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Synthetische Biologie
Wie Cyanobakterien aus Sonnenlicht Energie gewinnen

Ein Team aus Marburg hat aus Cyanobakterien, früher Blaualgen oder Algenblüte genannt, ein Grundgerüst für die synthetische Biologie gefertigt, mit dem zum Beispiel ungesättigte Kohlenwasserstoffe hergestellt werden können. Sie kommen als zukünftige Biokraftstoffe für Flugzeuge in Frage.

Von Michael Lange | 28.10.2019
Ein Laborroboter pipettiert eine grüne Flüssigkeit, die Cyanobakterien enthält
Der Laborroboter des iGEM-Teams Marburg hilft bei der Analyse der Cyanobakterien (iGEM-Team Marburg)
Das Ergebnis von einem Jahr Arbeit schwimmt in einen Glaskolben. Darin eine sattgrüne Flüssigkeit. Die Farbe stammt von unzähligen, winzigen Cyanobakterien, erläutert Vinca Seiler. Sie studiert Molekular- und Zellbiologie an der Universität Marburg und gehört zu einem Team, das am internationalen iGEM-Wettbewerb für synthetische Biologie teilnimmt.
"Das ist einer von unseren Cyanobakterien-Stämmen. Der ist jetzt schön gewachsen. Deshalb sieht er auch so wunderbar grün aus."
Cyanobakterien wurden früher Blaualgen genannt oder als Algenblüte bezeichnet. Denn wie Pflanzen betreiben die Bakterien Fotosynthese, erhalten also ihre Energie aus dem Sonnenlicht. Während andere Bakterien mit Zucker gefüttert werden müssen, ernähren sich Cyanobakterien von Licht, Wasser und Kohlendioxid, am liebsten viel davon.
Die Menge der Cyanobakterien verdoppelt sich alle 80 Minuten
Das Besondere an den Cyanobakterien im Glaskolben ist die Geschwindigkeit, mit der sie sich teilen und vermehren, erklärt iGEM-Team-Mitglied Michael Burgis.
"Mittlerweile kommen wir sogar zu Verdopplungszeiten, die sich mit Hefe vergleichen lassen, sogar darunter liegen. Also sich schneller verdoppeln."
Alle 80 Minuten verdoppelt sich die Menge der Cyanobakterien. Sie gehören zur Spezies Synechococcus elongatus. Das Team aus Marburg hat aus dem natürlichen Bakterium eine Art Grundgerüst für die synthetische Biologie gefertigt - ein Chassis. Es besitzt alles, was Bakterien zum Leben brauchen. Wie Legosteine in einem Baukasten lassen sich dann weitere Fähigkeiten hinzufügen. So wird aus einfachen Bakterien ein Produktionsorganismus für die Biotechnologie. Er kann zum Beispiel ungesättigte Kohlenwasserstoffe herstellen. Sie kommen als zukünftige Biokraftstoffe für Flugzeuge in Frage.
Den Optimismus, der in der iGEM-Gemeinde üblich ist, hat Team-Mitglied Hinrik Plaggenborg bereits verinnerlicht.
"Wir glauben, dass es in zwei oder drei Jahren möglich ist, auf Basis von unseren Cyanobakterien mit dem Flugzeug zu fliegen."
Mühsames Pipettieren muss nicht sein
Wie zukünftige Produktionsstätten aussehen könnten, haben andere Forscher bereits ausprobiert, erklärt Vinca Seiler.
"Wichtig ist, dass so viel Licht wie möglich daran kommt. Die Cyanobakterien-Anlagen, die es gibt, sind meist relative dünne Folien, so dass sie sich nicht selbst beschatten. Und dann sieht es in etwa so aus wie Wäscheleinen, an denen Plastiksäcke mit Cyanobakterien hängen. So sieht das ungefähr aus."
Mühsames Pipettieren, bei dem stundenlang kleine Flüssigkeitsmengen hin und her gespritzt werden, muss nicht sein. Das Marburger iGEM-Team ist da auf dem neuesten Stand der Technik und arbeitet mit einem Pipettier-Roboter.
Cedric Brinkmann, der einzige Mathematik-Student im Team, hat die Software an die notwendigen Arbeitsschritte angepasst.
"Hier sieht man die beiden Pipettierroboter, die wir mittlerweile besitzen. Den ersten haben wir vor einem Jahr gewonnen, auch in diesem Wettbewerb. Wir haben provisorisch eine Kamera angebracht an dem Roboter, der die Bilder von den Platten macht und dann mit einer künstlichen Intelligenz verarbeitet, und dann dem Roboter wiedergibt, so dass der sie verarbeiten kann."
Alle opfern ihre komplette Freizeit
An Ideen mangelte es dem Team aus Marburg von Anfang an nicht. Was die Studierenden lernen mussten, war die Umsetzung, und die war aufwendig. Neben der Laborarbeit gab es jede Menge zu planen und zu organisieren.
"Jeder von uns opfert hier seine komplette Freizeit, fast für ein komplettes Jahr. Und da will man Ende auch Ergebnisse haben."
Die Marburger haben es geschafft und werden ihr Projekt und ihre Cyanobakterien beim iGEM-Finale in Boston vorstellen.