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Terrorgefahr
Der schwierige Umgang mit Dschihad-Rückkehrern

Von desillusioniert bis gewaltbereit: Wer etwa vom IS im Irak oder Syrien zurückkehrt, den wollen die Sicherheitsbehörden vom falschen Weg abbringen. Dazu braucht es viel Fingerspitzengefühl mit jenen, die aussteigen wollen – doch daran scheint es bisweilen zu fehlen.

Von Joseph Röhmel | 24.06.2020
Der Angeklagte Harun P. versteckt am 20.01.2015 in München (Bayern) beim Auftakt im Prozess im Oberlandesgericht sein Gesicht unter einer Kapuze. Der 27 Jahre alte Deutsche soll als Mitglied der Gruppe "Junud Al-Sham" am Terror in Syrien beteiligt gewesen zu sein. Er muss sich wegen gemeinschaftlichen Mordes verantworten. Foto: Sebastian Widmann/dpa | Verwendung weltweit
Harun ringt mit sich und seiner Vergangenheit (picture alliance / dpa / Sebastian Widmann)
Besuch in der Justizvollzugsanstalt im niederbayerischen Straubing. Treffen mit Harun. Ein Mann Anfang 30. Der Münchner war mehrere Monate bei einer Al-Kaida-nahen Terrorgruppe in Syrien. 2015 wurde er in Deutschland zu elf Jahren Haft verurteilt – wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Beihilfe zum versuchten Mord. Unter anderem war er dabei, als das Zentralgefängnis in Aleppo gestürmt wurde.
IS-Kämpfer im Gefängnis Hassake in Syrien
Dschihadisten - Europas Verantwortung nach dem Kalifat
Tausende IS-Kämpfer sitzen in Lagern in Nordsyrien und im Irak und warten auf ihren Prozess – darunter viele aus europäischen Staaten. Ihre Heimatländer wollen sie nicht zurück.
Auf die Frage, ob solch eine Zeit bei der Terrorgruppe Menschen zu Anschlägen in Deutschland inspiriert, sagt Harun selbst: "Die, die radikal sind, könnten dazu tendieren. Keine Frage. Ich war auch ein heißer Kandidat, der darauf tendiert hat und alles. Ich war auch bereit, mich in Syrien in die Luft zu jagen. Nur die Frage ist, ob diese einzelnen Personen auch so radikal sind, dass sie das auch wirklich durchziehen."
Harun ist einer von vielen Rückkehrern, die meist aus den Kriegsgebieten in Syrien oder dem Irak zurückkommen, wo unter anderem der sogenannte Islamische Staat gewütet hat. Ein paar Zahlen der deutschen und europäischen Behörden. Rund 5.000 Männer und Frauen aus ganz Europa sind nach Schätzungen von Europol in den vergangenen Jahren zum sogenannten Islamischen Staat und Al-Kaida-nahen Gruppen ausgereist.
Rückkehrer mit Kampferfahrung
Mehr als 1.000 Ausreisen zählt das Bundeskriminalamt allein aus Deutschland. Mehr als 300 sind wieder zurück. Laut Bundesinnenministerium haben mehr als 100 Rückkehrer Kampferfahrung gesammelt oder zumindest eine terroristische Ausbildung absolviert.
Welche Gefahr diese Rückkehrer hier in Deutschland darstellen, darüber zeichnet das Bundesamt für Verfassungsschutz in seinem Bericht von 2018 ein heterogenes Bild. Es gibt die Desillusionierten, die der Szene den Rücken kehren, genauso aber auch Gewaltbereite mit Kampferfahrung.
In den Bundesländern ist die Situation höchst unterschiedlich. Bayern beispielsweise zählt rund 20 Rückkehrer. Das dortige Innenministerium stellt fest, dass eine Vielzahl dieser Rückkehrer die Szene verlassen hat. Anders in Nordrhein-Westfalen: NRW ist der Salafisten-Hotspot in Deutschland mit 3.200 Szeneangehörigen insgesamt und fast 90 Rückkehrern.
