Dienstag, 16. April 2024

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Syrien-Gespräche in Astana
"Erst mal wäre es ein symbolischer Durchbruch"

In der kasachischen Hauptstadt Astana beginnen heute die Syrien-Gespräche. Zum ersten Mal sollen dort die Rebellen und das Regime gemeinsam an einem Tisch sitzen. Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, sagte im Deutschlandfunk, es sei zumindest möglich, dass der Waffenstillstand stabilisiert werde.

Volker Perthes im Gespräch mit Christine Heuer | 23.01.2017
    Der UNO-Sondergesandte für Syrien, Staffan de Mistura (rechts) vor Beginn der Syrien-Gespräche in der kasachischen Hauptstadt Astana.
    Wenn es Russland und der Türkei gelinge, die Konfliktparteien in einem Raum zu halten, anstatt "nur Vermittler zwischen den unterschiedlichen Delegationen hin- und herpendeln" zu lassen, könnten sich ganz neue Dynamiken entwickeln, betonte Perthes. Die Konfliktparteien seien "ermüdet, erschöpft und überdehnt", was die Chancen für einen dauerhaften Waffentstillstand erhöhe.
    Allerdings müsse der Waffenstillstand von humanitären Maßnahmen und der Aussicht auf eine politische Lösung begleitet werden, sagte Perthes weiter. Die Vermittlungsbemühungen Russlands seien richtig. Zwar unterstütze die russische Führung den syrischen Präsidenten Assad, "aber sie wissen auch, dass die derzeitige Konstruktion - sehr zentralistisch und auf den Präsidenten ausgelegt - mittel- und langfristig keine Stabilität in Syrien bringt." Um die zu erreichen seien grundsätzliche Änderungen in der syrischen Verfassung erforderlich.
    Zudem sei es sinnvoll, die USA, die zuletzt nicht mehr richtig involviert gewesen sei, wieder in die Syrien-Verhandlungen mit einzubeziehen, sagte Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, im Deutschlandfunk.

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: Gibt es neue Hoffnung für Syrien? In der kasachischen Hauptstadt Astana beginnen heute Gespräche des Assad-Regimes mit den Aufständischen. Erstmals sollen beide Seiten tatsächlich in einem Raum miteinander sprechen. Das jedenfalls ist der Plan.
    Ich möchte darüber jetzt sprechen mit Volker Perthes, dem Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik. Er ist auch Berater des UN-Sondergesandten für Syrien, Staffan de Mistura. Guten Morgen, Herr Perthes.
    Volker Perthes: Schönen guten Morgen, Frau Heuer.
    Heuer: In Astana sollen ja die Rebellen und das Regime erstmals gemeinsam an einem Tisch sitzen. Glauben Sie, das klappt?
    Perthes: Ich glaube, dass sie zumindest zu einer Eröffnungssitzung im gleichen Raum sitzen werden, und dann hängt es am Geschick der Russen und der Türken, die hier in erster Linie die Versammlung führen, ob sie die Parteien auch für die 24 Stunden, die vorgesehen sind, im gleichen Raum halten.
    Heuer: Was würde das verändern?
    Perthes: Nun, erst mal wäre es ein symbolischer Durchbruch zu sagen, man spricht miteinander und man lässt nicht nur Vermittler zwischen den unterschiedlichen Delegationen hin- und herpendeln. Es könnte auch im Raume selbst sozusagen für Dynamiken sorgen, weil die Opposition, so wie sie eingeladen worden ist, oder die Rebellen, so wie sie eingeladen worden sind nach Astana, noch keine geschlossene Delegation bilden. Die müssten sich da auch zusammenfinden, um von ihren ganz unterschiedlichen Positionen, die sie haben, eine gemeinsame Linie gegenüber der Regierungsdelegation zu finden.
    Heuer: Herr Perthes, in Genf hat das bisher nicht geklappt. Warum ist das in Astana immerhin eine Möglichkeit?
