Dienstag, 19. März 2024

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SZ-Journalist Johan Schloemann
"Die Demokratie hat eine offene Flanke zur Demagogie"

Freie Rede ist wichtig für die Demokratie, aber gleichzeitig eine Gefahr, sagte der Kulturjournalist Johan Schloemann. So sei etwa Hitler ein glänzender freier Redner gewesen. Im Dlf sprach Schloemann über das schwierige Abhängigkeitsverhältnis einer Staatsform zum gesprochenen Wort.

Johan Schloemann im Gespräch mit Michael Köhler | 13.10.2019
Eine Frau sitzt auf einem Sofa und liest die Zeitung "The Daily Fake News".
"Die freie Rede ist nicht als solche gut, aber die Demokratie braucht sie", sagte der Kulturjournalist Johan Schloemann (Unsplash / rawpixel)
"Wenn in der Demokratie jemand die Stimme erhebt, entsteht eine komische Spannung", sagte der Kulturjournalist Johan Schloemann, Redakteur bei der "Süddeutschen Zeitung" und Autor eines Buchs über "Die Kunst der freien Rede", im Dlf. Denn einerseits sei die Erwartung an die rhetorische Qualität der Rede hoch, andererseits bestehe aber auch der Wunsch nach Authentizität. Dem als Redner gerecht zu werden, sei eine hohe Herausforderung.
Doch die Spontaneität der freien Rede gehöre zur Demokratie. In Systemen, in denen Meinungsfreiheit eingeschränkt sei, sei in der Folge auch immer die spontane Rede unmöglich.
Ganz viel schreiben, denken, lesen
Freie Rede entstehe jedoch nicht ohne Vorlauf einfach im Affekt. Es gebe immer Material aus der Vergangenheit, auf das dann zurückgegriffen werde. Es gehe also nicht um blitzartige Eingebungen.
"Um überhaupt frei reden zu können, müssen wir ganz viel schreiben, denken, lesen und uns dann aber eben auch davon lösen", sagte Schloemann. Die Crux dabei sei nun, wie weit man sich das in der Redesituation traue.
So wichtig das für Demokratie sei, so gefährlich könne es dennoch auch werden. So sei Adolf Hitler beispielsweise ein glänzender freier Redner gewesen. Der dafür auch viel trainiert habe.
"Die Demokratie hat eine offene Flanke zur Demagogie", sagte Schloemann. Da könne man nur mit rhetorischer Kraft dagegen halten. Denn: "Die freie Rede ist nicht als solche gut, aber die Demokratie braucht sie."
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.