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Swoboda: "Lasten verteilen auf alle Länder der Europäischen Union"

EU-Mitgliedsstaaten, die bisher nicht viele Flüchtlinge im Verhältnis zu ihrer Bevölkerungszahl aufgenommen haben, müssen zu einer gerechten Verteilung der Lasten in Europa beitragen, sagt Hannes Swoboda, Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament. Die Zahlen der Flüchtlingsaufnahmen müssten objektiv auf den Tisch gelegt werden.

Hannes Swoboda im Gespräch mit Mario Dobovisek | 09.10.2013
    Mario Dobovisek: Das Flüchtlingsdrama von Lampedusa hat Europa aufgerüttelt. Mindestens 270 Menschen starben. Ein Weckruf, ein Horrorereignis, an starken Worten mangelt es den EU-Politikern nicht. Überall ist die Rede von Konsequenzen. Deutschland gerät unter Druck, mehr Flüchtlinge aufzunehmen, und weigert sich. Die EU-Staaten sind sich uneins, das bleibt auch nach dem Treffen der Innenminister gestern klar und nur mit einem Minimalkompromiss versehen. Leon Stebe berichtet:

    Nach Lampedusa: EU setzt Expertengruppe ein (MP3-Audio) Nach Lampedusa: EU setzt Expertengruppe ein (Beitrag von Leon Stebe)

    Heute wird EU-Kommissionspräsident Barroso auf Lampedusa erwartet, auch das Europaparlament wird heute über die Konsequenzen sprechen, und einen Europaabgeordneten begrüße ich nun am Telefon: Hannes Swoboda. Der Österreicher ist Fraktionschef der Sozialdemokraten im EU-Parlament. Guten Morgen, Herr Swoboda! – Herr Swoboda? – Ich fürchte, da haben wir die Verbindung zu Herrn Swoboda verloren.
    Wir konnten wieder eine Verbindung aufbauen zum österreichischen Europaabgeordneten Hannes Swoboda. Guten Tag, Herr Swoboda!

    Hannes Swoboda: Schönen guten Tag.

    Dobovisek: Die europäischen Innenminister wollen eine Task-Force einsetzen, um Länder wie Italien zu unterstützen. Reicht das?

    Swoboda: Das glaube ich nicht. Das ist eine sehr, sehr schwache Antwort angesichts dieser tragischen Ereignisse. Task-Force gibt es wahrscheinlich Hunderte in Europa, aber es geht jetzt um rasche Maßnahmen, die gesetzt werden müssen, auf europäischer und nationaler Ebene.

    Dobovisek: Welche sollten das sein?

    Swoboda: Um auf der nationalen Ebene zu beginnen: Es ist, glaube ich, untragbar, dass Flüchtlinge unter Strafe gestellt werden, wenn sie versuchen, aus ihrer Notlage heraus nach Europa zu kommen. Wir müssen die strafen, die illegale Migration organisieren. Aber es ist ja auch irgendwie grotesk, wenn jetzt einerseits denen, die gestorben sind in den Wassern des Mittelmeers, nachträglich die Staatsbürgerschaft anerkannt wird, aber denen, die geflohen sind, eigentlich eine Strafe droht, inklusive der Fischer, die die Menschen gerettet haben. Also auf der nationalen Ebene muss man entkriminalisieren die Flüchtlinge, die Fluchtbewegungen, sicherlich nicht die Banden, die das organisieren.

    Auf europäischer Ebene muss man für einen Ausgleich sorgen. Man muss objektive Daten festhalten, wer wen aufnimmt und wer die Lasten auf sich nimmt und wer nicht, und der sollte dazu beitragen, dass es zu einer entsprechenden Lösung kommt. Wir müssen die Lasten verteilen auf alle Länder der Europäischen Union. Man muss legale Möglichkeiten schaffen, insbesondere für jene Flüchtlinge, für jene Menschen, die auswandern wollen und die ohnedies hier unterkommen können, weil sie auch eine entsprechende Ausbildung haben. Umgekehrt jenen Flüchtlingen, die hier herkommen – wir haben gerade gestern drei syrische Flüchtlinge gehabt bei uns zum Gespräch in der Fraktion -, denen muss man eine Ausbildung geben, damit sie zurückkehren können, damit sie in ihrem Land wieder etwas tun können, ein neues zum Beispiel Syrien aufbauen.