Burkhard Freier, der Leiter des Landesverfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen beantwortet am 10.06.2013 in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) die Fragen von Journalisten bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes NRW.
Burkhard Freier, Leiter des NRW-Verfassungschutzes (dpa / Frederico Gambarini)
Der Chef des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, Burkhard Freier: "Wir gehen davon aus, dass diejenigen, die nicht inhaftiert sind und auch nicht in einem Aussteigerprogramm sind, zu einem ganz großen Teil zurückkehren in die eigenen Szenen. Wenn Rückkehrer hier nicht zurückgeholt werden in die Gesellschaft, dann sind sie nach wie vor für die innere Sicherheit eine Gefahr."
Die Sicherheitsbehörden wollen möglichst alle Dschihad-Rückkehrer von ihrem falschen Weg abbringen. Dazu braucht es viel Fingerspitzengefühl mit jenen, die aussteigen wollen – doch daran scheint es bisweilen zu fehlen.
Beispiel Harun aus München. Er wollte helfen aufzuklären. Vor Gericht belastete er alte Weggefährten. Für Dschihadisten ist er deshalb seitdem ein Verräter. Und doch fühlt er sich jetzt, im Gefängnis, von Justizvollzugsbeamten als Terrorist abgestempelt. Immer wieder habe ihn das sehr frustriert, sagt Harun. Es habe Momente gegeben, da sei er im Gefängnis fast in seine alten Muster zurückgefallen:
"Ich hätte den Vollblut-Dschihadisten rausgelassen. So einfach ist es. Dann hätten die das gekriegt, was sie immer sehen wollten oder haben wollten von mir. Ich meine, es gibt Beamte, die mich als Bombenleger bezeichnen oder sonstigen Scheiß. Aber wenn ich das dann melde, heißt es, stecks doch weg, ist okay."
Harun ringt mit sich und seiner Vergangenheit. Er weiß, dass ein Ausstieg nicht immer gelingt. Immer wieder erzählt er von einem Salafisten-Prediger, der selbst in Syrien war und bei dem bis heute ein Ausstieg unwahrscheinlich ist: "Redegewandter, manipulativer Mensch ist das, mehr ist das nicht. Sehr manipulativ."
Dschihadismus als globales Phänomen
Gemeint ist der bosnischstämmige Prediger Izudin Jakupovic. Er wirkte zeitweise als Kopf einer Salafisten-Gruppe in Nürnberg, aber auch in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und der Schweiz war er aktiv. In Videos sprach er auch über den Krieg in Syrien: "…Und Allah hat gesagt, dass die besten Geschöpfe, die besten Diener Allahs sich in diesem Land treffen werden."
2018 wurde der Prediger in Deutschland wegen Terrorunterstützung zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Er hatte laut Urteil Kraftfahrzeuge zu Haruns ehemaliger Einheit in Syrien geliefert. Er sei bewaffnet gewesen und habe sich zumindest vier Tage im Umfeld der Terrorgruppe aufgehalten. Deshalb führt der Bayerische Verfassungsschutz Izudin Jakupovic als Syrien-Rückkehrer. Inzwischen wurde der Prediger nach Bosnien abgeschoben, befindet sich dort seitdem auf freiem Fuß. Zehn Jahre darf er nicht in die EU einreisen.
Ob er noch Szene-Kontakte nach Deutschland hat, möchte Jakupovic auf Anfrage via Facebook-Messenger nicht einfach so beantworten. Seine Reaktion: "Für Ihre Fragen können Sie sich gern an meinen Anwalt wenden. Dann können Sie auch gleich die Kosten für die Antwort auf ihre Fragen aushandeln."
Der Anwalt bestätigt dies: Auskunft nur gegen Geld.
