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Tempolimit
Bremsen statt fasten

Die Evangelische Kirche Mitteldeutschland wirbt in der Fastenzeit für eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf Autobahnen. Eine entsprechende Petition soll an den Bundestag gehen. Kritiker fragen sich, was ein Tempolimit mit Theologie zu tun hat.

Von Henry Bernhard | 07.03.2019
Unterschriften für ein Tempolimit - umstrittene Fastenaktion der Evangelische Kirche Mitteldeutschland
Unterschriften für ein Tempolimit - umstrittene Fastenaktion der Evangelische Kirche Mitteldeutschland (imago stock&people)
50.000 Unterschriften für Tempo 130 auf den deutschen Autobahnen will die Evangelische Kirche Mitteldeutschland zusammenbringen. Dann muss sich der Petitionsausschuss des Bundestags in einer öffentlichen Anhörung mit dem Thema beschäftigen. Für die 50.000 Unterschriften haben die Initiatoren nur vier Wochen, also nicht mal bis Ostern, Zeit - und dennoch ist das ihre Fastenaktion in diesem Jahr, wie Christian Fuhrmann, Gemeindedezernent der EKM, erläutert:
"Engagement für Frieden, Gerechtigkeit und Schöpfung - das prägt unsere Kirche seit langer Zeit. Seit den 80er Jahren sind das Schwerpunkte in unserem Engagement. Und deswegen ist es sehr gut, dass wir im Sommer und im Herbst letzten Jahres viele Gespräche hatten, dass uns Menschen gefragt haben: Nun sagt doch mal, liebe Kirche, was denkt ihr euch eigentlich angesichts der nun wirklich greifbareren Veränderungen unseres Klimas? Ihr habt euch doch schon tief in DDR-Zeit für Schöpfungsbewahrung eingesetzt! Was ist heute dran, was macht ihr?"
Die Verminderung des CO2-Ausstoßes, weniger Feinstaub, weniger Lärm, weniger tödliche Unfälle, weniger Stress beim Autofahren erhoffen sie sich von einem Tempolimit, wie es in der ganzen Welt üblich ist.
"Was sind wir eigentlich bereit zu opfern? Das ist eine spannende Frage; hat ja auch theologische interessante Aspekte. Hier geht es zuallererst um die Frage des Klimawandels, des Lebenswandels, um diesen kleinen Beitrag. Und uns geht es um die Debatte in der Gesellschaft! Wir brauchen nicht diese Politik: Die da oben machen das Eine, wir da unten denken das Andere, sondern dass es eine offene Bundestagsdebatte mit dieser Petition gibt. Es geht wie immer, wenn wir Fastenzeiten begehen, um den Impuls: Können wir anders leben, damit diese Welt auch für unsere Kinder und Enkelkinder eine lebenswerte, eine gute Welt ist?"
Ein Tempo 30 Schild steht in der Leipziger Straße. Fünf Wochen nach Beginn des umstrittenen Berliner Tempo-30-Modellversuchs will die Polizei kontrollieren, ob das Tempolimit auf der Leipziger Straße eingehalten wird.
Tempolimit 30 in der Leipziger Straße in Berlin (dpa/picture alliance/ Britta Pedersen)
"Fastenzeit von der Theologie"
Die Debatte im Landeskirchenrat um diese eher weltliche Fastenaktion verlief nicht einmütig. Auch Rickleff Münnich, Pfarrer im Ruhestand, lebt in Erfurt und findet den bewußten Verzicht auf das Autofahren und auch Tempo 130 auf der Autobahn durchaus sinnvoll. Aber er lehnt die aktuelle Fastenaktion der mitteldeutschen und anderer Gliedkirchen ab:
"Sosehr die Ziele richtig sind: Wir müssen gucken, dass wir verantwortungsbewusst mit der Schöpfung umgehen, und es ist auch richtig, langsamer auf der Autobahn zu fahren, aber das ist nicht das, was Christinnen und Christen beschäftigen sollte und schon gar nicht, was Kirchen verlautbaren sollten! Und mir fehlt eigentlich der theologische Hintergrund! Wie ich überhaupt meine, dass die Kirchen im Augenblick dabei sind, mehr und mehr Theologieverzicht zu üben, fast so eine Fastenzeit von Theologie haben, auf jeden Fall mit diesen Themen! Das geht ja bis ins Sprachliche: Wir reden davon, dass wir Klimasünder sind, dass wir Umweltsünder sind! Dieser Sündenbegriff ist eigentlich einer, der auf Gott ausgerichtet ist!"
