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Tagung an der Frankfurter Universität
Für mehr Praxis im Studium

Hochschulen hätten eine andere Funktion, als sie früher hatten, sagte Tanja Brühl, Vizepräsidentin der Universität Frankfurt, im Dlf. Inzwischen müssten sie den Studenten auch eine Beschäftigungsfähigkeit vermitteln.

Tanja Brühl im Gespräch mit Jörg Biesler | 28.11.2017
    Studenten an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen verfolgen eine Vorlesung im Fach Maschinenbau.
    In den Hörsaal oder lieber schnell ins Praktikum? Auf der Tagung wird sich darüber gestritten. (picture-alliance / dpa / Oliver Berg)
    Jörg Biesler: Der Praxisbezug, die Berufsfeldorientierung, die werden mittlerweile im gesamten Bildungssystem eingefordert, natürlich auch im Studium. Gerade hat der Hochschulbildungsreport des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft festgestellt, dass in Sachen Praxis salopp gesagt noch Luft nach oben ist. Andererseits gibt es auch Widerstand gegen eine stärkere Orientierung der wissenschaftlichen Ausbildung an der späteren beruflichen Praxis, denn als bloße Berufsausbilder sehen sich die Hochschulen natürlich nicht. Heute wird diskutiert in diesem Spannungsfeld, auf Einladung der Hochschulrektorenkonferenz und der Universität Frankfurt. Professor Dr. Tanja Brühl ist Vizepräsidentin der Uni und die Gastgeberin. Guten Tag, Frau Brühl!
    Tanja Brühl: Schönen guten Tag!
    Biesler: Praxisbezug ist ja mittlerweile in vielen Studiengängen ganz selbstverständlich. Vonseiten der Arbeitgeber kann das eigentlich gar nicht genug sein, das zeigt sich eben auch im Hochschulbildungsreport. Aber das sind natürlich vor allen Dingen bestimmte Fächer, die da im Blick sind, die Ingenieur- und Technikwissenschaften zum Beispiel. Das kann man auch differenzierter sehen, oder?
    Brühl: Ja, und ich würde es auch gern differenzierter sehen, denn zum einen müssen wir sehen, wir haben unterschiedliche Studiengänge, um die es geht. Wir haben sowieso sehr klar professionsorientierte Studiengänge, die Medizin, Jura, das Lehramt, bei denen ganz klar ist, auf was es hinausläuft. Ähnlich ist es wahrscheinlich sogar bei Studiengängen wie BWL und Ingenieure. Aber spannend ist es ja für Studiengänge, die keine konkrete Berufsorientierung, Berufsbezeichnung haben. Was ist also mit den Geistes-, mit den Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftlern, mit den Naturwissenschaften? Und an der Stelle finde ich es spannend, nachzudenken, welche Funktion kann und soll Praxis haben in einem Studium.
    "Berufsfeldorientierung ist ja nur ein sehr kleiner Teil"
    Biesler: Und das tun Sie heute auf der Tagung. Gerade eben im Programm ging es um einen Dialog mit offener Aussprache. Das klingt so, als ob es da tatsächlich Aussprachebedarf gibt und die Meinungen auseinandergehen. Wie war denn diese Aussprache?
    Brühl: Es gibt tatsächlich eine Bandbreite. Das ist ja das Schöne an Hochschulen, wir streiten ja gern inhaltlich. Wobei der Streit gar nicht so um die Frage geht, ob Praxis irgendeine Rolle spielen sollte. Und hier würde ich auch sehr gern unterscheiden noch mal. Berufsfeldorientierung ist ja nur ein sehr kleiner Teil. Ich kann mir ja auch Gedanken machen über Praxisbezüge im Studium im Sinne von Service Learning, also dass an Hochschulen Dinge gelernt und gelehrt werden, die etwas mit der Gesellschaft zu tun haben, dass aber nicht einfach wir Studierende zum Beispiel in Schulen schicken, damit sie noch mal im Erwerb der deutschen Rechtschreibung helfen, sondern zunächst unsere Studierenden schulen, welche Fördermöglichkeiten es für Rechtschreibschwächen gibt und was man tun kann, und das Ganze und die Praxiserfahrungen reflektieren. Solche Formen von Praxisbezügen ist ja noch mal was anderes als die Berufsorientierung, und es ist noch mal was anderes als ein Praktikum, bei dem man für einige Wochen in den Berufsalltag mal hinein zuschnuppern versucht. Und ich glaube, es geht vor allem darum, und das war auch der Streitpunkt jetzt, wie viel von welchem soll es denn sein, wenn ich das auch salopp formulieren darf. Denn eine Berufsfeldorientierung, denke ich persönlich, ist etwas schwierig, wenn wir die an den Hochschulen leisten wollen in einem Arbeitsmarkt, der sich ja ganz extrem und schnell verändert.
    Was kann und was will man leisten?
