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Syrienkrieg
Versöhnung mit dem Feind

Sie helfen dem Feind - die Ärzte im Galilee Medical Center in Naharyia, einer Hafenstadt im Norden Israels. Seit 2013 werden hier syrische Kriegsopfer behandelt. Die israelisch-syrische Grenze hinter den Golanhöhen liegt ungefähr eine Autostunde entfernt. Für die Ärzte ist ihre Arbeit nicht nur medizinische Hilfe.

Von Nana Brink  | 19.06.2017
    Das Schild an der Tür zur Notaufnahme: Die Person ist eine Person für eine Person - das Motto des Krankenhauses.
    Das Schild an der Tür zur Notaufnahme des Krankenhauses. (Nana Brink)
    Dr. Eyal Sela kommt gerade aus dem Operationssaal. Um den Hals hängt noch seine Maske, als er mir die Hand drückt. Hinter der Tür liegt Majed, ein 15-jähriger syrischer Patient. Eine Granate hat ihm den Kiefer zerfetzt.
    "Wenn Du Kinder hast, hörst Du auf, an Dich zu denken, Du denkst an die Zukunft und wie Du sie besser machen kannst."
    Eyal Sela gehört zum Chirurgen-Team des Galilee Medical Centers in Nahariya. Über 1.600 Patienten aus dem umkämpften syrischen Grenzgebiet jenseits der Golan-Höhen haben es bislang hierher geschafft. Sharon Mann vom Management der Klinik deutet auf einen hebräischen Schriftzug, der am Eingang der Notaufnahme prangt:
    "Eine Person ist eine Person für eine andere Person - wenn Du durch diese Tür kommst, interessiert uns nicht, wer Du bist, was Deine Überzeugungen sind, Deine Hautfarbe oder Deine Religion. Es gibt hier zwei Arten von Menschen, - Patienten und Pfleger und ich denke, dass wir syrische Patienten behandeln, ist die extreme Version dieser Philosophie. Wir behandeln Menschen, die uns als Feinde ansehen."
    "Das ist ein Guerillakrieg"
    Dr. Eyal Sela ahnt, welche Frage jetzt kommt. Seine blauen Augen fixieren mich kurz. Dann blickt er auf die Uhr, als er die Tür zu seinem Büro aufstösst.
    "Hier ein Video von einem unserer Patienten. Ich zeige Dir Bilder, sie sind drastisch. Wenn es zu extrem ist für Dich, dann höre ich auf mit meinem Vortrag über die syrischen Opfer, die wir hier sehen."
    Dr. Eyal Sela im Gespräch mit Nana Brink.
    Dr. Eyal Sela im Gespräch mit Nana Brink. (Nana Brink)
    Die Bilder sind schwer auszuhalten. Kinder ohne Hände und Füße. Junge Erwachsene, denen das halbe Gesicht fehlt, wie Majed, der junge Syrer, den Dr. Sela gerade operiert hat.
    "Ich habe alles an Metall aus syrischen Gesichtern geholt, was Du Dir vorstellen kannst. Das ist ein Guerillakrieg. Ohne normale Soldaten. Sie haben keine Helme und Westen."
    Aber wie schafft man es mit diesen Verletzungen lebend in ein Krankenhaus nach Israel zu kommen, - immerhin in Feindesland? Mit einem Esel, sagt Shai Ben-ari. Der Journalist des israelischen Nachrichtensenders i24news dreht gerade einen Dokumentarfilm über die Klinik.
    "Sie kommen an die Grenze. Dort befinden sich Bewegungsmelder und Kameras, die alles aufzeichnen und erkennen, ob jemand verletzt ist. – Sie kommen auf Eseln oder zu Fuss. Das israelische Militär empfängt sie und checkt sie durch, ob sie feindliche Absichten haben."
    Die meisten Patienten sind Opfer des IS
    Mit feindliche Angriffen hat man im Galilee Krankenhaus so seine Erfahrungen, erzählt Sharon Mann und zeigt auf ein verglühtes Stück Eisen in einer Vitrine neben der Notaufnahme.
    Im 2. Libanesischen Krieg 2006 feuerte die Hisbollah von Jordanien aus Raketen auf das Krankenhaus. Seitdem gibt es einen unterirdischen Bereich mit OP-Saal. Auch für syrische Patienten. Sie werden in einem streng bewachten Komplex behandelt.
    "Unser Personal ist gemischt, Araber, Juden, Christen - 50 Prozent sprechen fließend Arabisch. Unter den Patienten sehen wir keine Fanatiker. Die meisten sind Opfer des IS."
    Und Dr. Sela weiß auch von Fällen wie diesem:
    "Ein Patient ging zurück nach Syrien und wir hörten nach 12 Tagen, dass er tot aufgefunden wurde, erhängt. Wahrscheinlich weil sie wussten, dass er in Israel war. – Wir können sie behandeln, wenn sie zu uns kommen. Aber wir können in diesen Krieg nicht eingreifen."
    Kaum eine Zone in Syrien ist so umkämpft wie das Gebiet jenseits der Golan-Höhen. Die meisten Opfer sind junge Männer zwischen 15 und 25 Jahren. Eine verlorene Generation, sagt Dr. Sela.
    "Wir hatten einen Jungen, der kam ohne linken Arm. Wir haben ihn behandelt. Er ging zurück und kam nach einem Jahr wieder - ohne rechten Arm. Ich habe mit ihm geschimpft: Hast Du nichts gelernt? Er antwortete: Ihr habt I-Phones und Playstations. Wir haben Granaten. Was willst Du?"
    "Wir gehen damit nicht so sehr an die Öffentlichkeit"
    Dr. Sela verschwindet im Operationssaal. Für das Galilee Medical Center ist die Behandlung der syrischen Patienten nicht nur unter politischen Bedingungen schwierig. Bis zu 2500 Euro am Tag kostet ihr Aufenthalt; normal sind 600. Die aufwändigen Operationen reißen ein Loch in das Budget. Stillschweigend duldet die israelische Regierung die Behandlung des Feindes. Als Dr. Sela aus dem OP zurückkehrt, blitzen seine blauen Augen kalt.
    "Wir gehen damit nicht so sehr in die Öffentlichkeit. Schaut her! Wir behandeln Syrer! – Wir tun es. Und die Regierung weiß das. Aber ich habe hier noch keinen Vertreter der Regierung gesehen."
    Majed geht es schlecht. Wenn er überlebt, wird er nach Syrien zurückgehen. Ohne Arztbrief, ohne Medikamente, zumindest ohne, die hebräische Schriftzeichen tragen. Manchmal bekommt Dr. Eyal Sela eine SMS. Letzthin hat er auf Facebook einen Patienten gefunden, dem er das Gesicht gerettet hat. Man sieht ihn als Bräutigam.
    "Man muss Menschen berühren! Ich habe viele hundert Menschen behandelt. Sie kennen mich beim Namen. Wenn sie zurück gehen nach Syrien, erzählen sie ihren Kindern: Der israelische, zionistische Feind hat mich gerettet. Vielleicht bedeutet das eine bessere Zukunft für meine Kinder. "