    Dobovisek: Das sind viele Punkte, Herr Swoboda. Lassen Sie uns bitte an dieser Stelle mal einen dieser Punkte herausgreifen, nämlich die Verteilung der Lasten, die Sie ansprechen. Da wehrt sich Deutschland ganz klar dagegen. Bundesinnenminister Friedrich sagt, Deutschland tue bereits genug, und so passiert nun nach der Innenministerkonferenz gestern erst einmal gar nichts. Deutschland sagt zum Beispiel, im vergangenen Jahr habe es 65.000 Asylbewerber aufgenommen, Italien bloß 15.000, das wäre viermal mehr. Wie soll die Verteilung also künftig aussehen?

    Swoboda: Ich glaube, dass man diese Zahlen der Flüchtlingsaufnahme, auch der Asylanträge und der Genehmigung der Asylanträge, dass man das objektiv immer auf den Tisch legen muss und dann für einen Ausgleich sorgen muss. Es ist richtig, Deutschland hat relativ viel getan, Schweden hat noch mehr getan. Man muss das immer natürlich im Verhältnis zur Bevölkerung sehen. Aber es gibt Länder, die haben weniger getan, und die müssen dann auch dazu beitragen, dass es eine Lösung gibt. Und man muss natürlich Italien sagen, wir helfen gerne insbesondere Lampedusa, das ist ja oft überlaufen, aber natürlich müssen auch zum Beispiel die nördlichen Regionen Italien, so schwierig das ist, mit helfen. Also ist der Ausgleich sicherlich innerhalb der einzelnen Länder zu erfolgen als natürlich auch auf der europäischen Ebene. Aber das heißt ja nicht, dass jedes Land jetzt mehr tun muss, sondern vor allem jene Länder, die bisher noch nicht so viel getan haben im Verhältnis zu ihrer Bevölkerungszahl. Die müssen mehr dazu beitragen, dass es zu einer gerechten Verteilung der Lasten in Europa kommt.

    Dobovisek: Muss auch Deutschland mehr tun?

    Swoboda: Ich glaube, dass vorübergehend auch Deutschland mehr tun kann, zum Beispiel gerade auch was syrische Flüchtlinge betrifft. Aber nicht nur die Aufnahme, sondern auch die Ausbildung. Das ist ja ganz wichtig. Das Land ist im Zusammenbrechen. Wenn es wieder aufgebaut werden soll, dann schicken wir vielleicht unsere Experten hin. Das ist ja gar nicht notwendig. Geben wir den Menschen, die da sind, eine Ausbildung, damit sie zurückkehren können und dort selber ihr Land aufbauen wollen. Das wollen sie auch. Sie wollen auch wieder zurück. Die Aufnahme ist die eine Geschichte, aber dass wir ihnen eine Ausbildung geben, dass wir sie auch beschäftigen im Sinne, dass sie nicht nutzlos gewissermaßen in Lagern herumsitzen, das ist, glaube ich, entscheidend. Da muss auch Deutschland mehr dazu tun.

    Dobovisek: Bundesinnenminister Friedrich nennt Italiens Forderungen völlig unbegreiflich, die Forderung nach Unterstützung, nennt die Schilderungen Italiens bloße Erzählungen. Dann hören wir auch Dinge wie "wir können nicht ganz Afrika aufnehmen". Das sagte zum Beispiel der konservative Schweizer Publizist Roger Köppel. Schlägt da gerade die Stunde der Populisten?