Izudin Jakupovic teilt auf Facebook Vorträge eines bosnischen Al-Kaida-Unterstützers, der auf der UN-Terrorliste geführt wird. Wie gefährlich Izudin Jakupovic noch für die innere Sicherheit in Deutschland ist, geht daraus natürlich nicht hervor. Der Bayerische Verfassungsschutz jedenfalls hat den Prediger weiterhin im Visier. Man kann sich in der Behörde gut vorstellen, dass Jakupovic nach wie vor Kontakte nach Deutschland pflegt:
"Aufgrund der langjährigen Einbindung in die örtliche und überregionale salafistische Szene sowie seiner damaligen Rolle als Prediger ist davon auszugehen, dass nach wie vor persönliche Kontakte zu Personen der salafistischen Szene bestehen und auch über Telekommunikation und Social Media Accounts gepflegt werden."
Damit wäre Jakupovic kein Einzelfall. Der Präsident des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, Burkhard Freier, warnt: "Wir haben hier, wenn man sich die Gefahren des Islamismus ansieht, insbesondere das Problem der Rückkehrer. Und zwar deswegen, weil sie nicht nur gewaltbereit sind und hoch ideologisiert sind, sondern weil sie auch manchmal sogar über internationale Vernetzungen verfügen."
Der Islamexperte Asiem El Difraoui in der ARD-Talkshow Anne Will 2013
Der Islamexperte Asiem El Difraoui (dpa / picture alliance / Karlheinz Schindler)
Dschihadismus ist ein globales Phänomen, bestätigt auch der Deutsch-Ägypter und Politikwissenschaftler Asiem El-Difraoui. Die Franzosen hätten das begriffen. In Deutschland dagegen seien die Konsequenzen aus dieser Erkenntnis spät gezogen worden. Asiem El Difraoui hatte mit vielen Dschihadisten Kontakt – als Journalist, Forscher und Politikberater. Er lebt in Frankreich, ist aber auch mit der deutschen Terrorbekämpfung vertraut:
"Wenn man sich nur heute anguckt: Diese großen globalen Problemstellungen hängen eng zusammen. Die nächste dschihadistische Hochburg, die den Franzosen sehr große Sorgen macht - ist der Sahel, also knapp ein Dutzend Länder, wo es im letzten Jahr mehr Anschläge und mehr Tote als jemals zuvor gab. Und die Deutschen gucken gar nicht auf den Sahel. Das ist irgendwie alles so weit entfernt - ist es aber nicht."
Der Islamwissenschaftler Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik studiert seit Jahren die deutsche Sicherheitspolitik, auch er sieht Mängel im deutschen Vorgehen gegen Dschihadismus.
"Unsere Sicherheitsbehörden im Lande selbst haben weiterhin Probleme und diese Probleme beginnen mit ganz banalen Dingen: Es fehlt an Observationsteams. Ein zweites Problem ist, dass die deutschen Sicherheitsbehörden enorm abhängig sind von den USA. Das ist ok, solange die Beziehungen gut funktionieren. Aber wer weiß, wie sich die Beziehungen zu den USA in den nächsten Jahren entwickeln."
Der Justiz fällt der Umgang mit IS-Rückkehrerinnen schwer
Guido Steinberg kennt fast jeden Rückkehrer, der vor Gericht landet. Er ist regelmäßig als Gutachter bei Terrorprozessen im Einsatz: "Ganz klar ist, dass in Deutschland fast jeder nach einer überschaubaren Haftstrafe in Freiheit ist. Das bedeutet für unsere Sicherheitsbehörden einen sehr großen Aufwand. Bei jedem Syrien-Rückkehrer, der jetzt vielleicht nicht gerade zu 20 Jahren verurteilt wird, muss man anschließend darauf achten, was er tut."
Für Ermittlungen und gegebenenfalls Verurteilungen brauchen Polizei und Justiz Zeugenaussagen, Handydaten oder Bilder aus sozialen Netzwerken - Beweise, dass sich Rückkehrer wirklich strafbar gemacht haben. Zum Beispiel Bilder, die sie mit Waffe zeigen. Doch längst nicht alle Rückkehrer landen vor Gericht, weil eben diese Beweise fehlen - sie bleiben auf freiem Fuß.
