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Technologie
Eine App gegen Depressionen

Die App Deprix soll gegen Depressionen helfen. Wissenschaftler aus Deutschland und der Schweiz bewerten das Programm positiv. Auch Nutzer äußerten sich begeistert. Die App hat allerdings auch ihre Grenzen - nicht nur wegen der Kosten von 300 Euro.

Von Astrid Wulf | 30.11.2016
    Leerer Blick: Eine Frau schaut durch ein verregnetes Fenster.
    Depression bye bye via App? Die Nutzer von Deprix lernen, achtsamer zu sein, ihre Bedürfnisse besser zu befriedigen und mit negativen Gedanken umzugehen. (imago/blickwinkel)
    "Einatmen ... langsam und ruhig ... die Luft halten ... und ganz langsam wieder ausatmen. Und nun stellen sie sich folgenden Gedanken vor: Ich vergebe."
    Vergeben – gar nicht so einfach, wenn man depressiv ist, weil zum Beispiel die Eltern jahrelang auf einem rumgehackt haben. Vergebung hilft aber gegen Depressionen und ist deswegen auch einer der Inhalte des internetbasierten Programms Deprexis. Es funktioniert so ähnlich wie ein Multiple Choice Test. Antworte ich auf die Frage, ob ich in meiner Kindheit oder Jugend schlecht behandelt wurde, mit "Ja", kann ich ähnlich wie bei einem Workshop zum Thema Vergebung lesen, und es wird die oben genannte Meditationsübung vorgeschlagen.
    "Achten Sie mal darauf, welche Gedanken und Gefühle sich jetzt melden."
    500 Depressive hatten Zugang zum Programm
    Studien über solche Depressionsprogramme gibt es bereits – sie basierten bisher allerdings nur auf Nutzeraussagen. Jetzt haben Ärzte und Psychologen 1.000 Depressive mit leichten und mittelschweren Symptomen über ein Jahr intensiv begleitet. Sie haben getan, was Depressive im Normalfall so tun: Sie haben sich in Psychotherapie begeben, waren auf einer Warteliste für eine Therapie, haben sich Medikamente verschreiben lassen oder auch gar nichts unternommen. 500 von ihnen hatten zusätzlich Zugang zum Internetprogramm. Das Ergebnis: Diejenigen, die das Programm nutzen konnten, fühlten sich schneller wieder besser. Für Studienkoordinator Philipp Klein, Psychiater an der Uni Lübeck ist das Programm somit eine gute Maßnahme für schnelle Selbsthilfe – gerade für die Depressiven, die auf eine Behandlung warten oder für die eine Therapie gar nicht in Frage kommt, und dafür kann es viele Gründe geben:
    "Ein Grund ist, dass einige Leute nicht so gern auf fremde Hilfe angewiesen sind. Dass die ihre Probleme lieber selber bewältigen möchten. Ein anderer Grund ist natürlich die Angst vor Stigmatisierung oder weil eine Behandlung zu weit weg ist, ich auf dem Land lebe oder berufstätig bin und deshalb nicht zu den üblichen Zeiten zum Therapeuten gehen kann."
    Kathrin Bolte aus Peine litt rund zwei Jahre unter einem Burnout, war kraftlos und konnte sich über nichts mehr freuen. Eine ambulante Therapie hatte ihre gar nichts gebracht sagt sie, dank des Programms kam sie jedoch wieder auf die Beine. Mindestens einmal die Woche hat sie sich für je etwa eine Stunde mit ihrem PC beschäftigt, erzählt sie im Skype-Interview:
    "Komischerweise war es nie schwer, mich zu motivieren, mit der App zu arbeiten. Zum einen hat sie sich nie beschwert, wenn ich nachmittags um fünf immer noch im Schlafanzug rumhing, das war ein Riesenvorteil. Auf der anderen Seite war sie auch so spannend aufgebaut, dass man richtiggehend neugierig auf die nächsten Inhalte war."
    Bewährte Fertigkeiten aus der klassischen Psychotherapie
    Die Nutzer lernen, achtsamer zu sein, ihre Bedürfnisse besser zu befriedigen und mit negativen Gedanken umzugehen – bewährte Fertigkeiten aus der klassischen Psychotherapie. Comicartige Zeichnungen und die warme, persönliche Ansprache sorgen dafür, dass es sich nicht kalt und technisch anfühlt. Klicke ich beim Stimmungscheck am Anfang an, dass ich Selbstmordgedanken habe, wird mir empfohlen, mir professionelle Hilfe zu suchen – hier hat das Programm seine Grenzen. Jan-Philipp Klein hat auch Rückmeldungen von Patienten bekommen, die mit der standardisierten Programmierung nicht so viel anfangen konnten.
    "Es gibt schon Nutzer die sagen, die merken, dass an einem bestimmten Punkt der Intervention dieselben Inhalte immer wieder kommen. Und das kann für Menschen gut sein, dass dieselben Sachen wiederkommen, weil ich will ja auch Fertigkeiten trainieren, um meine Depression zu bewältigen, es kann aber eben auch als frustrierend empfunden werden."
    "Die App hat mein Leben auf den Kopf gestellt"
    Ein Hamburger Unternehmen hat das Programm entwickelt, nicht alle Krankenkassen übernehmen die knapp 300 Euro für den nötigen Zugangscode. Psychiater Klein beklagt, dass solche Programme ihren Platz im Gesundheitssystem noch nicht gefunden haben, auch wenn ihre Wirksamkeit bewiesen ist.
    "So eine Form der Therapieempfehlung wäre in anderen Bereichen der Medizin undenkbar – dass ich ein bestimmtes Medikament nur geben kann, wer in Krankenkasse X versichert ist, wenn man in Krankenkasse Y versichert ist, muss man ein anderes Medikament geben – da muss noch ein bisschen was passieren."
    Kathrin Bolte ist heute wieder gesund – auch dank des Depressionsprogramms, sagt sie. Was sie gelernt hat, wendet sie immer noch an, zum Beispiel Entspannungsübungen, um in stressigen Situationen runterzukommen. Das Programm war für sie ein echter Glücksfall:
    "Ich würde sogar soweit gehen und sagen, dass die App mein Leben total auf den Kopf gestellt hat – und die Welt sieht andersrum einfach viel besser aus."