    Swoboda: Ja, sicherlich ist es schwierig und ich glaube, wir müssen dann auch ganz offen argumentieren und mit den Menschen reden. Es sind ja nicht nur die Populisten, die da sprechen, sondern es gibt große Schwankungen bei der Bevölkerung. Passiert ein großes Unglück wie vor Lampedusa, gibt es eine große Mitleidswelle und viele Krokodilstränen. Kaum ist das wieder vorbei, wehrt man sich wieder. Das sehen wir auch bei gewissen Wahlergebnissen, gerade in meinem Land Österreich auch. Aber da muss die Politik Mut zeigen und sich dazu bekennen, dass wir jetzt helfen müssen, so wie damals andere Länder geholfen haben, als ein Willy Brandt oder ein Bruno Kreisky aus Österreich geflohen ist und von Schweden oder Norwegen aufgenommen worden ist. Ich glaube, man muss schon die Zusammenhänge darstellen, und natürlich müssen wir den Ländern helfen, aus denen die Flüchtlinge kommen, und vor allem den Ländern helfen, die Transitländer sind wie zum Beispiel Libyen oder Tunesien, die ja kaum ihre eigenen Probleme lösen können. Da muss man schon auch wirklich eine umfassende Politik betreiben und darf das auch nicht den Innenministern überlassen. Das ist nur ein Sektor. Die Regierungschefs, die ja etwa in zwei Wochen zusammenkommen, die sollen das auch auf der höchsten Ebene behandeln und versuchen, wirkliche Lösungen herbeizuführen.

    Dobovisek: Wir sprechen gerade über Flüchtlinge und Einwanderer aus Drittstaaten, zum Beispiel aus Afrika. Doch auch innerhalb der EU gibt es reichlich Migration, zum Beispiel aus Rumänien und Bulgarien, ein Dorn im Auge auch des deutschen Bundesinnenministers. Er nennt das zum Teil Sozialtourismus. Wie passt das zusammen, dass diese Forderungen auch nach der Bekämpfung des Sozialtourismus jetzt in dieser Minute auf den Tisch kommen?

    Swoboda: Jeder Minister, jedes Land kann den Sozialtourismus abwehren. Dazu gibt es auch entsprechende Regeln. Aber man kann jetzt nicht, weil einige wenige – und die Statistik zeigt ja, dass es ja nicht viele sind – das ausnützen, hingehen, dass man jetzt die Freiheit der Bewegung für Arbeitnehmer innerhalb der EU beschränkt. Man kann sie nicht wie Großbritannien holen, wenn man sie braucht, und wenn man sie nicht braucht, einfach zurückschicken und wegschicken. Das, glaube ich, ist eine sehr unfaire Verhaltensweise. Noch dazu: Wir kürzen die Mittel für die Länder wie Bulgarien und Rumänien aus dem europäischen Budget, um dort die Integrationsmöglichkeiten zu schaffen. Wenn man schon diese Mittel kürzt, dann muss man sie wenigstens dort einsetzen, im eigenen Land. Ich habe mir auch die Dinge angeschaut in Duisburg, in Gelsenkirchen, dort wo es Schwierigkeiten lokal gibt. Die gibt es. Dann muss man eben auch dort die Mittel, die man einspart, wenn man Rumänien und Bulgarien nicht mehr so unterstützt, einsetzen, um dort die soziale Integration der relativ geringen Anzahl von Bulgaren und Rumänen, die gekommen sind, die aber lokal sicherlich Probleme schaffen, dann muss man dort die Integration vorantreiben, dass man Kindergärten schafft, dass man die Sprachkurse macht. Zum Beispiel Sprachkurse für Europäer sind nicht mehr kostenlos vorgesehen. Dort wird man vielleicht auch sagen müssen, okay, wir haben jetzt Bulgaren und Rumänen hier, schauen wir, dass sie eine Sprache lernen, dass sie die deutsche Sprache lernen, dass sie einen Beruf lernen, dass sie eben auch beitragen zum Sozialprodukt. Jedenfalls ist der Beitrag der Arbeitnehmer der Europäischen Union innerhalb, bei der inneren Migration sicherlich viel höher als die Kosten, die dort entstehen. Aber dann muss der Finanzminister auch ein bisschen die Gemeinden und die Städte unterstützen, die darunter leiden.

    Dobovisek: Hannes Swoboda, der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im EU-Parlament, das heute über die Konsequenzen aus der Flüchtlingstragödie vor Lampedusa debattieren wird. Vielen Dank für das Gespräch.

    Swoboda: Danke, sehr gerne.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.