Fastenzeit eher zum Nachdenken und Umkehr
Ohne Bezug zur Schrift, auf Jesus, sei das Fasten keine Vorbereitung auf die höchsten christlichen Feiertage, meint Münnich. In der Fastenzeit erwarte er gar keinen Verzicht, sondern eher Nachdenken und Umkehr.
"Die Christen sagen: Jesus Christus hat eigentlich von uns die Aufgabe genommen, uns selbst und die Welt zu erlösen. Und für mich ist die Klima- und Umweltdiskussion fast eine neue Leistungsreligion. Wir haben bestimmte Dinge zu tun, um die Welt zu retten! Und das heißt: Wir sind jetzt diejenigen, die Retter sind! Und da spielen auch Jesus und Gott keine Rolle mehr! Ich muss es zumindest in Beziehung setzen zu dem Retter, der sich an Ostern als solcher erwiesen hat und erweisen wird - in meinem Leben und für die Welt überhaupt."
Eine Scheibe Brot und ein Glas Wasser stehen auf einem Tisch.
Bei der Fastenzeit geht es nicht nur um Verzicht (imago/Streiflicht-Pressefoto)
Christian Fuhrmann von der EKM kennt diese Einwände, kann sie aber nur schwer nachvollziehen.
"Erstens halte ich es für ziemlich kompliziert, immer zu sagen: Das sind die Spezialisten - denen steht das zu -; und das sind die - die sollen sich mal um ihr Eigenes kümmern! Was ist das Eigene? Da wird mir erst mal als Christ vorgeschrieben, was Religion bedeutet und was ich machen darf. Das halte ich für ziemlich schwierig. Zweitens: Wir sind ein weltanschaulich freier Staat; und dieser Staat lebt davon, dass unterschiedliche Weltanschauungen, unterschiedliche Religionen diese Gesellschaft gestalten. Und die kann es nur gestalten, wenn es um konkrete Lebensgestaltung geht, das kann nicht in der Theorie bleiben!"
Kerngeschäft der Kirche?
Auch Laien kritisieren Kirchen, die sich in ihren Augen zu sehr dem Weltlichen widmen und ihr "Kerngeschäft" vernachlässigen, sich mit Dingen befassen, für die sie eher andere zuständig sehen. So empfindet es auch Clarsen Ratz, der katholische Sprecher der "liberalen Christen" in Thüringen. Denn auch einige katholische Bistümer unterstützen die Tempo 130-Petition der EKM.
"Erleben wir nicht wieder zunehmend, dass sich Kirche und Staat so aufeinander zubewegen, dass sie nicht mehr unterscheidbar sind? Gibt sich quasi die Kirche selbst im Staatsdirigismus auf in unseren Tagen? Dann merke ich: Die Kirche entrückt von ihrem christlichen Volk, der Staat entrückt von seiner Gesellschaft. Und ich so, als Kind der DDR, fühle mich irgendwie in '87/'88 zurückversetzt. Und davor graut mir! Sind wir wieder in einer Phase, wo wir Widerstand leisten müssen, um die Unterscheidbarkeit herauszuheben?"
Hier mündet die Frage nach dem Tempolimit in die grundsätzlichere nach den Dingen, die des Kaisers und denen, die Gottes sind. Christian Fuhrmann sieht da eine klare Verbindung. "Ich gehe davon aus, dass der christliche Glaube schwere Auswirkungen auf meine Weltgestaltung hat. Und da werde ich mich als Christ einbringen."
Rickleff Münnich ist eher für eine klare Unterscheidung: "Es ist ja nichts spezifisch Christliches! Wo ist ein gesellschaftliches Engagement heute vielleicht wichtig und dran, was nicht billig ist, wo ich keinen Beifall für kriege, sondern, wo ich vielleicht auch Widerspruch ernte? Jesus ist seinen Weg gegangen als Einzelgänger! Der hatte keine Masse hinter sich. Am Kreuz war er ganz allein. Und das ist eine Frage auf Ostern zu: Wo bin ich gefordert, auch etwas laut zu sagen, ohne mit Wölfen zu heulen?"
Zumindest beim Tempo 130 jedoch kann sich die Evangelische Kirche Mitteldeutschland des Widerspruchs gewiss sein.