, über Sokal zum Bug', sagte Oberst Schröder prophetisch, und schob seinen Zeigefinger seinem Gedächtnis nach in Richtung Karpaten, wobei er ihn in eines der Häufchen bohrte, mit denen der Kater die Landkarte plastisch gestaltet hatte.
    'Was ist das, meine Herren?', fragte er erstaunt, als ihm etwas an dem Finger klebte.
    'Wahrscheinlich Katzendreck, Herr Oberst', antwortete sehr höflich Hauptmann Ságner für alle.
    Nach knapp 900 Seiten hat Švejk die Front immer noch nicht wirklich erreicht; zur Kriegsgefangenschaft und Rückkehr nach Prag zur Verabredung im "Kelch" um sechs nach dem Krieg – dazu ist Hašek nicht mehr gekommen, er starb nach einem ungesunden Leben mitten im vierten von geplanten sechs Bänden, gerade neununddreißig Jahre alt.
    Die zeitgenössische Kritik war über den "Švejk" zunächst empört, bevor er zur tschechischen Nationaldichtung und zur Inspiration von passiver Widerständigkeit wurde. Zynisch, defätistisch, vulgär lauteten die Vorwürfe. Max Brod, der Freund und Förderer Kafkas, sprach allerdings von einem Geniestreich. Wie recht er hatte, erfährt man bei der Lektüre dieser großartigen Neuübersetzung.
    Jaroslav Hasek: Die Abenteuer des guten Soldaten Svejk im Weltkrieg. Roman. Aus dem Tschechischen, kommentiert und mit einem Nachwort von Antonín Brousek. Philipp Reclam Verlag 2014. 1008 S., geb., 29,95 Euro