    Biesler: Wenn wir jetzt mal diejenigen an den Hochschulen vielleicht ignorieren, die sagen, ach, das ist unter meiner Würde, der Praxisbezug, damit will ich mich gar nicht beschäftigen, dann gibt es ja doch aber auch ernstzunehmendere Kritik, die sagt, wir müssen schon so viel Praxisbezug im Augenblick leisten oder haben jedenfalls das Gefühl, dass die eigentlichen Kerne der Disziplin möglicherweise darunter leiden. Also, wenn man die Disziplin weiterentwickeln will, dann muss man sich eben auch mit der Geschichte der Disziplin beschäftigen, mit den Methoden. All das ist eher theoretisches Wissen. Aber dazwischen einen Ausgleich zu finden, ist wahrscheinlich schwierig, weil das Material immer mehr wird, das vermittelt werden muss.
    Brühl: Auch das wurde genau eben diskutiert, und zwar, wenn wir strikte und knappe Regelstudienzeiten haben, wie es hier in Hessen im Lehramt, im Bereich Grundschullehramt und Hauptschullehramt der Fall ist mit sechs Semestern, und dann sagen, die Studierenden sollen ein Semester in die Praxis gehen, dann bleiben nur noch fünf Semester übrig, und dann muss man sich schon fragen, was kann in dieser kurzen Zeit erlernt werden vonseiten der Studierenden in Zeiten, in denen es eigentlich um Inklusion, Digitalisierung und andere große Themen geht, die die Studierenden ja auch noch irgendwo erwerben sollen, bevor sie in die Schulen gehen. Wir müssen hier sehr nach Studiengängen schauen. Wir hatten ein Beispiel hier, der Frankfurter Filmwissenschaften, bei denen es einen Studiengang gibt, in dem ein ganzes Semester mit Praxispartnern zusammen gearbeitet wird. Das ist für andere Studiengänge gar nicht denkbar und auch nicht wünschbar. Eine der Empfehlungen der Hochschulrektorenkonferenz ist, im Dialog Dinge zu entwickeln, und ich glaube, dass das der Weg ist, mit dem wir weiterkommen, dass wir im Dialog mit den Lehrenden, mit den Studierenden schauen, was sind die Bedürfnisse, was kann und was will man leisten an der Stelle.
    Biesler: Das machen Sie heute Nachmittag, da diskutieren Sie nämlich in den Disziplinen. Die Frage ist ja, soll daraus quasi eine Handreichung werden, Praxisanteile zu bestimmen mit bestimmten Kriterien oder so, die dann auch an die einzelnen Hochschulen weitergegeben werden können?
    Brühl: Klar. Unser Anspruch ist jetzt erst mal, dass wir heute den Aufbau auf Empfehlungen, die es ja schon gibt, noch mal überlegen, wie können wir das konkretisieren und was können die rund 200 Teilnehmenden der Konferenz mitnehmen in die eigenen Hochschulen, um dort umzusetzen, wie man Praxis besser integrieren kann, Praxis in den verschiedenen Dimensionen, die ich eben zu skizzieren versucht habe.
    Noch müsse bei einigen Hochschullehrern Überzeugungsarbeitet geleistet werden
    Biesler: Ein Thema, das Ihnen noch eine Zeit lang erhalten bleiben wird wahrscheinlich.
    Brühl: Oh ja, klar. Es gab auch eine schöne Anmerkung auf dem Podium eben von Herrn Schubert von der Universität Potsdam, dass fast alle gesellschaftlichen Akteure sich einig sind, dass es mehr Praxis geben muss. Die sogenannte Wirtschaft, die ja auch ein sehr vielfältiger Bereich ist, die Studierenden, das wissen wir aus unseren eigenen Studierendenbefragungen, wünschen sich mehr Praxis. Die einzigen, die sich dagegen stellen, sind einige Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer, und ich glaube, hier müssen wir einfach noch mal Überzeugungsarbeit leisten, denn Hochschulen haben eine andere Funktion, als sie früher hatten. Ich finde das auch gerechtfertigt angesichts der Tatsache, dass wir in Hessen jetzt 60 Prozent eines Jahrgangs an den Hochschulen haben. Dann ist das Thema Employability, wenn ich dieses Denglisch –
    Biesler: Beschäftigungsfähigkeit.
    Brühl: – genau, Beschäftigungsfähigkeit, was ja im Rahmen von Bologna viel diskutiert und damit auch eingeführt wurde, ist ein Thema, das wir ernst nehmen sollen und müssen. Das ist eine Aufgabe von Hochschulen, nur nicht im Sinne einer kurzfristigen Ausbildung, sondern in der Vermittlung von Fähigkeiten und von Kompetenzen, um langfristig auch einen Beitrag zur Gesellschaft leisten zu können.
    Biesler: Schwieriges Feld, Wissenschaft und Praxis unter einen Hut zu bekommen. Die Hochschulen versuchen es anhaltend und diskutieren heute darüber, wie es am besten funktionieren kann. Professor Tanja Brühl war das, Vizepräsidentin der Universität Frankfurt, zur Tagung "Praxisbezüge und Praktika im Studium". Danke schön!
    Brühl: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.