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Syrien-Experte
"Hoffnungsschimmer, dass es zu konkreten Verhandlungen kommt"

Die Ankündigung einer Waffenruhe in Syrien in der nächsten Woche sei skeptisch zu betrachten, sagte der Nahost-Experte Günter Meyer von der Uni Mainz im DLF. Die Ausgangsvoraussetzungen für konkrete Friedensverhandlungen am 25. Februar seien aber nun besser geworden.

Günter Meyer im Gespräch mit Martin Zagatta | 12.02.2016
    Günter Meyer, Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt in Mainz
    Günter Meyer, Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt in Mainz (dpa / picture alliance / Peter Pulkowski)
    Martin Zagatta: Besteht jetzt wenigstens ein bisschen Hoffnung auf ein Ende oder ein Abklingen der Kämpfe in Syrien? Die internationale Gruppe zur Beilegung des Konflikts in Syrien hat sich in der Nacht im Vorfeld der Münchner Sicherheitskonferenz auf einen Plan geeinigt, der eine Waffenruhe binnen einer Wochenfrist vorsieht.
    Wir sind jetzt verbunden mit Professor Günter Meyer, dem Leiter des Zentrums für Forschung zur arabischen Welt an der Universität in Mainz. Guten Tag, Herr Meyer!
    Günter Meyer: Ich grüße Sie, Herr Zagatta.
    Zagatta: Herr Meyer, übermäßig zuversichtlich klingt das ja nicht, was wir da gerade von John Kerry gehört haben. Glauben Sie denn, dass es eine ernsthafte Chance gibt, dass in einer Woche in Syrien tatsächlich die Waffen schweigen?
    Meyer: Hier ist sehr große Skepsis angebracht. Das was wir hier haben, ist immerhin ein sehr wichtiger Schritt in die richtige Richtung, aber die entscheidende Frage wird sein, in welchem Maße sind die Konfliktparteien, insbesondere die verschiedenen Rebellengruppen tatsächlich bereit, sich auf eine solche Kampfpause einzulassen. Hier spielt vor allem eine ganz wichtige Rolle die Nusra-Front. Die Nusra-Front, ebenso wie IS sind klar ausgespart von dieser Waffenruhe. Der Kampf gegen die Nusra-Front als Ableger von El-Kaida ist genauso wichtig wie der Kampf gegen den Islamischen Staat. Beide verfolgen die gleichen Ziele einer islamistischen Weltherrschaft. Das heißt, dieser Kampf wird fortgesetzt. Aber die Truppen der Nusra-Front, die sitzen durchaus in Aleppo. Das heißt, sie sind weit verstreut im Norden des Landes, gerade auch in der Provinz Idlib. Von dort sind in den letzten Tagen Hunderte von Kämpfern der Al-Nusra nach Aleppo verlegt worden. Das heißt, wenn der Kampf gegen die Nusra-Front weitergeht, das heißt, wenn insbesondere die russischen Kampfflugzeuge weiter legitimiert sind, Stellungen der Nusra-Front anzugreifen, dann gilt das natürlich auch für Aleppo. Gerade die Nusra-Front verfolgt die Strategie: Anders als der Islamische Staat, wo klar abgegrenzte Territorien erkennbar sind, schließt sich die Nusra-Front mit den verschiedenen anderen Rebellengruppen zusammen, so dass hier immer die Möglichkeit besteht zu sagen, wenn russische Angriffe durchgeführt werden, oder das Regime weiter vorrückt, angesichts der großen militärischen Erfolge, die man gerade in den letzten Wochen erlebt hat, dann ist aufgrund dieser Vereinbarung es durchaus auch möglich, gegen die Stellung der Nusra-Front in Aleppo und im Verbund mit anderen Rebellengruppen vorzugehen.
    Zagatta: Das heißt, da würde sich an Kämpfen jetzt erst einmal gar nichts ändern. Der Westen, die USA gehen ja davon aus, dass vier Fünftel der Angriffe, die die russische Luftwaffe dort fliegt, dass die sich eben nicht gegen die Al-Nusra-Front oder gegen den IS richten, sondern gegen andere Gruppen, die wir vielleicht zu Unrecht, aber die wir als gemäßigte Rebellen bezeichnen, und dass da immer mehr die Zivilbevölkerung zu Opfern wird. Sehen Sie da irgendetwas an Fortschritt?
    Meyer: Diese Aussage stimmt sicherlich im Hinblick auf den Islamischen Staat. Aber aufgrund der spezifischen Strategie der Nusra-Front, die mit anderen Gruppierungen zusammen gemeinsam gegen das Regime kämpft, da ist diese Aussage keineswegs so klar. Hier werden Angriffe gegen die Nusra-Front in Verbindung mit anderen Rebellengruppen durchgeführt von russischer Seite. Insofern: Da muss man doch deutlicher unterscheiden.
    Zagatta: Gibt es da noch so etwas wie gemäßigte Rebellen oder noch Verbände dieser gemäßigten Rebellen von nennenswerter Stärke?
    Meyer: Sicherlich nicht von nennenswerter Stärke. Im Wesentlichen sind es islamistische Gruppen, neben IS und El-Kaida auch Ahrar-Al-Sham etwa, die von Saudi-Arabien unterstützt wird, andere Gruppen. Diejenigen, die wirklich mächtig sind, die haben die volle Unterstützung von Saudi-Arabien, von Katar und von der Türkei. Alle anderen Gruppierungen, die wir haben, sind mehr oder weniger Mitläufer, die keine entscheidende Rolle spielen.
