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Syrischer Nationalrat in Deutschland
"Die Syrer sind nach wie vor alleine"

Die syrische Bevölkerung sei "massiv enttäuscht" von der gesamten Weltgemeinschaft, sagte Sadiqu Al-Mousllie, Sprecher des Syrischen Nationalrats in Deutschland. Die starke Zurückhaltung in Bezug auf Baschar al-Assad habe letztendlich sogar die Terrormiliz IS gestärkt.

Sadiqu Al-Mousllie im Gespräch mit Friedbert Meurer | 17.03.2015
    Der syrische Oppositionsvertreter Sadiqu Al-Mousllie
    Der syrische Oppositionsvertreter Sadiqu Al-Mousllie (dpa / picture-alliance / Stefan Jaitner)
    Friedbert Meurer: US-Außenminister John Kerry vermittelt dieser Tage auf gleich mehreren Krisenfeldern. Das eine heißt Iran und im US-amerikanischen Fernsehen hat er davon gesprochen, dass die USA im syrischen Bürgerkrieg bereit seien, auch mit Assad zu reden. Das sorgt für Wirbel und einiges an Verblüffung. Sadiqu Al-Mousllie ist Sprecher des Syrischen Nationalrats in Deutschland, lebt und arbeitet als Zahnarzt in Braunschweig seit etlichen Jahren. Er ist der offiziell anerkannte Vertreter der syrischen Opposition in Deutschland. Guten Tag, Herr Al-Mousllie.
    Sadiqu Al-Mousllie: Guten Tag, Herr Meurer.
    Meurer: Trotz dieser Relativierung jetzt in Washington, sind Sie über die USA entsetzt?
    Al-Mousllie: Natürlich bin ich entsetzt. Wenn ich höre, dass jemand, der so viele Menschen getötet hat, die Legitimation verloren hat, frage ich mich eigentlich, welche Legitimation dann für die internationale Gemeinschaft da ist oder für die Leute, die zuschauen, wie Hunderttausende von Menschen getötet werden schon seit Jahren, und mit welchem Recht, mit welcher Referenz auf Menschenrechte und auf Mitgefühl und auf Rücksicht auf die Menschen eigentlich hier umgegangen wird. Leider Gottes stellen wir fest, dass die Syrer nach wie vor alleine sind, und solche Statements kommen aus meiner Sicht nicht einfach von ungefähr, sondern es ist aus meiner Sicht eventuell ein Test für die Öffentlichkeit.
    Meurer: Der Test könnte ja darin bestehen, dass gesagt wird von US-amerikanischer Seite, ohne das Ancien Régime von Assad geht es nicht, eine Lösung zu finden. Was meinen Sie?
    Al-Mousllie: Wir wissen alle, dass die Lage jetzt, wie sie da ist - die Syrer sind jetzt alleine in der Opposition auch und die Bevölkerung, die da ist. Das heißt, die Syrer stehen Gesicht zu Gesicht als Front mit dem Iran und mit Russland, mit den Unterstützern Assads. Das heißt, am Ende wird eine politische Lösung auf jeden Fall da sein: Natürlich nicht mit Assad persönlich und auch nicht mit seinen engsten Verbündeten. Denn letztendlich sind die eigentlich die Verantwortlichen für die Morde und für all das, was in Syrien bis jetzt passiert ist. Ich sehe die Sache so, dass wenn überhaupt darüber verhandelt wird, oder in einer Richtung von politischer Lösung - das hat auch Dr. Khaled Khoja, der Vorsitzende der syrischen Koalition, gesagt -, dass wir auf jeden Fall uns das so vorstellen, dass Assad nicht dabei ist. Das ist keine Alternative.
    Meurer: Der Hintergrund für die Diskussion, Herr Al-Mousllie, ist ja das Treiben der Terrormiliz Islamischer Staat. Da wird Assad sozusagen als Verbündeter möglicherweise gesucht. Sorgt der Islamische Staat dafür, dass Assad hoffähig wird?
    Rote Linie verhindert Waffenlieferung an die Opposition
    Al-Mousllie: Ich sage es anders. Die Zurückhaltung der Weltgemeinschaft mit Assad hat dazu geführt, dass Assad auch solche Leute gefördert hat wie die IS, und die IS ist stärker geworden. Man hat nicht direkt gegen sie interveniert. Man hat auch sogar die moderate Opposition in Syrien geschwächt, indem man einfach denen nicht zugelassen hat, dass die auch die notwendigen Waffen beziehungsweise notwendige Unterstützung bekommen hat. Wir haben schon immer den Amerikanern gesagt, wir wollen nicht, dass ihr Waffen liefert, aber bitte stellt das rote Licht ab, das eigentlich dagegen spricht. Das heißt, wir werden schon wissen, wie wir das machen in Syrien mit den Unterstützern Syriens, Türkei und vielleicht die anderen Länder. Aber leider Gottes gibt es nach wie vor eine rote Linie seitens der CIA und seitens der amerikanischen Regierung, die verhindert, dass die notwendigen Waffen an die Opposition kommen.
