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Terrorfinanzierung
Einnahmen durch Schmuggel und gefälschte Turnschuhe

Der Täter von Nizza war der Polizei vorher als Kleinkrimineller aufgefallen - wie schon die Täter auf die Satirezeitschrift "Charlie Hebdo". Nach Recherchen der ARD erhalten solche Einzeltäter keine Überweisungen von Terrornetzwerken. Sie finanzieren sich selbst.

Von Sabina Wolf und Wolfgang Kerler | 18.07.2016
    Zollbeamte überwachen am 10.05.2016 in Hamburg die Vernichtung von mehreren zehntausend gefälschten Turnschuhen.
    Der "Charlie Hebdo"-Attentäter Chérif Kouachi soll mit dem Verkauf von gefälschten Turnschuhen sein Vorhaben finanziert haben. (picture alliance/ dpa/ Christian Charisius)
    Ein riesiger Flohmarkt im Norden von Paris. Zwischen den Ständen mit Antiquitäten oder alten Büchern verkaufen Händler auch gefälschte Markenprodukte: Taschen, T-Shirts oder Sportschuhe. Fragt man, ob es sich um Originale handelt, antworten sie ganz offen: Nein, das seien keine Originalprodukte – aber erstklassige Fälschungen.
    Polizei auf dem Markt? Fehlanzeige. Produktpiraterie, also der Verkauf gefälschter Markenartikel, scheint in Frankreich immer noch als Kavaliersdelikt durchzugehen. Dabei verdienen daran nicht nur Kleinkriminelle.
    "Analysieren wir die Anschläge oder Anschlagspläne in Europa der vergangenen Jahre, dann müssen wir feststellen, dass sich die Attentäter selbst finanziert haben. Oft finanzieren sie sich über Schmuggel und Produktpiraterie", sagt der Experte Jean-Charles Brisard vom französischen Terrorismus-Analysezentrum CAT.
    Terror finanziert über Schmuggel und Produktpiraterie
    Ein Beispiel: der Fall "Charlie Hebdo". Dem ARD-Wirtschaftsmagazin Plusminus und BR Recherche liegen Belege für über 30 Transaktionen von Chérif Kouachi vor, einem der Attentäter auf das französische Satiremagazin "Charlie Hebdo" im Januar 2015. Über chinesische Internetportale bestellte Kouachi gefälschte Ware in Fernost, Nike-Turnschuhe zum Beispiel, und ließ diese per Post an verschiedene Adressen in Frankreich liefern. Danach verkaufte er die Fälschungen übers Internet. Und auf dem Flohmarkt im Norden von Paris. Jean-Charles Brisard:
    "Der Verkauf hat im schätzungsweise zwischen 30.000 und 50.000 Euro eingebracht, in rund vier Jahren. Damit konnte er Reisen in den Oman und nach Jemen bezahlen. Und man weiß auch, dass ihm dieses Geld dazu gedient hat, Waffen für das Attentat im Januar 2015 zu kaufen."
    Elf Menschen erschossen Chérif Kouachi und sein Bruder damals kaltblütig.
    Terror finanziert über Schmuggel und Produktpiraterie. Auf diese Verbindung sind Ermittler schon öfter gestoßen. Der Verkauf von Fälschungen ist auch deshalb interessant, da er leicht übers Internet organisiert werden kann und das Entdeckungsrisiko gering ist. Täter die auffliegen kommen meist mit geringen Strafen davon.
    Daher sind für Jochen Schäfer die Behörden gefragt. Er arbeitet für den Weltverband der Sportartikelindustrie und kennt die Verbindung Produktpiraterie – Terror.
    "Es ist erwiesen, dass Terrororganisationen das als Instrument der Finanzierung nutzen. Die Gesetze allein sind es nicht. Wenn die auf dem Papier stehen und nicht angewandt und durchgesetzt werden, nützen die gar nichts."
    Schäfer appelliert auch an die Verbraucher, keine gefälschten Produkte zu kaufen, nur weil sie billiger sind als das Original. Mit ihrem Geld könnte sonst vielleicht der nächste Terroranschlag finanziert werden.