    Zagatta: Sind Russland beziehungsweise der syrische Präsident Assad, der von Russland ja jetzt seit Monaten so massiv unterstützt wird, kann man das sagen, die sind jetzt schon der große Sieger dieser Entwicklungen der letzten Wochen und vielleicht jetzt auch der Verhandlungen?
    Meyer: Wenn wir uns die Entwicklung noch am Anfang des Frühjahrs letzten Jahres anschauen: Das syrische Regime war überall auf der Verliererstraße, hohe territoriale Verluste, hohe Verluste gerade auch was Soldaten anbelangt. Zum damaligen Zeitpunkt musste man davon ausgehen, dass bei der erwarteten Großoffensive im Herbst des vergangenen Jahres der endgültige Zusammenbruch des Regimes bevorsteht. Immer mehr junge Soldaten sind desertiert beziehungsweise diejenigen, die in dem Gebiet waren, was vom Assad-Regime kontrolliert war, die sind geflüchtet, haben dann gerade auch die Chance genutzt, man kann nach Deutschland. Das war eine der Hauptherkunftsregionen vor diesem politischen Hintergrund für die Flüchtlinge, mit denen wir es hier momentan in Deutschland zu tun haben.
    Der entscheidende Wendepunkt, der kam dann am 30. September. Das Eingreifen Russlands hat dazu geführt, dass Baschar al-Assad fester im Sattel sitzt als seit mehreren Jahren. Das war die entscheidende Wende und im Endeffekt ist es auch Russland zu verdanken, dass es zu den Friedensverhandlungen, zu den Verhandlungsvereinbarungen in Genf gekommen ist. Ohne das russische Eingreifen würden die Kampfhandlungen weiter fortgesetzt. Das heißt, die entscheidende Wende: Das Regime ist außerordentlich erfolgreich auf der anderen Seite dank der Unterstützung durch die russischen Luftangriffe, die wiederum doch zu hohen Verlusten unter der Zivilbevölkerung führen. Und gerade das, was wir in den letzten Tagen und Wochen erlebt haben, das Vorrücken auf Aleppo - inzwischen ist Aleppo im Norden abgeschlossen, abgeschottet von den Truppen des Regimes. Die Versorgung, die bisher aus der Türkei vor allem kam, der militärische Nachschub, der ist blockiert. Die Truppen der Nusra-Front, die Truppen der Rebellen in Aleppo sind weitgehend von der Außenwelt abgeschottet, und das ist aus Sicht des Regimes natürlich ein riesiger Erfolg.
    Zagatta: Glauben Sie, dass es überhaupt noch zu einer Fortsetzung dieser Genfer Syrien-Gespräche der direkt Beteiligten kommt, auf Grundlage jetzt dieser Abmachung? Wenn Al-Nusra da weiter bekämpft wird, der IS sowieso und Al-Nusra, wie Sie sagen, in weiten Teilen dann auch mit Teilen der Freien Syrischen Armee schon verbündet ist, machen da Verhandlungen in Genf überhaupt noch Sinn?
    Meyer: Wenn wir die Gründe für das Scheitern der ersten Verhandlungsrunde im Januar uns anschauen, dann waren es vor allem Saudi-Arabien und die Türkei sowie Katar, die die verschiedenen Rebellengruppen in Riad dazu verpflichtet haben, sich möglichst nicht auf Verhandlungen einzulassen. Das heißt, die Rebellen, die Vertreter der Rebellen sind dann trotzdem nach Genf gekommen, aber mit der Forderung, dass vor Aufnahme der Verhandlungen zunächst einmal humanitärer Zugang zu den belagerten Gebieten gewährleistet sein muss und darüber hinaus die Waffenruhe hier eingehalten werden muss. Umgekehrt haben dann aber sowohl Kerry, sowohl die USA als auch die Europäische Union ganz klar festgestellt: Verhandlungen werden durchgeführt ohne Vorbedingungen. Daraufhin sind dann die Vertreter der syrischen Opposition wieder abgereist.
    In der Zwischenzeit sind wir einen deutlichen Schritt weiter. Das heißt, der Vorwand, der bisher zum Scheitern geführt hat, es müssen erst mal Vorleistungen erbracht werden im Hinblick auf Waffenruhe, im Hinblick auf humanitäre Vorleistungen, dieser Stolperstein ist immerhin aus dem Weg geräumt worden. Vor dem Hintergrund besteht durchaus ein Hoffnungsschimmer, dass es dann zu konkreten Verhandlungen am 25. Februar kommen wird. Aber die Frage ist, wie werden nicht nur das Regime und seine Unterstützer, sondern auch die verschiedenen Rebellengruppen mit Unterstützung von Saudi-Arabien, Türkei und Katar in dieser Situation, das heißt im Laufe der nächsten Woche, die zu einer solchen Waffenruhe führen wollen, wie werden die reagieren.
    Zagatta: Professor Günter Meyer, der Leiter des Zentrums für Forschung zur arabischen Welt der Universität Mainz. Herr Meyer, herzlichen Dank für das Gespräch.
    Meyer: Vielen Dank, Herr Zagatta!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.