Dienstag, 16. April 2024

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Tarifstreit öffentlicher Dienst
ver.di hofft auf einen Durchbruch

Angesichts der guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sei ein kräftiger Sprung in den mittleren und unteren Entgeltgruppen im öffentlichen Dienst nötig, sagte Frank Bsirske, Vorsitzender von ver.di, im Dlf. Bei einem Scheitern der dritten Tarifrunde würden die Streiks ausgeweitet.

Frank Bsirske im Gespräch mit Peter Sawicki | 14.04.2018
    Potsdam: Kurz vor der Fortsetzung der zweiten Runde der Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst gibt Verdi-Vorsitzender Frank Bsirske ein Interview.
    Fortsetzung der Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst (Ralf Hirschberger/dpa)
    Peter Sawicki: Kitas, der öffentliche Nahverkehr oder die Müllabfuhr, sie alle wurden zuletzt bestreikt, mit großen Einschränkungen für Millionen Menschen hierzulande. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di will den Druck auf die Arbeitgeber erhöhen, sechs Prozent mehr Geld und 200 Euro mehr im Monat fordert sie. Morgen startet die dritte Verhandlungsrunde im öffentlichen Dienst. Die Frage lautet: Kommt eine Einigung oder geht der Konflikt dann so richtig los?
    - Darüber können wir jetzt mit einem direkt Beteiligten sprechen, mit Frank Bsirske, dem Vorsitzenden von ver.di. Schönen guten Morgen!
    Frank Bsirske: Ja, guten Morgen!
    Sawicki: Kommt ab morgen der Durchbruch?
    Bsirske: Ich will es hoffen! Die ersten Signale, die wir jetzt im Laufe der Woche haben aufnehmen können, machen auch Hoffnung, dass auch die Arbeitgeberseite daran interessiert ist, einen solchen Durchbruch zu erzielen. Und wir wollen von unserer Seite gerne dazu betragen. Und das ist ja auch das, was aus den Betrieben und Verwaltungen heraus erwartet wird, wo sich jetzt vor und nach Ostern 220.000 Kolleginnen und Kollegen an den Warnstreiks beteiligt haben. Ich denke, ein klares, ein starkes Signal dafür, dass eine Einigung erwartet wird jetzt in der dritten Verhandlungsrunde.
    Sawicki: Sie sagen, Sie möchten sich auch beteiligen, einen Beitrag leisten zu den Gesprächen. Wie soll der aussehen?
    Bsirske: Na ja, natürlich steht am Ende ein Kompromiss, beide Seiten müssen aufeinander zugehen, beide Seiten müssen sich in dem, was dann das Verhandlungsergebnis sein wird, auch wiederfinden. Und das hat bisher noch nicht so richtig geklappt, weil wir ...
    Sawicki: Warum?
    "Attraktivität des öffentlichen Dienstes stärken"
    Bsirske: ... daran interessiert sind, einerseits natürlich die Attraktivität des öffentlichen Dienstes im Wettbewerb um qualifizierten Nachwuchs und Fachkräfte zu stärken. Und da ist in der Tat die Differenz auf die Löhne in der Privatwirtschaft in den höheren Entgeltgruppen noch stärker ausgeprägt als unten. Wir aber auf der anderen Seite auch angesichts der guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen einen kräftigen Sprung nach oben in den mittleren und unteren Entgeltgruppen brauchen, und das geht mit einem reinen Prozentabschluss nicht, deshalb hatten und haben wir diese Mindestbetragsforderung aufgestellt. Und mit der wollten sich die Arbeitgeber sozusagen nicht abfinden. Das ist die Problemlage auch vor der dritten Verhandlungsrunde. Und am Ende müssen wir gucken, dass wir die verschiedenen Aspekte unter einen Hut bringen. Mit einer intelligenten und auch fantasievollen Herangehensweise sollte uns das eigentlich gelingen, ich hoffe es jedenfalls sehr.
    Sawicki: Wie weit reicht Ihre Fantasie, wenn Sie das mal konkretisieren könnten?
    Bsirske: Na ja, wir müssen gucken, dass wir beiden Aspekten Rechnung tragen. Die Attraktivität des öffentlichen Dienstes auch im Bereich der hohen Vergütungsgruppen ist zu verbessern, auch da gilt es, die Attraktivität des öffentlichen Dienstes zu stärken. Aber nicht zu dem Preis, dass es nicht auch unten und in den mittleren Entgeltgruppen zu einem kräftigen Sprung nach oben kommt. Und wie wir das unter einen Hut kriegen, das ist die Herausforderung, vor der wir Anfang der Woche und jetzt am Sonntag stehen werden.
    Sawicki: Nun gab es verschiedene Berichte, unter anderem auch vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, wonach die Tarifsteigerungen im öffentlichen Dienst seit 2008 überdurchschnittlich hoch waren im Vergleich zu anderen Branchen. Sind Ihre Forderungen überhöht?
    Abstand "nicht noch größer werden lassen"
    Bsirske: Das Interessante ist, welches Ausgangsjahr man zugrunde legt. Wir haben 2005 die tiefste Finanzkrise der öffentlichen Haushalte seit 1949 gehabt und haben dem Rechnung getragen in sehr, sehr, sehr zurückhaltenden Abschlüssen. Es hat ja drei Jahre nur Einmalbeträge gegeben. Der Abstand auf die Privatwirtschaft und das, was da an Tariflohnentwicklung sich abgespielt hat, war gerade in dieser Zeitspanne extrem groß. Und es ist uns gelungen, dann nach 2008 diesen Abstand, der heute immer noch bei ungefähr vier Prozent liegt, auf die Tariflohnentwicklung im Durchschnitt der Gesamtwirtschaft zu verkürzen, aber er ist nach wie vor da. Unser Ziel ist, ihn nicht wieder größer werden zu lassen, sondern ihn weiter schrumpfen zu lassen, das genau ist das Anliegen. Und das wird mit dem, was das Institut der deutschen Wirtschaft als Ausgangsjahr zugrunde legt, im Grunde verschleiert. Es ist so mit Statistiken, man muss seine eigene Statistik frisieren, das macht das Institut der deutschen Wirtschaft, der Name ist Programm, aber das wird der Realität, wie wir sie jetzt abgebildet sehen, nicht gerecht.
    Sawicki: Ganz kurz noch, Herr Bsirske, zum Abschluss, wenn die Gespräche scheitern, kommen dann noch weitere Streiks?
    Bsirske: Na ja, wenn sie scheitern, dann bedeutet das ja, dass die Arbeitgeberseite auf Konfrontationskurs setzt. Und wenn ein Konflikt eskaliert, eine solche Konflikteskalation werden wir annehmen müssen, das ist gar keine Frage, und darauf wird dann auch mit einer Ausweitung der Streiks oder dann mit einer Urabstimmung reagiert werden. Aber ich hoffe sehr, dass es dazu nicht kommt und dass es uns gelingt, zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen.
    Sawicki: Danke, Herr Bsirske, wir müssen in die Nachrichten rein, vielen Dank!
    Bsirske: Okay!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.