Insbesondere Frauen, die beim IS waren, sind ein Kapitel für sich. Der deutschen Justiz fällt der Umgang mit solchen IS-Rückkehrerinnen schwer. Viele berichten, sie seien Hausfrauen gewesen, hätten sich bloß um die Kinder gekümmert. An Kriegsverbrechen will keine beteiligt gewesen sein.
Die Frau als bloß Dabeigewesene oder sogar als Opfer: Rückkehrer Harun erinnert sich an ein Erlebnis mit einer Deutschen in Syrien, die mit mehreren Männern verheiratet wurde: "Sie hat mir leidgetan, es kam mir vor, als würde man sie wie eine Prostituierte weiterreichen, einfach so. Und letztendlich habe ich dann erfahren, die geht irgendwo nach Aleppo. Und keine Ahnung. Dann hat sich auch jede Spur nach und nach verloren. Und da habe ich auch nie wieder was von ihr gehört. Und das tut mir bis heute sehr leid und sehr weh, ehrlich gesagt, für diese Frau. Ich würde gerne wissen, was mit ihr passiert ist. Zu gerne."
Wie schwer gerade bei Frauen im IS ein Ausmaß von Täterschaft zu definieren ist, zeigt ein Fall, der zurzeit in München vor Gericht verhandelt wird.
Die 29-jährige Rückkehrerin Jennifer W. soll im Sommer 2015 im Irak gemeinsam mit ihrem Ehemann eine Jesidin und deren fünfjähriges Kind versklavt haben. Weil das Mädchen laut Bundesanwaltschaft ins Bett machte, kettete der Ehemann das Kind unter sengender Sonne im Freien an, es verdurstete. Jennifer W. wird Mord durch Unterlassen vorgeworfen, weil sie nicht eingegriffen habe, um die Fünfjährige zu retten.
Selbst in Teilen der Salafisten-Szene in Deutschland sorgt dieser Fall für Abwehr. Eigentlich sieht sich der Szene-Angehörige Bernhard Falk als moralische Unterstützung für Terrorhelfer und deren Angehörige. Falk reist durch ganz Deutschland, verfolgt Terrorprozesse und besucht Dschihadisten in Haft. Regelmäßig ergreift er auch in sozialen Netzwerken Partei für diese Gefangenen.
04.07.2019, Bayern, München: Die Angeklagte, die sich der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Irak angeschlossen haben soll, hält sich vor Verhandlungsbeginn im Gerichtssaals einen roten Aktendeckel vors Gesicht. Neben ihr sind ihre Anwälte Sera Basay-Yildiz (l) und Ali Aydin (r). Der Frau wird unter anderem vorgeworfen, ein fünf Jahre altes Mädchen als Sklavin gehalten und verdursten lassen zu haben. Foto: Peter Kneffel/dpa | Verwendung weltweit
Prozess wegen Mitgliedschaft im IS gegen Jennifer W. (Picture Alliance / dpa / Peter Kneffel)
Doch bei Jennifer W. fällt ihm diese Unterstützung schwer: "Es ist ja bekannt, dass ich Sympathie habe für diejenigen, die nach Syrien gegangen sind bzw. in den Irak, um dort die Muslime zu unterstützen. Aber das ist natürlich kein Freifahrtschein für die Etablierung neuer Unterdrückungsverhältnisse, wenn man gegen Assad kämpft. Es ist ja nicht zu leugnen, dass an den Jesiden schwerste Verbrechen verübt worden sind. Also die man auch nicht rechtfertigen kann."
Bernhard Falk spricht von einem unislamischen Verhalten. Er wäre allerdings dafür, dass Prozesse gegen Rückkehrer oder Rückkehrerinnen wie Jennifer W. auf – in seiner Definition – "neutralem" Boden stattfänden, zum Beispiel vor einem internationalen Strafgerichtshof. Nur so sei aus seiner Sicht objektiv nachweisebar, ob sich zum Beispiel Jennifer W. wirklich schuldig gemacht habe.