    Perthes: Sagen wir mal so. Wir sind ein Jahr weiter, als wir das Anfang und Frühjahr 2016 in Genf waren. Die Konfliktparteien sind ermüdet, sind erschöpft, sind überdehnt. Das gilt für beide Seiten oder beide Original-Kriegsparteien in diesem Konflikt. Es gibt ja mittlerweile eine dritte, den sogenannten Islamischen Staat, der eben nicht besiegt ist, obwohl man das sich schon vorgenommen hatte oder gedacht hatte, das würde in diesem Jahr geschehen.
    Und ganz wichtig ist, dass zwei der wichtigen externen Unterstützer der Kriegsparteien, nämlich Russland und die Türkei, sich darauf geeinigt haben, dass sie diesen Konflikt nicht weiter fördern, sondern dass sie ihn möglichst zu Ende bringen sollen, und die haben natürlich Druckmöglichkeiten gegenüber ihren jeweiligen Verbündeten in Syrien, nicht zuletzt die Versorgung mit Waffen und Munition.
    "Ich glaube, dass die russische Führung hier das Richtige macht"
    Heuer: Also macht Moskau da jetzt gerade einen guten Job?
    Perthes: Ich glaube, dass die russische Führung hier das Richtige macht. Man kann kritisch darüber diskutieren, was vorher geschehen ist, aber das gilt für jeden internationalen Konflikt. An diesem Punkt wollen sie das Kämpfen, das Sterben, das Morden beenden und sie setzen die Möglichkeiten, die sie haben, dafür auch ein.
    Heuer: In Astana soll über eine stabile Waffenruhe für ganz Syrien verhandelt werden. Verstehe ich Sie richtig, dass Sie glauben, die Chancen dafür stehen diesmal gar nicht so schlecht?
    Perthes: Ein Stück weit bin ich natürlich Berufsoptimist und würde sagen, ohne die Erfolgschancen bewerten zu wollen, es ist zumindest möglich, dass der Waffenstillstand stabilisiert wird. Aber ein Waffenstillstand steht nie allein. Ein Waffenstillstand muss in einem Kontext stehen und dazu gehören zwei Dinge. Das eine sind humanitäre vertrauensbildende Maßnahmen, wie das im Jargon der Vereinten Nationen heißt. Konkret heißt das, dass Städte nicht länger belagert werden, dass Hilfslieferungen durchkommen, dass Gefangene befreit werden und so weiter. Das Zweite ist, dass es eine Aussicht auf eine politische Lösung gibt, also dass man zurückkommt zu politischen Gesprächen, die nicht nur über Waffenstillstand, sondern über politische Veränderungen, über die Integration der Opposition in eine neue Form der Regierung und so weiter Einigkeit erzielen.
    Heuer: Der Delegationsleiter der Rebellen in Astana ist Mohamed Allouch von der islamistischen Miliz Jaish al-Islam. Die gilt als Terrorgruppe. Sie kennen Allouch ja schon aus Genf. Ist das jemand, der zu Kompromissen bereit ist?
    Perthes: Ich glaube, Herr Allouch persönlich ist jemand, der zu Kompromissen gebracht werden kann. Er ist eher ein politischer Kopf in der sogenannten Armee des Islam, Jaish al-Islam. Er ist kein Kämpfer, kein Feldkommandeur. Aber er hat gute Kontakte zu den Feldkommandeuren und egal was man von den einzelnen Organisationen hält, oder was andere von der Regierung halten und ihrer Art der Kriegsführung, wenn man einen Waffenstillstand und einen Frieden will, muss man die zusammenbringen, die die Waffen kontrollieren.
    "Die Führung in Damaskus kann zu Zugeständnissen gebracht werden"
    Heuer: Was ist denn mit der anderen Seite, mit dem Assad-Regime? Haben Sie den Eindruck, die sind inzwischen auch zu Zugeständnissen bereit?
    Perthes: Wenn sie frei entscheiden könnten, wären sie das nicht. Aber auch sie arbeiten in einem Kontext, den in diesem Fall Russland stark mitbestimmt. Russland hat im September 2015 interveniert in Syrien, um das Regime oder die Regierung in Damaskus zu retten. Außenminister Lawrow hat letztlich noch mal gesagt, dass sie 2015 davon ausgegangen seien, dass die Regierung in Damaskus zwei bis drei Wochen vor dem Zusammenbruch gestanden hätte, wenn Russland nicht interveniert hätte. Das mag richtig sein oder falsch sein, aber ich glaube, das ist keine ganz unkorrekte Einschätzung. Und diese Unterstützung aus Russland braucht die Führung in Damaskus weiter und deshalb kann sie sicherlich auch zu Zugeständnissen gebracht werden.