    Meurer: In Deutschland gibt es ja nicht allzu viele, die für Waffenlieferungen an die syrische Opposition sind. Was sagen Sie denen, die argumentieren, bloß nicht noch mehr Waffen in Syrien?
    Al-Mousllie: Dann sage ich denen, bitte begebt euch nach Syrien und stellt euch neben die Zivilisten dort und versucht mal, einen Tag dort zu leben. Wenn ihr das schafft, dann könnte ich auch auf eurer Seite sein.
    Meurer: Wie holen Sie sich Ihre Informationen? Sie leben ja in Braunschweig, Herr Al-Mousllie. Wie holen Sie sich Ihre Informationen aus Syrien? Kann man da noch hintelefonieren, Mails schicken? Wie machen Sie das?
    Al-Mousllie: Wir haben verschiedene, sage ich mal, Mittel, mit denen wir auch reden. Das ist übers Internet, mit manchen können wir auch telefonieren in den befreiten Gebieten. Wir haben Freunde und wir haben auch Aktivisten und natürlich auch Familie. Viele von unseren Freunden und Aktivisten haben ihre Familien noch da unten, die auch keinen anderen Ort haben, wo sie hingehen. Das heißt, die Menschen sitzen da fest und letztendlich gibt es auch Leute, die gar nicht mehr rausgehen wollen, weil sie sehen und sagen: Wohin soll ich gehen, das ist einfach mein Land, ich werde dort bleiben und ich werde mich auch nicht vertreiben lassen, weder von Assad noch von IS.
    Meurer: Wenn Sie sich austauschen mit Freunden, Verwandten, mit Mitstreitern, was sagen die dazu, dass hier im Westen vor allen Dingen die Terrormiliz Islamischer Staat sozusagen der große Feind ist und Assad vielleicht in einem anderen Licht gesehen wird?
    " ... glaubt man sowieso nicht mehr an eine Unterstützung von der Weltgemeinschaft"
    Al-Mousllie: Ja, die sind massiv enttäuscht natürlich von der gesamten Weltgemeinschaft, weil sie sehen: Wissen Sie, als damals von dem Giftgas und von den chemischen Waffen gesprochen worden ist, hat man gesagt, Assad wird irgendwann seine Waffen abgeben müssen. Dann hat man nur über die chemischen Waffen gesprochen und mehr oder weniger gesagt, okay, Assad darf weiter töten mit konventionellen Waffen, und das seit zwei Jahren. Das geht dann noch weiter und heutzutage glaubt man sowieso nicht mehr an eine Unterstützung von der Weltgemeinschaft. Man versucht, selbst zu überleben. Man versucht, selbst seine Chancen auszurechnen. Die IS ist auf dem Boden der Tatsachen in Syrien. Für die Menschen spielt sie sekundär nur eine Rolle, denn in den Orten, wo IS nicht gerade da ist, interessieren die Menschen sich nicht dafür.
    Meurer: Was sagen Sie zu einer Meldung wie zum Beispiel von heute? Amnesty International sagt, wir wissen, dass das Assad-Regime mit der Luftwaffe Rakka angegriffen hat, Hauptsitz des IS, und dabei aus der Luft Fassbomben abgeworfen hat mit vielen Toten in der Zivilbevölkerung.
    Al-Mousllie: Das ist der beste Beweis dafür, dass das Problem nach wie vor bei Assad liegt und das Problem nach wie vor ist, dass wir Assad so lange schalten und walten ließen und er so weit gekommen ist. Gestern wurde zum Beispiel auch Sermin in Idlib angegriffen mit Chlorgas, wir haben über 120 Verletzte, wir haben schlimmste Bilder jetzt aus Idlib bekommen. Sie werden sie wahrscheinlich morgen oder heute schon auch im Internet finden. Es ist eine unglaubliche Misere, die da kommt, und das direkt nachdem Herr Kerry so ein Statement gibt. Das ist nach dem Motto, wir legitimieren Assad mehr oder weniger und das kriegt Assad als eine Botschaft, und dann kommt die Antwort direkt aus Sermin.
    Meurer: Sadiqu Al-Mousllie, Vertreter der syrischen Opposition in Deutschland, warnt vor Kontakten mit Assad oder dem Assad-Regime. Danke, Herr Al-Mousllie, auf Wiederhören nach Braunschweig.
    Al-Mousllie: Bitte schön, Herr Meurer.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.