Die 29-jährige Niedersächsin soll von Sommer 2014 bis Anfang 2016 beim IS gewesen sein: Zunächst war sie - so hat die Bundesanwaltschaft recherchiert - in einem Frauenhaus im syrischen Raqqa, später zog sie dann in den Irak. Ihr Ehmann soll für den IS als sogenannter Emir für Geisteraustreibung gearbeitet haben.
Im Sommer 2018 wollte Jennifer W. laut Bundesanwaltschaft zurück zum IS. Auf der Durchreise in Bayern wurde sie verhaftet – deshalb findet der Prozess vor dem Oberlandesgericht in München statt. Die Verhandlung gegen Jennifer W. dauert jetzt schon mehr als ein Jahr. Kein Einzelfall. Prozesse und Ermittlungen gegen Rückkehrer ziehen sich häufig in die Länge.
"Die Staatsanwaltschaft muss meines Erachtens viel schneller arbeiten. Definitiv. Die sind ja teilweise quasi bis zu zwei Jahre auf freiem Fuß."
Anlaufstellen, um Deradikalisierung zu fördern
Eine Szene-Aussteigerin, die wir Sabine nennen und an einem Bahnhof in Ostdeutschland treffen. Sie weiß, wie Rückkehrer ticken. In der Dschihadisten-Szene gilt sie als Verräterin und Maulwurf. Sabine wollte einst selbst nach Syrien ausreisen, war da aber schon längst im Visier der Behörden. Ein Selbstmordattentat hätte sie nicht verübt, sagt sie.
Aber: "Ich hätte mich nicht selber getötet. Da bin ich ein Schisser. Aber ich würde lügen, wenn ich gesagt hätte, ich hätte nicht auf jemanden drauf geballert. Krass! Oder?" Auch weil sie sich selbst erlebt hat, wie sie Gewalt verherrlichte und auslebte, rät Sabine dazu, die Kraft von Frauen in der Szene nicht zu unterschätzen. Auch nicht die manipulative Kraft gegenüber ihren eigenen Ehemännern.
"Das ist der Traum einer jeden salafistischen Frau. Oder? Wenn du einen Mann als Märtyrer hast."
Um diese Ideologie zu bekämpfen, gibt es in ganz Deutschland Stellen, die sich um die Deradikalisierung von Dschihadistinnen und Dschihadisten kümmern. Darunter vor allem Nichtregierungsorganisationen, die für ihre Arbeit staatliche Gelder erhalten: Es sind Sozialarbeiter, Pädagogen oder Psychologen, die versuchen, im Kontakt auch mit den Angehörigen für Rückkehrer berufliche und private Perspektiven jenseits des Dschihadismus zu finden.
ARCHIV - Der Salafist und ehemalige linksextremistische Terrorist, Bernhard Falk, unterhält sich am 08.07.2015 in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) vor dem Gerichtsaal des Oberlandesgerichtes mit Journalisten. Er war Kommunist und Linksterrorist, saß fast 13 Jahre hinter Gittern. Doch heute schlägt das Herz von Bernhard Falk für die Taliban. Seine neue Berufung: Er betreut islamistische Straftäter. Foto: Federico Gambarini/dpa (zu dpa-KORR: "Vom Linksterroristen zum Taliban - die Wandlung des Bernhard Falk" vom 12.07.2015) | Verwendung weltweit
Bernhard Falk (Picture Alliance / dpa / Federico Gambarini)
Der in Frankreich lebende Politikwissenschaftler Asiem El Difraoui sagt, die Experten in den Aussteigerprogrammen hätten eine große Verantwortung. Der Erfolg der Beratung werde sich aber erst über Jahrzehnte hinweg messen lassen können. Er lobt: Deutschland habe im Gegensatz zu Frankreich viel früher angefangen, Deradikalisierungsprogramme zu entwickeln. Aber diese seien kein Allheilmittel:
"Wenn ich mit jungen Dschihadisten - ich möchte auch keine Panik streuen – spreche, die sich von Dschihadismus abgewandt haben, die zweifeln manchmal auch an der Effektivität der Beratungsstellen. Aber zu den Beratungsstellen gibt es einfach keine Alternativen. Aber es ist eine ganz, ganz schwierige Aufgabe."