    Heuer: Wir haben gerade im Vorbericht von Björn Blaschke auch noch einmal gehört, dass Assad sich erstaunlicherweise in jüngster Zeit so geäußert hat, dass er gesagt hat, die Verfassung gehört dem Volk. Herr Perthes, halten Sie es für möglich, dass Assad vielleicht geht, zum Gehen bereit ist?
    Perthes: Ich kann nicht in den Kopf von Herrn Assad schauen. Aber die Einschätzung, wenn man sich anschaut, wie er bisher regiert hat, ist, dass er sicherlich nicht freiwillig gehen wird. Die Frage ist deshalb - aber das betrifft nicht so sehr Astana, sondern die nächste Gesprächsrunde in Genf, die ja im Februar wieder beginnen soll -, bekommt man es hin, auch mit der Zustimmung der Regierung in Damaskus, das heißt letztlich auch mit der Zustimmung Assads, dass man die Verfassung so ändert, dass das Ende der Amtszeit Assads zumindest absehbar ist, oder setzen sich die Förderer Assads, das heißt hier vor allem Russland und Iran dafür ein, dass er einer neuen Verfassung Platz macht, dass er neu antreten müsste, wenn er wieder Präsident werden wollte.
    Heuer: Halten Sie das für wahrscheinlich?
    Perthes: Es hängt sehr deutlich davon ab, wie der politische Druck auch aus Russland, auch aus Iran auf Assad sich gestaltet.
    "Russland möchte nicht, dass Assad unmittelbar geht"
    Heuer: Und wie schätzen Sie das ein? Wird Moskau diesen Druck möglicherweise tatsächlich jetzt ausüben? Sind Sie da optimistisch?
    Perthes: Russland, um es so klar wie möglich zu sagen, möchte nicht, dass Assad unmittelbar geht. Sie halten Assad für eine Stütze des Regimes, das sie unterstützen. Aber sie wissen auch, dass die derzeitige Konstruktion, sehr zentralistisch, sehr auf den Präsidenten ausgerichtet, dass die mittel- und langfristig keine Stabilität in Syrien bringt und dass man die Konfliktparteien von beiden Seiten in eine neue Form des Regierens integrieren oder zusammenbringen muss. Das wird mittelfristig sicherlich nur mit grundsätzlichen Änderungen an der syrischen Verfassung einhergehen.
    Heuer: Herr Perthes, zum Schluss: Wir haben jetzt über Moskau gesprochen. Die USA, wohl gemerkt die USA unter Donald Trump, waren von Russland eingeladen zu den Gesprächen nach Astana. Die Vereinigten Staaten schicken aber niemanden. Heißt das, die USA ziehen sich aus diesen Syrien-Verhandlungen zurück und wenn ja mit welchen Folgen?
    Perthes: Die USA waren zuletzt nicht mehr richtig involviert. Sie sind militärisch noch involviert im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat, koordinieren da auch mit Russland und der Türkei. Und was wir aus Russland hören und aus der Türkei, die ja immerhin NATO-Verbündeter ist, ist, dass man natürlich die USA braucht, wenn man mittelfristig die Situation in Syrien stabilisieren will. Aber in diesem Prozess und bei dem Waffenstillstand, der im Dezember verkündet worden ist, waren die USA tatsächlich nicht drin. Das war ein Stück weit auch ein vielleicht nicht sehr freundliches, aber geschicktes Spiel Moskaus, die Obama-Administration hier auf den letzten Metern noch aus dem Prozess zu entfernen.
    Heuer: Volker Perthes, der Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin und Syrien-Berater für die Vereinten Nationen. Herr Perthes, danke fürs Gespräch.
    Perthes: Sehr gerne, Frau Heuer. Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.