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat Asiem El Difraoui federführend damit beauftragt, einen entsprechenden Lehrgang zu entwickeln: für Sozialarbeiter und auch Mitarbeiter aus den Sicherheitsbehörden.
"Zum Beispiel ein Islamwissenschaftler, dessen Fachkenntnisse auch wichtig sind, um den Dschihadismus zu verstehen, hat kaum psychologische Grundkenntnisse oder keine Grundkenntnisse aus der Sozialarbeit. Und diese ganzen Berufsgruppen müssen da zusammenarbeiten. Genauso wie bei einem Sozialarbeiter. Die klassische Sozialarbeit ist wichtig oder klassische Jugendarbeit: Diese Leute wurden nie daran geführt, was genau eigentlich diese todbringende Ideologie des Dschihadismus ausmacht."
Der Dschihadismus ist nicht weg
Wie wirken Deradikalisierungsprogramme in der Praxis? Kommen sie bei den Rückkehrern an? Zurück im Gefängnis im niederbayerischen Straubing. Rückkehrer Harun aus München wird vom sogenannten Violence Prevention Network betreut. Harun hat schon in Haft eine Ausbildung zum Buchbinder hinter sich. Er will die restliche Haftzeit nutzen und seinen Realschulabschluss nachholen. Einen Arbeitsplatz habe er nach seiner Haftentlassung auch schon in Aussicht. Harun erzählt, er sei mit seinem Betreuer vom Violence Prevention Network sehr zufrieden:
"Islamisches Wissen: Der ist da voll auf Zack. Sagen wir es mal so: Dem kann keiner was erzählen in dem Sinne. Wenn er sich mal Vorträge anschaut, weil ich ihm gesagt habe, ich habe damals den Vortrag von der Person gesehen. Da sagt er, ich habe mir das reingezogen, das ist ja voll der Witz. Nur Blödsinn, was die Leute erzählen. Er sieht es jetzt schon. Ich habe das damals nicht gesehen."
"Sich aus der Seele sprechen, das tut schon sehr gut"
Rund ein Drittel der Gefängnisinsassen in Berlin sind muslimischen Glaubens. Einheitliche Standards für eine islamische Gefängnisseelsorge gibt es nicht. Seit einem halben Jahr wird für alle männlichen muslimischen Gefangenen eine religiöse Betreuung angeboten. Längst überfällig, meinen nicht nur Politiker.
Harun würde gerne für das Violence Prevention Network arbeiten. Die Organisation plant ein Projekt, will Szene-Aussteiger als Berater einbinden.
Jede Verbesserung und Verfeinerung der Ausstiegsarbeit sei nötig. Denn die Gefahr, dass sich wieder Tausende aus ganz Europa einer dschihadistischen Terrorgruppe anschließen, sei noch längst nicht gebannt, sagt der Politikwissenschaftler Asiem El Difraoui. Momentan beobachtet er, dass sich die Politik und Sicherheitsbehörden verstärkt auf das Thema Rechtsextremismus fokussieren. El Difraoui hält das für sehr wichtig. Aber er fürchtet, dass sein Thema vernachlässigt werden könnte:
"Man kann beides machen. Und dann hört man aber auch wieder andere Stimmen, auch zum Beispiel von den Diensten, die sagen, personell seien die Dienste am Anschlag. Und es steht wirklich zu hoffen, dass keinerlei Kapazitäten heute abgebaut werden, weil sowohl der Dschihadismus als auch der Rechtsextremismus sind wirklich generationelle Probleme, die nicht einfach in den nächsten Jahren verschwinden werden. Es bedarf wirklich einer politischen und einer gesellschaftlichen Durchhaltekraft und den entsprechenden Mitteln."
Der IS gilt in Syrien und im Irak inzwischen militärisch als besiegt. Und doch sind Terrorgruppen unter seiner Flagge an vielen anderen Brandherden dieser Welt beteiligt. Der Dschihadismus ist nicht weg, nur weil er gerade nicht in den Schlagzeilen ist, sagt Asiem El Difraoui.